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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Die Zustände in der Lampagna.

Präsident Depretis feierlich verkündigte, Neapel solle dezentrcilisirt (svkutrMs)
werden?

Vielleicht glauben manche Leute wirklich an die Möglichkeit, aus der Cam-
pcigna eine Landschaft zu machen wie die Umgegend von Florenz oder Neapel.
Mit Geld ist freilich viel zu erreichen, und falls die Anlegung neuer breiter
Straßen in Rom, das Niederwerfen großer Stadtteile und ähnliche, auf die
gründliche Verwandlung der Stadt in ein modernes Verkehrszentrum mit schönen,
schnurgeraden Häuserreihen -- alle in dem herrlichen Stile aufgeführt, der dem
Kunstsinn eine so lebhafte ironische Beruhigung gewährt, wie er sie braucht,
um nach Bramantes und Peruzzis Bauten zum Vollgenuß der schönen Gegen¬
wart zu gelangen -- abzielende Bestrebungen noch viel übrig lassen sollten, so
wäre bei wirklich gutem Willen vielleicht etwas für die Campagna zu erwarten.
Wahrscheinlich ist es freilich nicht, daß ein Erfolg abzusehen ist; nur einmal ist
die Campagna relativ gesund und fieberfrei gewesen: in den Zeiten, wo Rom die
erste unter den ackerbauenden Städten Latinas war. Daß damals die Fieber¬
luft durch intensive Bodenkultur, wenigstens bis auf einen gewissen Grad, ge¬
bannt wurde, weiß jeder; aber es ist klar, daß dies nur dadurch möglich wurde,
daß Latium übervölkert war und man jeden Fuß breit Land bis aufs äußerste
ausnutzte. Ob das jemals wieder der Fall sein wird, kann niemand von denen
sagen, welche die Campagna entwässern wollen; die alten Latinerstädte, die jetzt
in Trümmern liegen oder gänzlich vom Erdboden verschwunden sind, haben
auf ihre Art die Entwässerung vollzogen, den spröden Boden urbar gemacht
und dem Genius des Fiebers Altäre errichtet -- aber erst, umgekehrt wie jetzt
in Neapel, nachdem sie die Krankheit wirksam und siegreich bekämpft hatten.

Wer im Sommer aus irgendeinem Thore Roms hinausgeht, der wird gewiß
einer Anzahl (einzeln oder in Scharen einherziehender) Jünglinge begegnen, die, nach
römischer Sitte mit möglichst schmutzigen Leinewandjacken angethan, bewaffnet
mit einer verrosteten Büchse und begleitet von einem verhungerten Hunde, auf
die Jagd gehen. Die Jagd ist in Italien frei, ein Jagdschein kostet fünfzehn
Lire und wird keinem verweigert, der nicht geradezu verdächtig ist. Auf
diese Weise ist die schöne Gewohnheit, auf jeden Vogel loszupaffen, zu einer
nationalen Belustigung geworden, die, abgesehen von dem Schaden, der durch
das Wegschießen so vieler nützlichen Vögel für die Landwirtschaft entsteht, eine
außerordentlich ernste Seite hat. Die wenigen Carabinieri, welche die Umgegend
Roms cibpatrouilliren, können unmöglich jeden Büchsenträger nach seinem Jagd¬
schein fragen, abgesehen davon, daß erfahrungsmäßig Leute wie Mazzini stets
regelrechte Pässe gehabt haben, und ebenso voraussichtlich die schlimmsten Subjekte
gewiß immer, und wenn es auch nur durch Vermittlung eines Freundes wäre,
einen Jagdschein besitzen werden es scheint aber keinem einzufallen, daß eine
der einfachsten Maßregeln zur Verhinderung des Brigantentums die Aufhebung
der Jagdfreiheit und des Rechtes, Waffen zu tragen, sein dürfte. Allerdings


Die Zustände in der Lampagna.

Präsident Depretis feierlich verkündigte, Neapel solle dezentrcilisirt (svkutrMs)
werden?

Vielleicht glauben manche Leute wirklich an die Möglichkeit, aus der Cam-
pcigna eine Landschaft zu machen wie die Umgegend von Florenz oder Neapel.
Mit Geld ist freilich viel zu erreichen, und falls die Anlegung neuer breiter
Straßen in Rom, das Niederwerfen großer Stadtteile und ähnliche, auf die
gründliche Verwandlung der Stadt in ein modernes Verkehrszentrum mit schönen,
schnurgeraden Häuserreihen — alle in dem herrlichen Stile aufgeführt, der dem
Kunstsinn eine so lebhafte ironische Beruhigung gewährt, wie er sie braucht,
um nach Bramantes und Peruzzis Bauten zum Vollgenuß der schönen Gegen¬
wart zu gelangen — abzielende Bestrebungen noch viel übrig lassen sollten, so
wäre bei wirklich gutem Willen vielleicht etwas für die Campagna zu erwarten.
Wahrscheinlich ist es freilich nicht, daß ein Erfolg abzusehen ist; nur einmal ist
die Campagna relativ gesund und fieberfrei gewesen: in den Zeiten, wo Rom die
erste unter den ackerbauenden Städten Latinas war. Daß damals die Fieber¬
luft durch intensive Bodenkultur, wenigstens bis auf einen gewissen Grad, ge¬
bannt wurde, weiß jeder; aber es ist klar, daß dies nur dadurch möglich wurde,
daß Latium übervölkert war und man jeden Fuß breit Land bis aufs äußerste
ausnutzte. Ob das jemals wieder der Fall sein wird, kann niemand von denen
sagen, welche die Campagna entwässern wollen; die alten Latinerstädte, die jetzt
in Trümmern liegen oder gänzlich vom Erdboden verschwunden sind, haben
auf ihre Art die Entwässerung vollzogen, den spröden Boden urbar gemacht
und dem Genius des Fiebers Altäre errichtet — aber erst, umgekehrt wie jetzt
in Neapel, nachdem sie die Krankheit wirksam und siegreich bekämpft hatten.

Wer im Sommer aus irgendeinem Thore Roms hinausgeht, der wird gewiß
einer Anzahl (einzeln oder in Scharen einherziehender) Jünglinge begegnen, die, nach
römischer Sitte mit möglichst schmutzigen Leinewandjacken angethan, bewaffnet
mit einer verrosteten Büchse und begleitet von einem verhungerten Hunde, auf
die Jagd gehen. Die Jagd ist in Italien frei, ein Jagdschein kostet fünfzehn
Lire und wird keinem verweigert, der nicht geradezu verdächtig ist. Auf
diese Weise ist die schöne Gewohnheit, auf jeden Vogel loszupaffen, zu einer
nationalen Belustigung geworden, die, abgesehen von dem Schaden, der durch
das Wegschießen so vieler nützlichen Vögel für die Landwirtschaft entsteht, eine
außerordentlich ernste Seite hat. Die wenigen Carabinieri, welche die Umgegend
Roms cibpatrouilliren, können unmöglich jeden Büchsenträger nach seinem Jagd¬
schein fragen, abgesehen davon, daß erfahrungsmäßig Leute wie Mazzini stets
regelrechte Pässe gehabt haben, und ebenso voraussichtlich die schlimmsten Subjekte
gewiß immer, und wenn es auch nur durch Vermittlung eines Freundes wäre,
einen Jagdschein besitzen werden es scheint aber keinem einzufallen, daß eine
der einfachsten Maßregeln zur Verhinderung des Brigantentums die Aufhebung
der Jagdfreiheit und des Rechtes, Waffen zu tragen, sein dürfte. Allerdings


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[0628] Die Zustände in der Lampagna. Präsident Depretis feierlich verkündigte, Neapel solle dezentrcilisirt (svkutrMs) werden? Vielleicht glauben manche Leute wirklich an die Möglichkeit, aus der Cam- pcigna eine Landschaft zu machen wie die Umgegend von Florenz oder Neapel. Mit Geld ist freilich viel zu erreichen, und falls die Anlegung neuer breiter Straßen in Rom, das Niederwerfen großer Stadtteile und ähnliche, auf die gründliche Verwandlung der Stadt in ein modernes Verkehrszentrum mit schönen, schnurgeraden Häuserreihen — alle in dem herrlichen Stile aufgeführt, der dem Kunstsinn eine so lebhafte ironische Beruhigung gewährt, wie er sie braucht, um nach Bramantes und Peruzzis Bauten zum Vollgenuß der schönen Gegen¬ wart zu gelangen — abzielende Bestrebungen noch viel übrig lassen sollten, so wäre bei wirklich gutem Willen vielleicht etwas für die Campagna zu erwarten. Wahrscheinlich ist es freilich nicht, daß ein Erfolg abzusehen ist; nur einmal ist die Campagna relativ gesund und fieberfrei gewesen: in den Zeiten, wo Rom die erste unter den ackerbauenden Städten Latinas war. Daß damals die Fieber¬ luft durch intensive Bodenkultur, wenigstens bis auf einen gewissen Grad, ge¬ bannt wurde, weiß jeder; aber es ist klar, daß dies nur dadurch möglich wurde, daß Latium übervölkert war und man jeden Fuß breit Land bis aufs äußerste ausnutzte. Ob das jemals wieder der Fall sein wird, kann niemand von denen sagen, welche die Campagna entwässern wollen; die alten Latinerstädte, die jetzt in Trümmern liegen oder gänzlich vom Erdboden verschwunden sind, haben auf ihre Art die Entwässerung vollzogen, den spröden Boden urbar gemacht und dem Genius des Fiebers Altäre errichtet — aber erst, umgekehrt wie jetzt in Neapel, nachdem sie die Krankheit wirksam und siegreich bekämpft hatten. Wer im Sommer aus irgendeinem Thore Roms hinausgeht, der wird gewiß einer Anzahl (einzeln oder in Scharen einherziehender) Jünglinge begegnen, die, nach römischer Sitte mit möglichst schmutzigen Leinewandjacken angethan, bewaffnet mit einer verrosteten Büchse und begleitet von einem verhungerten Hunde, auf die Jagd gehen. Die Jagd ist in Italien frei, ein Jagdschein kostet fünfzehn Lire und wird keinem verweigert, der nicht geradezu verdächtig ist. Auf diese Weise ist die schöne Gewohnheit, auf jeden Vogel loszupaffen, zu einer nationalen Belustigung geworden, die, abgesehen von dem Schaden, der durch das Wegschießen so vieler nützlichen Vögel für die Landwirtschaft entsteht, eine außerordentlich ernste Seite hat. Die wenigen Carabinieri, welche die Umgegend Roms cibpatrouilliren, können unmöglich jeden Büchsenträger nach seinem Jagd¬ schein fragen, abgesehen davon, daß erfahrungsmäßig Leute wie Mazzini stets regelrechte Pässe gehabt haben, und ebenso voraussichtlich die schlimmsten Subjekte gewiß immer, und wenn es auch nur durch Vermittlung eines Freundes wäre, einen Jagdschein besitzen werden es scheint aber keinem einzufallen, daß eine der einfachsten Maßregeln zur Verhinderung des Brigantentums die Aufhebung der Jagdfreiheit und des Rechtes, Waffen zu tragen, sein dürfte. Allerdings

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/628>, abgerufen am 29.12.2024.