Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.Gin Roman aus den dreißiger Jahren. Zeit dem eignen Herzen, das ihn zu Fräulein Irene von Armee zurückdrängt. Plötzlich und ganz unvermittelt läßt der Verfasser die Fiktion, nach der Gin Roman aus den dreißiger Jahren. Zeit dem eignen Herzen, das ihn zu Fräulein Irene von Armee zurückdrängt. Plötzlich und ganz unvermittelt läßt der Verfasser die Fiktion, nach der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0592" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/157517"/> <fw type="header" place="top"> Gin Roman aus den dreißiger Jahren.</fw><lb/> <p xml:id="ID_2039" prev="#ID_2038"> Zeit dem eignen Herzen, das ihn zu Fräulein Irene von Armee zurückdrängt.<lb/> Die jungen Leute Verkehren äußerlich kühl miteinander, Irene kommt täglich ins<lb/> Haus der Forsträtin von Diemar, der Mutter Ernsts, aber bleibt dem Vetter<lb/> gegenüber auf einer Art Kriegsfuß, denn sie hat sich fest und heilig geschworen,<lb/> „daß der erste Irrtum ihres Herzens auch ihr letzter gewesen sein solle fürs<lb/> ganze Leben; es sei denn, daß Vetter Ernst zu ihr zurückkehre und ihr reu¬<lb/> mütig seinen bedeutenden Schuldenteil an diesem Irrtum ihrer unerfahrenen<lb/> Jugend eingestünde." Dazu bezeugt Herr von Diemar vor der Hand wenig<lb/> Lust, aber die Katastrophe, die über das Pfarrhaus in Oderwiesen herein¬<lb/> bricht und der wir nicht unmittelbar beiwohnen, sondern von der wir nur<lb/> hören, bringt die Entscheidung. Irene von Armee nimmt die unglückliche Schwä¬<lb/> gerin des verhafteten Pfarrers Friedrich, die nach Darmstadt kommt, um Hilfe<lb/> und Gerechtigkeit für deu „unschuldig" Verhafteten zu suchen, mutig bei sich<lb/> auf, nötigt dadurch ihre loyal gesinnte, aber menschlich gute und hilfreiche Tante,<lb/> der Ärmsten ein Asyl zu bieten, und bricht mit einemmale das Eis der Mi߬<lb/> verständnisse, das sich zwischen ihr selbst und Ernst von Diemar gebildet hat.<lb/> Freilich ist in den Augen vieler Darmstädter die Aufnahme Auguste Welckers<lb/> in das Haus der alten Forsträtin nichts andres als eine offne Parteinahme<lb/> für den des Hochverrats angeklagten Pfarrer, dessen Verhaftung bald im ganzen<lb/> Lande das größte Aufsehen erregte; zumal da von oben alles geschah, diesen<lb/> Justizakt als eine staatsrettende That darzustellen, indem man in ihm das Haupt<lb/> einer weitverzweigten Verschwörung entdeckt haben wollte, nach welchem die<lb/> Polizei schon seit dem Frankfurter Attentat auf die Konstablerwache vergebens<lb/> geforscht hatte. Wie dem immer sei, die Diemars bleiben bei ihrem mensch¬<lb/> lichen Interesse für die armen Frauen der Friedrichschen Familie und für den<lb/> Eingekerkerten selbst. In diesem Mitgefühl finden sich auch die getrennten<lb/> Herzen Ernsts und Irenens wieder zusammen, Fräulein von Armee wird die<lb/> Braut des Nechtscmwalts, und es gewinnt fast den Anschein, als sollte der<lb/> Friedrichsche Fall nur dazu gedient haben, um dieses Stück des Romans zum<lb/> Abschluß zu bringen. Denn der Fortgang desselben wird nur dadurch gewonnen,<lb/> daß die Erzählung, nachdem humoristisch geschildert worden ist, wie Diemar<lb/> und seine Braut dem Präsidenten von Armee und dessen würdiger Gattin die<lb/> Einwilligung zu ihrer Vermählung abzwingen, zu den Schicksalen der Schwä¬<lb/> gerin Friedrichs und ihren treuen und vergeblichen Bemühungen, dem unglück¬<lb/> lichen Gefangenen zu helfen, überspringt und im übrigen die Erlebnisse dieses<lb/> Gefangenen im Darmstädter Arresthaus bald unmittelbar vorgeführt, bald nur<lb/> angedeutet werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_2040" next="#ID_2041"> Plötzlich und ganz unvermittelt läßt der Verfasser die Fiktion, nach der<lb/> er Weidig als Pfarrer Friedrich einführte, fallen und leitet seine neue Dar¬<lb/> stellungsweise mit den Worten ein: „Wir schreiben keinen Gefängnisroman im<lb/> Genre von I>s mis xriAioui von Silvio Pelileo, diesem berühmtesten Märtyrer</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0592]
Gin Roman aus den dreißiger Jahren.
