Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.Lin Roman aus den dreißiger Jahren. ist nun eben der unglückliche Weidig, Um seine Erzählung einigermaßen zu¬ Referendar von Dicmar, der anfangs im Begriff steht, sich in die Schwester Lin Roman aus den dreißiger Jahren. ist nun eben der unglückliche Weidig, Um seine Erzählung einigermaßen zu¬ Referendar von Dicmar, der anfangs im Begriff steht, sich in die Schwester <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0591" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/157516"/> <fw type="header" place="top"> Lin Roman aus den dreißiger Jahren.</fw><lb/> <p xml:id="ID_2037" prev="#ID_2036"> ist nun eben der unglückliche Weidig, Um seine Erzählung einigermaßen zu¬<lb/> sammenzuhalten, um sie mit der halb ernsten, halb humoristischen Darstellung<lb/> des oberhessischen Bauernaufruhrs im Herbste 1830 lebendiger zu machen und<lb/> dem Pfarrer von Oderwiesen die Gloriole eines Ordnuugsstiftcrs ums Haupt<lb/> zu legen, läßt Otto Müller seinen Pfarrer Friedrich schon um die Zeit der Juli¬<lb/> revolution in einem Vogelsberger Dorfe leben. Thatsächlich war Weidig damals<lb/> seit einer Reihe von Jahren Rektor zu Butzbach. Er gehörte zu jenen isolirten<lb/> Naturen, welche unter gänzlich veränderten Verhältnissen die Träume und Stim¬<lb/> mungen des zweiten Jahrzehnts unsers Jahrhunderts festhielten. Er war bis<lb/> zu den Karlsbader Beschlüssen im wesentlichen ein Anhänger der konstitutionellen<lb/> Partei in Hessen gewesen, aber hatte sich seitdem durch den Ingrimm über die<lb/> Verwaltung des Ministers dn THU und den Bundestag von kühnen und wage¬<lb/> halsigen Naturen weiter treiben lassen. Er ward ein Mitwisser, wenn anch nicht<lb/> Teilnehmer des Frankfurter Attentats von 1833, er widersetzte sich der straffen<lb/> Organisation, welche der radikale Georg Büchner den geheimen Zusammenkünften<lb/> der Gleichgesinnten geben wollte, und beteiligte sich dann doch an den Unter¬<lb/> nehmungen der von Büchner gestifteten Gesellschaft der Menschenrechte, korri-<lb/> girte Büchners sozialistisches Brandpamphlet „Der hessische Landbote," versah<lb/> dasselbe mit biblischen Zitaten und bot, wenn auch widerwillig, die Hand zum<lb/> Geheimdruck und zur Verbreitung der Schrift. Infolge der Denunziationen<lb/> eines Butzbacher Bürgers, Kühle (des bösen Genius der hessischen Demokraten<lb/> und Geheimbündler), ward Weidig zuerst vergeblich in Untersuchung genommen<lb/> und dann zur Strafe als Pfarrer nach Obergleen gesandt. Also erst seit dem<lb/> Herbste des Jahres 1834 war das Urbild des Pfarrers Friedrich in geistlicher<lb/> Thätigkeit. Doch käme auf diese Umbiegung der Geschichte nicht allzuviel an,<lb/> wenn dadurch uur irgendetwas für deu weiter» Gang des Romans ge¬<lb/> wonnen wäre.</p><lb/> <p xml:id="ID_2038" next="#ID_2039"> Referendar von Dicmar, der anfangs im Begriff steht, sich in die Schwester<lb/> der Frau Pfarrer Friedrich, eine schwärmerische Anhängerin der Überzeugungen<lb/> und der (im guten Sinne) dämonischen Natur ihres Schwagers, zu verlieben,<lb/> wird hier von seinem intimsten Freund, dem Maler Flambo, abgelöst. Der<lb/> Vaueruaufstcmd bricht aus, und in seinem Gefolge und nachdem er an Stelle<lb/> Rutharts Amtsrichter zu Hessenfeld geworden ist, überzeugt sich der Held, daß<lb/> Pfarrer Friedrich nicht bloß ein idealistischer Schwärmer ist, sondern der realen<lb/> Agitation nahe genug steht. Da er aber einige Zeit später durch Nachrichten<lb/> von seiner in Darmstadt lebenden Mutter und über seine Cousine Irene (welche<lb/> am Tage vor der Hochzeit den ungeliebten Bräutigam, Rittmeister von Klingen-<lb/> bcrg, verabschiedet hat), zur Rückkehr nach Darmstadt bestimmt wird, so kann<lb/> er sich um die weitere Enträtselung des unverständlichen Treibens und um die<lb/> nächsten Schicksale Friedrichs zunächst nicht kümmern. Ernst von Diemar läßt<lb/> sich um als Rechtsanwalt in der Residenz nieder und widersteht noch längere</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0591]
Lin Roman aus den dreißiger Jahren.
