Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Paul Heyses Gedichte.

als die folgenden ist der erste Cyklus "Marianne," da folgt ein liebenswürdiges
Kinderbild dem andern; auch ist der Ton verhältnismäßig heiterer:


Wie hast du nur hinweg dich stehlen können
Aus dieser Lichtwelt, ohne -- böses Kind! --
Mir einen Scheideliebesblick zu gönnen!
Hast, da ich arglos ferne war, geschwind
Dich fortgeschlichen, ohn' abe zu sagen,
Und ich in Thränen suche nun mich blind I
Sonst, wenn du frühe schon an Sommertagen
Spazieren gingst und ließest dich hinab
Die Treppe nur bis in den Garten tragen,
Da klopftest du, bis ich dir Einlaß gab,
Und holst das Mäulchen mir, bewegtest winkend
schalkhaft das kleine Händchen auf und ab.
Und ich von deinen Lippen Freude trinkend,
Zog dich ans Herz und gab dich zögernd frei,
Mich aller Väter glücklichsten bcdünkcnd.
Nun brachst du scheidend mir das Herz entzwei.

Oder der Dichter gedenkt der Vaterfreuden bei dem ersten Versuche des Mägd¬
leins zu tanzen, wie er sie auf den Arm nahm, mit ihr herumhüpfen und die
Kleine immer mehr, mehr! bat, wie die Eltern stolze Pläne machten: "Wie
über sechzehn Jahr wir nächtelang dasitzen würden, unsern Schatz bewachend" --
und nun! Oder er gedenkt ihres Stimmchens, das ihn täglich weckte, und nun
soll er den Tag, den sonnenlosen, überleben, wo man erwacht ist ohne Lerchen¬
schlag! Endlich in der achten Elegie das Glaubensbekenntnis, in welchem Heyse
sein ganzes Heidentum offenbart:


Fassung? -- Ich bin gefaßt. -- Geduld? -- Ich dulde.
Aufbäumen wider das gewalt'ge Muß
Ist eine Thorheit, die ich nicht verschulde.
Ich weiß, in strenger Kette, Schluß an Schluß,
Reihe sich der Wandel aller ird'schen Dinge,
Und unaufhaltsam rinnt des Werdens Fluß.
Nur daß zum Danken ich die Lippen zwinge,
Wenn ich beraubt ward, daß ich, wenn der Geier
An meiner Leber zehrt, Tedeum singe,
Daß hinter jenem nie gehobnen Schleier
Ich eine Macht mir träume liebevoll
Und Huldigung ihr stammt' in frommer Feier:
Das fordre niemand. Weder Haß und Groll,
Noch minder Liebe trag ich jenem Einen,
Der alles ist und wirket, was er soll.
Ich bin ein Teil von ihm, samt allem Meinen.
Wie winzig ihm, der auf das Ganze denkt,
Muß des Atoms, des Stäubchens Weh erscheinen! . . .
. . . Und ihm, dem Unerforschlichen, der nie
Mir brechen will sein unnahbares Schweigen,

Paul Heyses Gedichte.

als die folgenden ist der erste Cyklus „Marianne," da folgt ein liebenswürdiges
Kinderbild dem andern; auch ist der Ton verhältnismäßig heiterer:


Wie hast du nur hinweg dich stehlen können
Aus dieser Lichtwelt, ohne — böses Kind! —
Mir einen Scheideliebesblick zu gönnen!
Hast, da ich arglos ferne war, geschwind
Dich fortgeschlichen, ohn' abe zu sagen,
Und ich in Thränen suche nun mich blind I
Sonst, wenn du frühe schon an Sommertagen
Spazieren gingst und ließest dich hinab
Die Treppe nur bis in den Garten tragen,
Da klopftest du, bis ich dir Einlaß gab,
Und holst das Mäulchen mir, bewegtest winkend
schalkhaft das kleine Händchen auf und ab.
Und ich von deinen Lippen Freude trinkend,
Zog dich ans Herz und gab dich zögernd frei,
Mich aller Väter glücklichsten bcdünkcnd.
Nun brachst du scheidend mir das Herz entzwei.

