Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.Pfisters Mühle. liebe, abgebrochene Trostworte flüsternd, die Thränen aus den Augen und von Zwanzigstes Blatt. Alte schöne Lieder von ferne; die letzte schöne alte Müllerin auf dein Hausthürtritt. Es ist in Wahrheit ein Soimnerferienheft, zu dessen losen Blättern ich jetzt Wo bleiben alle die Bilder? Wie ich die Sache im "Spiel der Gedanken" angefangen habe, so muß Die Morgensonne, auf welche uns Jungfer Christine hingewiesen hatte, fiel Der nächste Morgen sah uns mit unsern kuriosen Vagabunden-Hanshalts- Es ging, solange diese letzte Sonne mir über meines Vaters Hause stand, Grenzboten IV. 1884. 75
Pfisters Mühle. liebe, abgebrochene Trostworte flüsternd, die Thränen aus den Augen und von Zwanzigstes Blatt. Alte schöne Lieder von ferne; die letzte schöne alte Müllerin auf dein Hausthürtritt. Es ist in Wahrheit ein Soimnerferienheft, zu dessen losen Blättern ich jetzt Wo bleiben alle die Bilder? Wie ich die Sache im „Spiel der Gedanken" angefangen habe, so muß Die Morgensonne, auf welche uns Jungfer Christine hingewiesen hatte, fiel Der nächste Morgen sah uns mit unsern kuriosen Vagabunden-Hanshalts- Es ging, solange diese letzte Sonne mir über meines Vaters Hause stand, Grenzboten IV. 1884. 75
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Pfisters Mühle.
liebe, abgebrochene Trostworte flüsternd, die Thränen aus den Augen und von
den runzligen Backen.
Zwanzigstes Blatt. Alte schöne Lieder von ferne; die letzte schöne alte Müllerin
auf dein Hausthürtritt.
Es ist in Wahrheit ein Soimnerferienheft, zu dessen losen Blättern ich jetzt
die letzten zusammensuche, ehe ich es mit einem blauen Umschlage versehe, zu¬
sammenrotte, von meiner jungen Hausehre ein rotes Bändchen drum binden lasse
und es in die tiefsten Tiefen meines Hausarchivs versenke. Wie ist das Ge¬
kritzel zusammengekommen? Die Buchstaben, die Klexe, die Gedankenstriche und
Ausrufungszeichen müssen selber ihr blaues Wunder in der Dunkelheit ihrer
Truhe uuter meinem Schreibtisch in der großen Stadt Berlin haben! Das
mürbe unter Dach geschriebett, das unterm Busch auf der Wiese; ans diese
Seite fiel der helle, heiße Julisonnenscbciu, hier ist die Schrift iueiuandcrgeflvssen
und trägt, so lange das Papier halten will, die Spuren, daß das Ding mit
Not aus einem plötzlichen Platzregenschauer in Emmys Handkörbchen gerettet
wurde. Gar glatt liegen die Bogen nicht aufeinander; der Wind hat dann und
wann allzulustig damit gespielt; und — hier ist eine Seite, auf der ich alles
mitnehme, was mir von dem Erdboden auf meines Vaters Erbe übrig geblieben
ist. Der Wind trieb es vor sich her durch Vater Pfisters Mühlgarten, und
ich hatte ihm lange genug um die Kastanienbciiime nachzujagen, bis ich es unter
der letzten Bank am Wasser wieder erhaschte.
Wo bleiben alle die Bilder?
Wie ich die Sache im „Spiel der Gedanken" angefangen habe, so muß
ich sie nun beenden, und der bitterste Ernst wird sich auch auf diesen letzten
Blättern in die seltsame Form finden müssen, welche ihm nur eine solche un¬
gewöhnliche Sommerfrische geben konnte.
Die Morgensonne, auf welche uns Jungfer Christine hingewiesen hatte, fiel
lachend in unser Gemach, und wir hatten den letzten Tag unsers Aufenthaltes
in Pfisters Mühle vor uns. Noch einmal diese Welt in voller Schöne!
Der nächste Morgen sah uns mit unsern kuriosen Vagabunden-Hanshalts-
Habseligkeitcn auf der Fahrt, zurück in den Alltag, zu dem „eignen Herd," den
lateinischen Exerzitien lind regelrechten deutschen Aufsätzen — kurz, allen nor¬
malen Stilübungen und soliden Lebensbedingungen, und wie Emmy sich ganz
richtig ausdrückte, zu „unserm jetzigen eigentlichen Dasein auf dieser Erde." Es
ging nicht, es ging nicht an, es war eine Unmöglichkeit, diesen letzten Heimats¬
sonnentag, wie ich es mir vorgenommen hatte, ganz den vergangnen, verblichenen
Bildern zu widmen! Blieb uns doch mich noch der letzte Abend, wenn nichts
dazwischenkam und mich hinderte, die Geschichten vom Ausgange von Pfisters
Mühle meiner Frau zu Ende zu erzählen.
Es ging, solange diese letzte Sonne mir über meines Vaters Hause stand,
nicht an, von neuem mit Adam Asche nach dein Hut in der trüben Schlamm¬
flut von Vaters Pfisters Mühlwnsser fischen zu gehen. Emmy kannte ein Ge¬
hölz, wo „wundervoller Epheu" wuchs, und wir waren schon im Thau dort,
einen Busch mit Wurzeln für unsern Fenstergarten in Berlin auszugraben.
Grenzboten IV. 1884. 75
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