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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Aus der Diplomatenschule.

und alle antworteten ihm -- nach einem Komplott natürlich -- in ihrer
Muttersprache, russisch, spanisch, schwedisch und was weiß ich alles, sodaß er
einen ganzen Schwarm von Übersetzern im Ministerium sitzen hatte. So fand
ich die Sache, als ich ins Amt trat. Vudberg schickte mir eine russische Note.
Das ging doch nicht an. Wollten sie sich revanchiren, so mußte Gortschakoff
an unsern Gesandten in Petersburg russisch schreiben. Das war das Richtige.
Aber mir in Berlin auf ein deutsches Schreiben russisch antworten, das war
unbillig. Ich bestimmte also: was nicht deutsch oder französisch, englisch oder
italienisch eingeht -- Sprachen, die wir verstehen müssen -- bleibt liegen und
geht zu den Akten. Budberg schrieb nun Exzitatorien über Exzitatorien, immer
russisch. Keine Antwort, die Sachen waren in den Mtenschrank gewandert.
Endlich kam er selbst und fragte, warum wir denn garnicht antworteten. Ant¬
worten? sagte ich zu ihm mit verwunderter Miene. Auf was denn? Ich habe
nichts gesehen von Ihnen. Nun, er hätte uns vor vier Wochen das und das
geschrieben und dann mehreremale daran erinnert. -- Richtig, da besinne ich
mich, sagte ich ihm, unten liegt ein Aktenstoß in russischer Sprache, da mag's
wohl dabei sein. Unten aber hin Zentralbureaü^ versteht kein Mensch russisch,
und was in einer unverständlichen Sprache ankommt, geht zu den Akten. Sie
waren darauf eins geworden, daß Budberg in Zukunft französisch schreiben sollte,
und das Auswärtige Amt gelegentlich auch."

Bei deu schriftlichen Mitteilungen der Diplomaten ist der richtigen Etikette
und Courtoisie die Ehre zu geben und der rechte Stil anzuwenden, der hier
eingeführt ist und der mit der Ausdrucksweise identisch sein soll, welche am
sichersten zum Ziele führt. Namentlich muß derselbe Gedrängtheit mit Ge¬
nauigkeit und kühle Ruhe mit größter Klarheit verbinden und doppelsinnige
Worte und Wendungen der Rede, sowie selbst scheinbar nichts bedeutende Nach¬
lässigkeiten vermeiden. Martens bemerkt in dieser Beziehung (Bd. I, Z 204):
"In der Diplomatie reicht es nicht hin, gedrängt zu schreiben, man muß sich
auch mit einer solchen Präzision ausdrücken, daß die feinste Arglist die Rede
nicht verdrehen oder mit Hilfe eines zweideutigen Ausdrucks den Sinn fälschen
und im entgegengesetzten Interesse auslegen kann." Anderswo (§ 207) sagt er:
"Wir wiederholen, daß man denen, die diplomatische Schriftstücke redigiren,
nicht genug empfehlen kann, mit der Genauigkeit des Gedankenganges den kon-
zisen Stil zu verbinden. Umschweife, Epitheta, große Worte, gesuchte Ausdrücke,
lange Perioden, schmückende Redensarten, oratorische Gemeinplätze sind durchaus
nicht angebracht in derartigen Staatsschriften, wo alles, da sie ernst und wichtig
sind, direkt aufs Ziel losgehen muß." Flassan lehrt: "Der diplomatische Stil
darf, auf welchen Gegenstand er sich auch beziehe, nicht der des Geistmachers
oder des Akademikers, sondern muß der eiues kühlen Denkers sein und mit der
reinen und sorgfältigen Ausdrucksweise eine durch nichts unterbrochene logische
Entwicklung verbinden. Die Wärme, die fast immer den Erfolg der Bered-


Aus der Diplomatenschule.

und alle antworteten ihm — nach einem Komplott natürlich — in ihrer
Muttersprache, russisch, spanisch, schwedisch und was weiß ich alles, sodaß er
einen ganzen Schwarm von Übersetzern im Ministerium sitzen hatte. So fand
ich die Sache, als ich ins Amt trat. Vudberg schickte mir eine russische Note.
Das ging doch nicht an. Wollten sie sich revanchiren, so mußte Gortschakoff
an unsern Gesandten in Petersburg russisch schreiben. Das war das Richtige.
Aber mir in Berlin auf ein deutsches Schreiben russisch antworten, das war
unbillig. Ich bestimmte also: was nicht deutsch oder französisch, englisch oder
italienisch eingeht — Sprachen, die wir verstehen müssen — bleibt liegen und
geht zu den Akten. Budberg schrieb nun Exzitatorien über Exzitatorien, immer
russisch. Keine Antwort, die Sachen waren in den Mtenschrank gewandert.
Endlich kam er selbst und fragte, warum wir denn garnicht antworteten. Ant¬
worten? sagte ich zu ihm mit verwunderter Miene. Auf was denn? Ich habe
nichts gesehen von Ihnen. Nun, er hätte uns vor vier Wochen das und das
geschrieben und dann mehreremale daran erinnert. — Richtig, da besinne ich
mich, sagte ich ihm, unten liegt ein Aktenstoß in russischer Sprache, da mag's
wohl dabei sein. Unten aber hin Zentralbureaü^ versteht kein Mensch russisch,
und was in einer unverständlichen Sprache ankommt, geht zu den Akten. Sie
waren darauf eins geworden, daß Budberg in Zukunft französisch schreiben sollte,
und das Auswärtige Amt gelegentlich auch."

Bei deu schriftlichen Mitteilungen der Diplomaten ist der richtigen Etikette
und Courtoisie die Ehre zu geben und der rechte Stil anzuwenden, der hier
eingeführt ist und der mit der Ausdrucksweise identisch sein soll, welche am
sichersten zum Ziele führt. Namentlich muß derselbe Gedrängtheit mit Ge¬
nauigkeit und kühle Ruhe mit größter Klarheit verbinden und doppelsinnige
Worte und Wendungen der Rede, sowie selbst scheinbar nichts bedeutende Nach¬
lässigkeiten vermeiden. Martens bemerkt in dieser Beziehung (Bd. I, Z 204):
„In der Diplomatie reicht es nicht hin, gedrängt zu schreiben, man muß sich
auch mit einer solchen Präzision ausdrücken, daß die feinste Arglist die Rede
nicht verdrehen oder mit Hilfe eines zweideutigen Ausdrucks den Sinn fälschen
und im entgegengesetzten Interesse auslegen kann." Anderswo (§ 207) sagt er:
„Wir wiederholen, daß man denen, die diplomatische Schriftstücke redigiren,
nicht genug empfehlen kann, mit der Genauigkeit des Gedankenganges den kon-
zisen Stil zu verbinden. Umschweife, Epitheta, große Worte, gesuchte Ausdrücke,
lange Perioden, schmückende Redensarten, oratorische Gemeinplätze sind durchaus
nicht angebracht in derartigen Staatsschriften, wo alles, da sie ernst und wichtig
sind, direkt aufs Ziel losgehen muß." Flassan lehrt: „Der diplomatische Stil
darf, auf welchen Gegenstand er sich auch beziehe, nicht der des Geistmachers
oder des Akademikers, sondern muß der eiues kühlen Denkers sein und mit der
reinen und sorgfältigen Ausdrucksweise eine durch nichts unterbrochene logische
Entwicklung verbinden. Die Wärme, die fast immer den Erfolg der Bered-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/614>, abgerufen am 04.01.2025.