Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Zustände in der Lainpagna.

Kühle der Nacht weckte ihn aus seiner Ohnmacht, kriechend schleppte er sich bis
nach Hause und starb in den Armen seiner Familie. Jede Spur der Mörder
war verschwunden.

Auf diese Weise geht allmählich die Umgegend Roms ähnlichen Zuständen
entgegen, wie sie unter päpstlicher Herrschaft gewöhnlich waren, wenn auch da¬
mals wenigstens die unmittelbare Umgegend Roms fast durchweg sicher war.
Der wirkliche, innere Grund liegt offenbar in dem tiefen Elend, in welchem sich
die Landbevölkerung befindet und welches darin seine Erklärung hat, daß nie¬
mand sein Land selbst bewirtschaftet, sondern der Grundherr von dem Ackerbauer
oder Hirten durch die Mittelsmänner getrennt ist, ohne die nun einmal nichts
besorgt wird und die das Aussaugungssystem bis auf die Spitze treiben.

Freilich läßt sich dieser Übelstand garnicht oder nur sehr schwer abstellen,
weil er mit den ganzen Lebensgewohnheiten seit uralter Zeit untrennbar ver-
bunden ist. So beschäftigen sich denn auch die Zeitungen nur mit dem Auf¬
suchen von Palliativen, welche dem Übel wenigstens vor der Hand steuern können.
Hierbei kommen die abenteuerlichsten Vorschläge zutage. Hat doch neulich ganz
ernsthaft eine Zeitung dem Präfekten den Rat gegeben, sich eine Anzahl Poli¬
zisten als Jäger oder Hirten verkleiden zu lassen; in dieser Vermummung sollten
sie die Campagna durchstreifen und die Übelthäter fassen. Was muß der Er¬
finder dieses Heilmittels für einen Begriff von der Schlauheit des italienischen
Landmannes haben, der die <MLLwrwi nicht augenblicklich erkennen würde, von
allen andern Ungeheuerlichkeiten, die der Gedanke in sich birgt, zu schweigen.

Scheinbar fruchtbarer ist ein andrer Vorschlag, der vielfach auftaucht, näm¬
lich mit der Regulirung der Wasserläufe in der Campagna endlich Ernst zu
machen, da dieselbe, einmal entwässert, gesund und bewohnbar werden, und dort,
wo jetzt menschenleere Weiden sind, Dörfer und Ansiedlungen entstehen würden.
Freilich, wäre es möglich, die Fieberluft auszurotten und der Campagna eine
dichte, ackerbauende Bevölkerung zu verschaffen, so wäre die ganze Frage in der
erwünschtesten Weise gelöst.

Die Entwässerung der Campagna würde natürlich ungeheure Kapitalien
verschlingen, und sollten dieselben flüssig gemacht werden, so ist tausend gegen
eins zu wetten, daß sie von geschickten Geschäftsmännern ebenso verwertet werden
würden, wie die für Casamieciola gesammelten Summen, d. h. so, daß der Cam¬
pagna nichts davon zu gute käme. Alle diese Vorschläge haben meistens, wenn
sie nicht überhaupt nur Phrasen sind, Hintergedanken zur Basis, denen es nicht
lohnt, weiter nachzugehen. Am unschuldigsten sind sie noch, wenn sie nur
Redensarten sind, wie jene prunkhafte Inschrift in Neapel, welche verkündet,
daß, als der Herzog von San Donato Sindaco von Neapel war, die Fondaci
weggeräumt worden seien, während diese entsetzlichen Höhlen des furchtbarsten
Elends heute noch bestehen und nie ein Stein von ihnen entfernt worden ist.
Ob die Neapolitaner sich nicht diese Inschrift angesehen haben, als der Minister-


Die Zustände in der Lainpagna.

Kühle der Nacht weckte ihn aus seiner Ohnmacht, kriechend schleppte er sich bis
nach Hause und starb in den Armen seiner Familie. Jede Spur der Mörder
war verschwunden.

Auf diese Weise geht allmählich die Umgegend Roms ähnlichen Zuständen
entgegen, wie sie unter päpstlicher Herrschaft gewöhnlich waren, wenn auch da¬
mals wenigstens die unmittelbare Umgegend Roms fast durchweg sicher war.
Der wirkliche, innere Grund liegt offenbar in dem tiefen Elend, in welchem sich
die Landbevölkerung befindet und welches darin seine Erklärung hat, daß nie¬
mand sein Land selbst bewirtschaftet, sondern der Grundherr von dem Ackerbauer
oder Hirten durch die Mittelsmänner getrennt ist, ohne die nun einmal nichts
besorgt wird und die das Aussaugungssystem bis auf die Spitze treiben.