ist nun eben der unglückliche Weidig, Um seine Erzählung einigermaßen zu¬
sammenzuhalten, um sie mit der halb ernsten, halb humoristischen Darstellung
des oberhessischen Bauernaufruhrs im Herbste 1830 lebendiger zu machen und
dem Pfarrer von Oderwiesen die Gloriole eines Ordnuugsstiftcrs ums Haupt
zu legen, läßt Otto Müller seinen Pfarrer Friedrich schon um die Zeit der Juli¬
revolution in einem Vogelsberger Dorfe leben. Thatsächlich war Weidig damals
seit einer Reihe von Jahren Rektor zu Butzbach. Er gehörte zu jenen isolirten
Naturen, welche unter gänzlich veränderten Verhältnissen die Träume und Stim¬
mungen des zweiten Jahrzehnts unsers Jahrhunderts festhielten. Er war bis
zu den Karlsbader Beschlüssen im wesentlichen ein Anhänger der konstitutionellen
Partei in Hessen gewesen, aber hatte sich seitdem durch den Ingrimm über die
Verwaltung des Ministers dn THU und den Bundestag von kühnen und wage¬
halsigen Naturen weiter treiben lassen. Er ward ein Mitwisser, wenn anch nicht
Teilnehmer des Frankfurter Attentats von 1833, er widersetzte sich der straffen
Organisation, welche der radikale Georg Büchner den geheimen Zusammenkünften
der Gleichgesinnten geben wollte, und beteiligte sich dann doch an den Unter¬
nehmungen der von Büchner gestifteten Gesellschaft der Menschenrechte, korri-
girte Büchners sozialistisches Brandpamphlet „Der hessische Landbote," versah
dasselbe mit biblischen Zitaten und bot, wenn auch widerwillig, die Hand zum
Geheimdruck und zur Verbreitung der Schrift. Infolge der Denunziationen
eines Butzbacher Bürgers, Kühle (des bösen Genius der hessischen Demokraten
und Geheimbündler), ward Weidig zuerst vergeblich in Untersuchung genommen
und dann zur Strafe als Pfarrer nach Obergleen gesandt. Also erst seit dem
Herbste des Jahres 1834 war das Urbild des Pfarrers Friedrich in geistlicher
Thätigkeit. Doch käme auf diese Umbiegung der Geschichte nicht allzuviel an,
wenn dadurch uur irgendetwas für deu weiter» Gang des Romans ge¬
wonnen wäre.
Referendar von Dicmar, der anfangs im Begriff steht, sich in die Schwester
der Frau Pfarrer Friedrich, eine schwärmerische Anhängerin der Überzeugungen
und der (im guten Sinne) dämonischen Natur ihres Schwagers, zu verlieben,
wird hier von seinem intimsten Freund, dem Maler Flambo, abgelöst. Der
Vaueruaufstcmd bricht aus, und in seinem Gefolge und nachdem er an Stelle
Rutharts Amtsrichter zu Hessenfeld geworden ist, überzeugt sich der Held, daß
Pfarrer Friedrich nicht bloß ein idealistischer Schwärmer ist, sondern der realen
Agitation nahe genug steht. Da er aber einige Zeit später durch Nachrichten
von seiner in Darmstadt lebenden Mutter und über seine Cousine Irene (welche
am Tage vor der Hochzeit den ungeliebten Bräutigam, Rittmeister von Klingen-
bcrg, verabschiedet hat), zur Rückkehr nach Darmstadt bestimmt wird, so kann
er sich um die weitere Enträtselung des unverständlichen Treibens und um die
nächsten Schicksale Friedrichs zunächst nicht kümmern. Ernst von Diemar läßt
sich um als Rechtsanwalt in der Residenz nieder und widersteht noch längere
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |