Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.Paul Heyses Gedichte. Die ersten Abteilungen der Gedichte, insbesondre die "Jugendlieder" und
Nirgends will sich der Dichter binden; die Liebste läßt er stehen und ruft
Es ist der Egoismus der Jugend, der sich hier frei und naiv ausspricht. In
Aber allmählich vertieft sich der Dichter und befreit sich von den Fesseln
Paul Heyses Gedichte. Die ersten Abteilungen der Gedichte, insbesondre die „Jugendlieder" und
Nirgends will sich der Dichter binden; die Liebste läßt er stehen und ruft
Es ist der Egoismus der Jugend, der sich hier frei und naiv ausspricht. In
Aber allmählich vertieft sich der Dichter und befreit sich von den Fesseln
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0634" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/157559"/> <fw type="header" place="top"> Paul Heyses Gedichte.</fw><lb/> <p xml:id="ID_2192"> Die ersten Abteilungen der Gedichte, insbesondre die „Jugendlieder" und<lb/> „Neiseblatter," bieten Töne, Anschauungen, Stimmungen, welche später fast nir¬<lb/> gends wiederkehren. Das Glück und der Leichtsinn der Jugend, froher Genuß<lb/> und sorglose Heiterkeit sprechen aus ihnen:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_22" type="poem"> <l><cb type="start"/> Nun stehn die Rosen in Blüte,<lb/> Die Liebe webt ihr Netz so fein.<lb/> Mein flatterhaft Gemüte,<lb/> Dich fangen sie nicht ein. <cb/> Und blieb' ich träumend hangen<lb/> In dieser jungen Rosenzeit<lb/> An schönsten Nosenwcmgen,<lb/> Meine Jugend thäte mir leid. <cb type="end"/><lb/><lb/> Ich mag nur lachen und singen,<lb/> Durch blühende Wälder schweift mein Lauf;<lb/> Mein Herz will sich erschwingen<note type="bibl"> (Rosenzeit.)</note> Bis in die Wipfel hinauf. </l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_2193"> Nirgends will sich der Dichter binden; die Liebste läßt er stehen und ruft<lb/> ihr zu:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_23" type="poem"> <l> Und willst einen Liebsten haben,<lb/> Such dir einen andern aus.<lb/> Ich hab' ja nur zwei Flügel,<lb/> Ich hab' nicht Hof und Haus. (Vorüber.)</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_2194"> Es ist der Egoismus der Jugend, der sich hier frei und naiv ausspricht. In<lb/> diesen graziösen, nicht eben tief gehenden Jugendliedern und Neiseblättern steckt<lb/> Heyse noch in den Schuhen des Lehrlings. Es ist ein verwandtes Naturell,<lb/> welches seine Nachahmungen der Goethischen Jugendlyrik liebenswürdig macht.<lb/> Da ist er auch noch erfüllt von Motiven des Volksliedes; es fehlt nicht an<lb/> jugendlich sentimentalen Tönen, welche den Verlust der Geliebten beklagen; auch<lb/> „Mädchenlieder" sind da, in denen der durchaus städtische Poet sich in das<lb/> ihm fremde Dorfleben hineinwagt. „Rückkehr zur Natur" bezeichnet er ein<lb/> schönes Gedicht, welches sein intimes Verhältnis zu der ihm bisher nur im<lb/> Sonntagskleide bekannten ausspricht:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_24" type="poem"> <l><cb type="start"/> Als hätt' uns lang ein Zwist geschieden,<lb/> Der nun geschlichtet wunderbar,<lb/> So trat ich ein in deinen Frieden<lb/> Und ward im Tiefsten still und klar.<lb/> Ich sah das Meer sich leuchtend dehnen,<lb/> In Frühlingswonncn stand die Flur,<lb/> Da warf ich wieder mich in Thränen<lb/> An deine Mutterbrust, Natur. <cb/> Ich kannte dich, und doch im Stillen<lb/> Trotze' ich der Liebe, die mich zwang,<lb/> Die um den spröden Eigenwillen<lb/> So zarte Fesseln freundlich schlang.<lb/> Am Geiste sucht' ich mein Genügen,<lb/> Und zahme Schwäche schien mir's nur,<lb/> Mich unter deine Zucht zu fügen<lb/> Und still zu wandeln deine Spur ?c. <cb type="end"/> </l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_2195" next="#ID_2196"> Aber allmählich vertieft sich der Dichter und befreit sich von den Fesseln<lb/> der im Ohre liegenden großen Muster zum eignen Tone. Noch lange bleibt<lb/> das Zierliche, Kleine, Anmutige seine Liebhaberei; er beneidet die Lacerten:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_25" type="poem"> <l> Die ihr an der Mauer tänzelt<lb/> Durch die lichten Rebengärten<lb/> Sorglos in der Sonne schwänzelt —</l> </lg> </quote><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0634]
Paul Heyses Gedichte.
Die ersten Abteilungen der Gedichte, insbesondre die „Jugendlieder" und
„Neiseblatter," bieten Töne, Anschauungen, Stimmungen, welche später fast nir¬
gends wiederkehren. Das Glück und der Leichtsinn der Jugend, froher Genuß
und sorglose Heiterkeit sprechen aus ihnen:
Nun stehn die Rosen in Blüte,
Die Liebe webt ihr Netz so fein.
Mein flatterhaft Gemüte,
Dich fangen sie nicht ein.
Und blieb' ich träumend hangen
In dieser jungen Rosenzeit
An schönsten Nosenwcmgen,
Meine Jugend thäte mir leid.
Ich mag nur lachen und singen,
Durch blühende Wälder schweift mein Lauf;
Mein Herz will sich erschwingen (Rosenzeit.) Bis in die Wipfel hinauf.
Nirgends will sich der Dichter binden; die Liebste läßt er stehen und ruft
ihr zu:
Und willst einen Liebsten haben,
Such dir einen andern aus.
Ich hab' ja nur zwei Flügel,
Ich hab' nicht Hof und Haus. (Vorüber.)
Es ist der Egoismus der Jugend, der sich hier frei und naiv ausspricht. In
diesen graziösen, nicht eben tief gehenden Jugendliedern und Neiseblättern steckt
Heyse noch in den Schuhen des Lehrlings. Es ist ein verwandtes Naturell,
welches seine Nachahmungen der Goethischen Jugendlyrik liebenswürdig macht.
Da ist er auch noch erfüllt von Motiven des Volksliedes; es fehlt nicht an
jugendlich sentimentalen Tönen, welche den Verlust der Geliebten beklagen; auch
„Mädchenlieder" sind da, in denen der durchaus städtische Poet sich in das
ihm fremde Dorfleben hineinwagt. „Rückkehr zur Natur" bezeichnet er ein
schönes Gedicht, welches sein intimes Verhältnis zu der ihm bisher nur im
Sonntagskleide bekannten ausspricht:
Als hätt' uns lang ein Zwist geschieden,
Der nun geschlichtet wunderbar,
So trat ich ein in deinen Frieden
Und ward im Tiefsten still und klar.
Ich sah das Meer sich leuchtend dehnen,
In Frühlingswonncn stand die Flur,
Da warf ich wieder mich in Thränen
An deine Mutterbrust, Natur.
Ich kannte dich, und doch im Stillen
Trotze' ich der Liebe, die mich zwang,
Die um den spröden Eigenwillen
So zarte Fesseln freundlich schlang.
Am Geiste sucht' ich mein Genügen,
Und zahme Schwäche schien mir's nur,
Mich unter deine Zucht zu fügen
Und still zu wandeln deine Spur ?c.
Aber allmählich vertieft sich der Dichter und befreit sich von den Fesseln
der im Ohre liegenden großen Muster zum eignen Tone. Noch lange bleibt
das Zierliche, Kleine, Anmutige seine Liebhaberei; er beneidet die Lacerten:
Die ihr an der Mauer tänzelt
Durch die lichten Rebengärten
Sorglos in der Sonne schwänzelt —
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