Freilich läßt sich dieser Übelstand garnicht oder nur sehr schwer abstellen,
weil er mit den ganzen Lebensgewohnheiten seit uralter Zeit untrennbar ver-
bunden ist. So beschäftigen sich denn auch die Zeitungen nur mit dem Auf¬
suchen von Palliativen, welche dem Übel wenigstens vor der Hand steuern können.
Hierbei kommen die abenteuerlichsten Vorschläge zutage. Hat doch neulich ganz
ernsthaft eine Zeitung dem Präfekten den Rat gegeben, sich eine Anzahl Poli¬
zisten als Jäger oder Hirten verkleiden zu lassen; in dieser Vermummung sollten
sie die Campagna durchstreifen und die Übelthäter fassen. Was muß der Er¬
finder dieses Heilmittels für einen Begriff von der Schlauheit des italienischen
Landmannes haben, der die <MLLwrwi nicht augenblicklich erkennen würde, von
allen andern Ungeheuerlichkeiten, die der Gedanke in sich birgt, zu schweigen.

Scheinbar fruchtbarer ist ein andrer Vorschlag, der vielfach auftaucht, näm¬
lich mit der Regulirung der Wasserläufe in der Campagna endlich Ernst zu
machen, da dieselbe, einmal entwässert, gesund und bewohnbar werden, und dort,
wo jetzt menschenleere Weiden sind, Dörfer und Ansiedlungen entstehen würden.
Freilich, wäre es möglich, die Fieberluft auszurotten und der Campagna eine
dichte, ackerbauende Bevölkerung zu verschaffen, so wäre die ganze Frage in der
erwünschtesten Weise gelöst.