Zeit dem eignen Herzen, das ihn zu Fräulein Irene von Armee zurückdrängt.
Die jungen Leute Verkehren äußerlich kühl miteinander, Irene kommt täglich ins
Haus der Forsträtin von Diemar, der Mutter Ernsts, aber bleibt dem Vetter
gegenüber auf einer Art Kriegsfuß, denn sie hat sich fest und heilig geschworen,
„daß der erste Irrtum ihres Herzens auch ihr letzter gewesen sein solle fürs
ganze Leben; es sei denn, daß Vetter Ernst zu ihr zurückkehre und ihr reu¬
mütig seinen bedeutenden Schuldenteil an diesem Irrtum ihrer unerfahrenen
Jugend eingestünde." Dazu bezeugt Herr von Diemar vor der Hand wenig
Lust, aber die Katastrophe, die über das Pfarrhaus in Oderwiesen herein¬
bricht und der wir nicht unmittelbar beiwohnen, sondern von der wir nur
hören, bringt die Entscheidung. Irene von Armee nimmt die unglückliche Schwä¬
gerin des verhafteten Pfarrers Friedrich, die nach Darmstadt kommt, um Hilfe
und Gerechtigkeit für deu „unschuldig" Verhafteten zu suchen, mutig bei sich
auf, nötigt dadurch ihre loyal gesinnte, aber menschlich gute und hilfreiche Tante,
der Ärmsten ein Asyl zu bieten, und bricht mit einemmale das Eis der Mi߬
verständnisse, das sich zwischen ihr selbst und Ernst von Diemar gebildet hat.
Freilich ist in den Augen vieler Darmstädter die Aufnahme Auguste Welckers
in das Haus der alten Forsträtin nichts andres als eine offne Parteinahme
für den des Hochverrats angeklagten Pfarrer, dessen Verhaftung bald im ganzen
Lande das größte Aufsehen erregte; zumal da von oben alles geschah, diesen
Justizakt als eine staatsrettende That darzustellen, indem man in ihm das Haupt
einer weitverzweigten Verschwörung entdeckt haben wollte, nach welchem die
Polizei schon seit dem Frankfurter Attentat auf die Konstablerwache vergebens
geforscht hatte. Wie dem immer sei, die Diemars bleiben bei ihrem mensch¬
lichen Interesse für die armen Frauen der Friedrichschen Familie und für den
Eingekerkerten selbst. In diesem Mitgefühl finden sich auch die getrennten
Herzen Ernsts und Irenens wieder zusammen, Fräulein von Armee wird die
Braut des Nechtscmwalts, und es gewinnt fast den Anschein, als sollte der
Friedrichsche Fall nur dazu gedient haben, um dieses Stück des Romans zum
Abschluß zu bringen. Denn der Fortgang desselben wird nur dadurch gewonnen,
daß die Erzählung, nachdem humoristisch geschildert worden ist, wie Diemar
und seine Braut dem Präsidenten von Armee und dessen würdiger Gattin die
Einwilligung zu ihrer Vermählung abzwingen, zu den Schicksalen der Schwä¬
gerin Friedrichs und ihren treuen und vergeblichen Bemühungen, dem unglück¬
lichen Gefangenen zu helfen, überspringt und im übrigen die Erlebnisse dieses
Gefangenen im Darmstädter Arresthaus bald unmittelbar vorgeführt, bald nur
angedeutet werden.
Plötzlich und ganz unvermittelt läßt der Verfasser die Fiktion, nach der
er Weidig als Pfarrer Friedrich einführte, fallen und leitet seine neue Dar¬
stellungsweise mit den Worten ein: „Wir schreiben keinen Gefängnisroman im
Genre von I>s mis xriAioui von Silvio Pelileo, diesem berühmtesten Märtyrer
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