Oder der Dichter gedenkt der Vaterfreuden bei dem ersten Versuche des Mägd¬
leins zu tanzen, wie er sie auf den Arm nahm, mit ihr herumhüpfen und die
Kleine immer mehr, mehr! bat, wie die Eltern stolze Pläne machten: „Wie
über sechzehn Jahr wir nächtelang dasitzen würden, unsern Schatz bewachend" —
und nun! Oder er gedenkt ihres Stimmchens, das ihn täglich weckte, und nun
soll er den Tag, den sonnenlosen, überleben, wo man erwacht ist ohne Lerchen¬
schlag! Endlich in der achten Elegie das Glaubensbekenntnis, in welchem Heyse
sein ganzes Heidentum offenbart:


Fassung? — Ich bin gefaßt. — Geduld? — Ich dulde.
Aufbäumen wider das gewalt'ge Muß
Ist eine Thorheit, die ich nicht verschulde.
Ich weiß, in strenger Kette, Schluß an Schluß,
Reihe sich der Wandel aller ird'schen Dinge,
Und unaufhaltsam rinnt des Werdens Fluß.
Nur daß zum Danken ich die Lippen zwinge,
Wenn ich beraubt ward, daß ich, wenn der Geier
An meiner Leber zehrt, Tedeum singe,
Daß hinter jenem nie gehobnen Schleier
Ich eine Macht mir träume liebevoll
Und Huldigung ihr stammt' in frommer Feier:
Das fordre niemand. Weder Haß und Groll,
Noch minder Liebe trag ich jenem Einen,
Der alles ist und wirket, was er soll.
Ich bin ein Teil von ihm, samt allem Meinen.
Wie winzig ihm, der auf das Ganze denkt,
Muß des Atoms, des Stäubchens Weh erscheinen! . . .
. . . Und ihm, dem Unerforschlichen, der nie
Mir brechen will sein unnahbares Schweigen,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0636" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/157561"/>
          <fw type="header" place="top"> Paul Heyses Gedichte.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2198" prev="#ID_2197"> als die folgenden ist der erste Cyklus &#x201E;Marianne," da folgt ein liebenswürdiges<lb/>
Kinderbild dem andern; auch ist der Ton verhältnismäßig heiterer:</p><lb/>
          <quote>
            <lg xml:id="POEMID_27" type="poem">
              <l> Wie hast du nur hinweg dich stehlen können<lb/>
Aus dieser Lichtwelt, ohne &#x2014; böses Kind! &#x2014;<lb/>
Mir einen Scheideliebesblick zu gönnen!</l>
              <l> Hast, da ich arglos ferne war, geschwind<lb/>
Dich fortgeschlichen, ohn' abe zu sagen,<lb/>
Und ich in Thränen suche nun mich blind I</l>
              <l> Sonst, wenn du frühe schon an Sommertagen<lb/>
Spazieren gingst und ließest dich hinab<lb/>
Die Treppe nur bis in den Garten tragen,</l>
              <l> Da klopftest du, bis ich dir Einlaß gab,<lb/>
Und holst das Mäulchen mir, bewegtest winkend<lb/>
schalkhaft das kleine Händchen auf und ab.</l>
              <l> Und ich von deinen Lippen Freude trinkend,<lb/>
Zog dich ans Herz und gab dich zögernd frei,<lb/>
Mich aller Väter glücklichsten bcdünkcnd.<lb/>
Nun brachst du scheidend mir das Herz entzwei.</l>
            </lg>
          </quote><lb/>
          <p xml:id="ID_2199" next="#ID_2200"> Oder der Dichter gedenkt der Vaterfreuden bei dem ersten Versuche des Mägd¬<lb/>
leins zu tanzen, wie er sie auf den Arm nahm, mit ihr herumhüpfen und die<lb/>
Kleine immer mehr, mehr! bat, wie die Eltern stolze Pläne machten: &#x201E;Wie<lb/>
über sechzehn Jahr wir nächtelang dasitzen würden, unsern Schatz bewachend" &#x2014;<lb/>
und nun! Oder er gedenkt ihres Stimmchens, das ihn täglich weckte, und nun<lb/>
soll er den Tag, den sonnenlosen, überleben, wo man erwacht ist ohne Lerchen¬<lb/>
schlag! Endlich in der achten Elegie das Glaubensbekenntnis, in welchem Heyse<lb/>
sein ganzes Heidentum offenbart:</p><lb/>
          <quote>
            <lg xml:id="POEMID_28" type="poem">