Die Entwässerung der Campagna würde natürlich ungeheure Kapitalien
verschlingen, und sollten dieselben flüssig gemacht werden, so ist tausend gegen
eins zu wetten, daß sie von geschickten Geschäftsmännern ebenso verwertet werden
würden, wie die für Casamieciola gesammelten Summen, d. h. so, daß der Cam¬
pagna nichts davon zu gute käme. Alle diese Vorschläge haben meistens, wenn
sie nicht überhaupt nur Phrasen sind, Hintergedanken zur Basis, denen es nicht
lohnt, weiter nachzugehen. Am unschuldigsten sind sie noch, wenn sie nur
Redensarten sind, wie jene prunkhafte Inschrift in Neapel, welche verkündet,
daß, als der Herzog von San Donato Sindaco von Neapel war, die Fondaci
weggeräumt worden seien, während diese entsetzlichen Höhlen des furchtbarsten
Elends heute noch bestehen und nie ein Stein von ihnen entfernt worden ist.
Ob die Neapolitaner sich nicht diese Inschrift angesehen haben, als der Minister-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0627" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/157552"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Zustände in der Lainpagna.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2172" prev="#ID_2171"> Kühle der Nacht weckte ihn aus seiner Ohnmacht, kriechend schleppte er sich bis<lb/>
nach Hause und starb in den Armen seiner Familie. Jede Spur der Mörder<lb/>
war verschwunden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2173"> Auf diese Weise geht allmählich die Umgegend Roms ähnlichen Zuständen<lb/>
entgegen, wie sie unter päpstlicher Herrschaft gewöhnlich waren, wenn auch da¬<lb/>
mals wenigstens die unmittelbare Umgegend Roms fast durchweg sicher war.<lb/>
Der wirkliche, innere Grund liegt offenbar in dem tiefen Elend, in welchem sich<lb/>
die Landbevölkerung befindet und welches darin seine Erklärung hat, daß nie¬<lb/>
mand sein Land selbst bewirtschaftet, sondern der Grundherr von dem Ackerbauer<lb/>
oder Hirten durch die Mittelsmänner getrennt ist, ohne die nun einmal nichts<lb/>
besorgt wird und die das Aussaugungssystem bis auf die Spitze treiben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2174"> Freilich läßt sich dieser Übelstand garnicht oder nur sehr schwer abstellen,<lb/>
weil er mit den ganzen Lebensgewohnheiten seit uralter Zeit untrennbar ver-<lb/>
bunden ist. So beschäftigen sich denn auch die Zeitungen nur mit dem Auf¬<lb/>
suchen von Palliativen, welche dem Übel wenigstens vor der Hand steuern können.<lb/>
Hierbei kommen die abenteuerlichsten Vorschläge zutage. Hat doch neulich ganz<lb/>
ernsthaft eine Zeitung dem Präfekten den Rat gegeben, sich eine Anzahl Poli¬<lb/>
zisten als Jäger oder Hirten verkleiden zu lassen; in dieser Vermummung sollten<lb/>
sie die Campagna durchstreifen und die Übelthäter fassen. Was muß der Er¬<lb/>
finder dieses Heilmittels für einen Begriff von der Schlauheit des italienischen<lb/>
Landmannes haben, der die &lt;MLLwrwi nicht augenblicklich erkennen würde, von<lb/>
allen andern Ungeheuerlichkeiten, die der Gedanke in sich birgt, zu schweigen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2175"> Scheinbar fruchtbarer ist ein andrer Vorschlag, der vielfach auftaucht, näm¬<lb/>
lich mit der Regulirung der Wasserläufe in der Campagna endlich Ernst zu<lb/>
machen, da dieselbe, einmal entwässert, gesund und bewohnbar werden, und dort,<lb/>
wo jetzt menschenleere Weiden sind, Dörfer und Ansiedlungen entstehen würden.<lb/>
Freilich, wäre es möglich, die Fieberluft auszurotten und der Campagna eine<lb/>
dichte, ackerbauende Bevölkerung zu verschaffen, so wäre die ganze Frage in der<lb/>
erwünschtesten Weise gelöst.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2176" next="#ID_2177"> Die Entwässerung der Campagna würde natürlich ungeheure Kapitalien<lb/>
verschlingen, und sollten dieselben flüssig gemacht werden, so ist tausend gegen<lb/>
eins zu wetten, daß sie von geschickten Geschäftsmännern ebenso verwertet werden<lb/>
würden, wie die für Casamieciola gesammelten Summen, d. h. so, daß der Cam¬<lb/>
pagna nichts davon zu gute käme. Alle diese Vorschläge haben meistens, wenn<lb/>
sie nicht überhaupt nur Phrasen sind, Hintergedanken zur Basis, denen es nicht<lb/>
lohnt, weiter nachzugehen. Am unschuldigsten sind sie noch, wenn sie nur<lb/>
Redensarten sind, wie jene prunkhafte Inschrift in Neapel, welche verkündet,<lb/>
daß, als der Herzog von San Donato Sindaco von Neapel war, die Fondaci<lb/>
weggeräumt worden seien, während diese entsetzlichen Höhlen des furchtbarsten<lb/>
Elends heute noch bestehen und nie ein Stein von ihnen entfernt worden ist.<lb/>
Ob die Neapolitaner sich nicht diese Inschrift angesehen haben, als der Minister-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0627] Die Zustände in der Lainpagna. Kühle der Nacht weckte ihn aus seiner Ohnmacht, kriechend schleppte er sich bis nach Hause und starb in den Armen seiner Familie. Jede Spur der Mörder war verschwunden. Auf diese Weise geht allmählich die Umgegend Roms ähnlichen Zuständen entgegen, wie sie unter päpstlicher Herrschaft gewöhnlich waren, wenn auch da¬ mals wenigstens die unmittelbare Umgegend Roms fast durchweg sicher war. Der wirkliche, innere Grund liegt offenbar in dem tiefen Elend, in welchem sich die Landbevölkerung befindet und welches darin seine Erklärung hat, daß nie¬ mand sein Land selbst bewirtschaftet, sondern der Grundherr von dem Ackerbauer oder Hirten durch die Mittelsmänner getrennt ist, ohne die nun einmal nichts besorgt wird und die das Aussaugungssystem bis auf die Spitze treiben. Freilich läßt sich dieser Übelstand garnicht oder nur sehr schwer abstellen, weil er mit den ganzen Lebensgewohnheiten seit uralter Zeit untrennbar ver- bunden ist. So beschäftigen sich denn auch die Zeitungen nur mit dem Auf¬ suchen von Palliativen, welche dem Übel wenigstens vor der Hand steuern können. Hierbei kommen die abenteuerlichsten Vorschläge zutage. Hat doch neulich ganz ernsthaft eine Zeitung dem Präfekten den Rat gegeben, sich eine Anzahl Poli¬ zisten als Jäger oder Hirten verkleiden zu lassen; in dieser Vermummung sollten sie die Campagna durchstreifen und die Übelthäter fassen. Was muß der Er¬ finder dieses Heilmittels für einen Begriff von der Schlauheit des italienischen Landmannes haben, der die <MLLwrwi nicht augenblicklich erkennen würde, von allen andern Ungeheuerlichkeiten, die der Gedanke in sich birgt, zu schweigen. Scheinbar fruchtbarer ist ein andrer Vorschlag, der vielfach auftaucht, näm¬ lich mit der Regulirung der Wasserläufe in der Campagna endlich Ernst zu machen, da dieselbe, einmal entwässert, gesund und bewohnbar werden, und dort, wo jetzt menschenleere Weiden sind, Dörfer und Ansiedlungen entstehen würden. Freilich, wäre es möglich, die Fieberluft auszurotten und der Campagna eine dichte, ackerbauende Bevölkerung zu verschaffen, so wäre die ganze Frage in der erwünschtesten Weise gelöst. Die Entwässerung der Campagna würde natürlich ungeheure Kapitalien verschlingen, und sollten dieselben flüssig gemacht werden, so ist tausend gegen eins zu wetten, daß sie von geschickten Geschäftsmännern ebenso verwertet werden würden, wie die für Casamieciola gesammelten Summen, d. h. so, daß der Cam¬ pagna nichts davon zu gute käme. Alle diese Vorschläge haben meistens, wenn sie nicht überhaupt nur Phrasen sind, Hintergedanken zur Basis, denen es nicht lohnt, weiter nachzugehen. Am unschuldigsten sind sie noch, wenn sie nur Redensarten sind, wie jene prunkhafte Inschrift in Neapel, welche verkündet, daß, als der Herzog von San Donato Sindaco von Neapel war, die Fondaci weggeräumt worden seien, während diese entsetzlichen Höhlen des furchtbarsten Elends heute noch bestehen und nie ein Stein von ihnen entfernt worden ist. Ob die Neapolitaner sich nicht diese Inschrift angesehen haben, als der Minister-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/627
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/627>, abgerufen am 28.12.2024.