              <l> Fassung? &#x2014; Ich bin gefaßt. &#x2014; Geduld? &#x2014; Ich dulde.<lb/>
Aufbäumen wider das gewalt'ge Muß<lb/>
Ist eine Thorheit, die ich nicht verschulde.</l>
              <l> Ich weiß, in strenger Kette, Schluß an Schluß,<lb/>
Reihe sich der Wandel aller ird'schen Dinge,<lb/>
Und unaufhaltsam rinnt des Werdens Fluß.</l>
              <l> Nur daß zum Danken ich die Lippen zwinge,<lb/>
Wenn ich beraubt ward, daß ich, wenn der Geier<lb/>
An meiner Leber zehrt, Tedeum singe,</l>
              <l> Daß hinter jenem nie gehobnen Schleier<lb/>
Ich eine Macht mir träume liebevoll<lb/>
Und Huldigung ihr stammt' in frommer Feier:</l>
              <l> Das fordre niemand.  Weder Haß und Groll,<lb/>
Noch minder Liebe trag ich jenem Einen,<lb/>
Der alles ist und wirket, was er soll.</l>
              <l> Ich bin ein Teil von ihm, samt allem Meinen.<lb/>
Wie winzig ihm, der auf das Ganze denkt,<lb/>
Muß des Atoms, des Stäubchens Weh erscheinen! . . .<lb/>
. . . Und ihm, dem Unerforschlichen, der nie<lb/>
Mir brechen will sein unnahbares Schweigen,</l>
            </lg>
          </quote><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0636] Paul Heyses Gedichte. als die folgenden ist der erste Cyklus „Marianne," da folgt ein liebenswürdiges Kinderbild dem andern; auch ist der Ton verhältnismäßig heiterer: Wie hast du nur hinweg dich stehlen können Aus dieser Lichtwelt, ohne — böses Kind! — Mir einen Scheideliebesblick zu gönnen! Hast, da ich arglos ferne war, geschwind Dich fortgeschlichen, ohn' abe zu sagen, Und ich in Thränen suche nun mich blind I Sonst, wenn du frühe schon an Sommertagen Spazieren gingst und ließest dich hinab Die Treppe nur bis in den Garten tragen, Da klopftest du, bis ich dir Einlaß gab, Und holst das Mäulchen mir, bewegtest winkend schalkhaft das kleine Händchen auf und ab. Und ich von deinen Lippen Freude trinkend, Zog dich ans Herz und gab dich zögernd frei, Mich aller Väter glücklichsten bcdünkcnd. Nun brachst du scheidend mir das Herz entzwei. Oder der Dichter gedenkt der Vaterfreuden bei dem ersten Versuche des Mägd¬ leins zu tanzen, wie er sie auf den Arm nahm, mit ihr herumhüpfen und die Kleine immer mehr, mehr! bat, wie die Eltern stolze Pläne machten: „Wie über sechzehn Jahr wir nächtelang dasitzen würden, unsern Schatz bewachend" — und nun! Oder er gedenkt ihres Stimmchens, das ihn täglich weckte, und nun soll er den Tag, den sonnenlosen, überleben, wo man erwacht ist ohne Lerchen¬ schlag! Endlich in der achten Elegie das Glaubensbekenntnis, in welchem Heyse sein ganzes Heidentum offenbart: Fassung? — Ich bin gefaßt. — Geduld? — Ich dulde. Aufbäumen wider das gewalt'ge Muß Ist eine Thorheit, die ich nicht verschulde. Ich weiß, in strenger Kette, Schluß an Schluß, Reihe sich der Wandel aller ird'schen Dinge, Und unaufhaltsam rinnt des Werdens Fluß. Nur daß zum Danken ich die Lippen zwinge, Wenn ich beraubt ward, daß ich, wenn der Geier An meiner Leber zehrt, Tedeum singe, Daß hinter jenem nie gehobnen Schleier Ich eine Macht mir träume liebevoll Und Huldigung ihr stammt' in frommer Feier: Das fordre niemand. Weder Haß und Groll, Noch minder Liebe trag ich jenem Einen, Der alles ist und wirket, was er soll. Ich bin ein Teil von ihm, samt allem Meinen. Wie winzig ihm, der auf das Ganze denkt, Muß des Atoms, des Stäubchens Weh erscheinen! . . . . . . Und ihm, dem Unerforschlichen, der nie Mir brechen will sein unnahbares Schweigen,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/636
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/636>, abgerufen am 29.12.2024.