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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Ein Roman aus den dreißiger Jahren.

an der Stadtkirche, der neuerdings sein Geschäft ansehnlich erweitert hatte, indem
er seine Kolonialwaaren nicht mehr wie sonst durch ooinmis vo^Asurs bestellte,
sondern sie direkt vom Grossisten in Frankfurt am Main bezog, wohin der
Frachtfuhrmann, solange es die Witterung und der Zustand der Straßen er¬
laubte, alle vierzehn Tage mit seinem zwcircidrigen Karren fuhr, da er einen
schwunghaften Butter- und Eierhandel dorthin betrieb und von wo er denen,
welche nach den höheren Genüssen des Lebens verlangte, alles Gewünschte als
Rückfracht mitbrachte. Zwar litten die feinen Luxus- und Modeartikel nicht
selten durch den mehrtägigen Transport auf dem plumpen Fuhrmannskarren
unter den vielen andern minder diffiziler Frachtgütern. Aber einmal gab es
keine andre regelmäßige Fahrgelegenheit nach der etwa zwanzig Stunden ent¬
fernten Handelsstadt, und zum andern gehörten solche Havarien auf dem Fest¬
lande zu den gewohnten ortsübliche" Mißständen, die man geduldig hinnehmen
mußte, wie die übrigen Mängel und Entbehrungen in diesem entlegenen Erdenwinkel,
z. B, eines guten Pflasters, einer Straßenbeleuchtung, einer städtischen Promenade,
und vor allem einer angenehmen Geselligkeit mit geiht- und gemütanregenden Ele¬
menten, wozu man aber leider trotz aller Anläufe niemals gelangen konnte."

Nachdem der Kaffeeklatsch und die Fraubaserei als die eigentlichen Ursachen
der trübselig geselligen Verhältnisse ehrlich bezeichnet worden find, fährt die
Schilderung gleichwohl wörtlich fort: "Wie ein dumpfer Druck lastete das Metter-
nichsche Regime auf allen Geistern, und wer diese Zeit der krassesten Reaktion
mit erlebt hat, erinnert sich auch noch des traurigen Anteils, welchen dieses
politische Bevormundungsshstem an der Verkommenheit des geselligen Lebens
hatte, besonders in den Kleinstaaten mit ihrer inhumanen Bureaukratie und der
über alles Lob erhabenen Loyalität ihres Bürgertums."

Welch eine oberflächliche oder sophistische Kausalvcrbindung zwischen dem
Metternichschen System und der geistigen und gemütlichen Armseligkeit in einer
kleinen oberhcssischen Stadt! Als ob das System Metternichs je einen Augenblick
jene freieste, edelste und unter den beschränktesten Verhältnissen zu behauptende Bil¬
dung beeinflußt hätte, die ihre Wurzeln in Kant, Goethe, Schiller und Beethoven hat.
Zu den wunderlichsten Fabeln, die freilich in jedermanns Munde sind, gehört die
vom Verfasser hier aufgetischte, daß die wahren und vermeinten Mängel der poli¬
tischen Verfassung die selbstgefällige Roheit und den bildungslosen Dünkel eines
guten Teils des deutschen Mittelstandes verschuldet hätten. Die Probe ist
seitdem gemacht worden, es ist ein politischer Umschwung der weitreichendsten
Art eingetreten, und die Armseligkeit, die Bedürfnislosigkeit in allen über den
grob materiellen Genuß hinausragenden Dingen ist in weiten Kreisen dieselbe
geblieben, oder vielmehr, sie ist schlimmer geworden. Man thäte wohl, vor der
eignen Thür zu kehren, Metternich, der wahrlich genug auf dem Kerbholz hat,
nicht für die Sünden des deutschen Schlafrockphilisteriums, der geistigen Träg¬
heit und der anmutlosen Gewohnheit im Hausleben und im persönlichen Ver-


Ein Roman aus den dreißiger Jahren.

an der Stadtkirche, der neuerdings sein Geschäft ansehnlich erweitert hatte, indem
er seine Kolonialwaaren nicht mehr wie sonst durch ooinmis vo^Asurs bestellte,
sondern sie direkt vom Grossisten in Frankfurt am Main bezog, wohin der
Frachtfuhrmann, solange es die Witterung und der Zustand der Straßen er¬
laubte, alle vierzehn Tage mit seinem zwcircidrigen Karren fuhr, da er einen
schwunghaften Butter- und Eierhandel dorthin betrieb und von wo er denen,
welche nach den höheren Genüssen des Lebens verlangte, alles Gewünschte als
Rückfracht mitbrachte. Zwar litten die feinen Luxus- und Modeartikel nicht
selten durch den mehrtägigen Transport auf dem plumpen Fuhrmannskarren
unter den vielen andern minder diffiziler Frachtgütern. Aber einmal gab es
keine andre regelmäßige Fahrgelegenheit nach der etwa zwanzig Stunden ent¬
fernten Handelsstadt, und zum andern gehörten solche Havarien auf dem Fest¬
lande zu den gewohnten ortsübliche» Mißständen, die man geduldig hinnehmen
mußte, wie die übrigen Mängel und Entbehrungen in diesem entlegenen Erdenwinkel,
z. B, eines guten Pflasters, einer Straßenbeleuchtung, einer städtischen Promenade,
und vor allem einer angenehmen Geselligkeit mit geiht- und gemütanregenden Ele¬
menten, wozu man aber leider trotz aller Anläufe niemals gelangen konnte."

Nachdem der Kaffeeklatsch und die Fraubaserei als die eigentlichen Ursachen
der trübselig geselligen Verhältnisse ehrlich bezeichnet worden find, fährt die
Schilderung gleichwohl wörtlich fort: „Wie ein dumpfer Druck lastete das Metter-
nichsche Regime auf allen Geistern, und wer diese Zeit der krassesten Reaktion
mit erlebt hat, erinnert sich auch noch des traurigen Anteils, welchen dieses
politische Bevormundungsshstem an der Verkommenheit des geselligen Lebens
hatte, besonders in den Kleinstaaten mit ihrer inhumanen Bureaukratie und der
über alles Lob erhabenen Loyalität ihres Bürgertums."

Welch eine oberflächliche oder sophistische Kausalvcrbindung zwischen dem
Metternichschen System und der geistigen und gemütlichen Armseligkeit in einer
kleinen oberhcssischen Stadt! Als ob das System Metternichs je einen Augenblick
jene freieste, edelste und unter den beschränktesten Verhältnissen zu behauptende Bil¬
dung beeinflußt hätte, die ihre Wurzeln in Kant, Goethe, Schiller und Beethoven hat.
Zu den wunderlichsten Fabeln, die freilich in jedermanns Munde sind, gehört die
vom Verfasser hier aufgetischte, daß die wahren und vermeinten Mängel der poli¬
tischen Verfassung die selbstgefällige Roheit und den bildungslosen Dünkel eines
guten Teils des deutschen Mittelstandes verschuldet hätten. Die Probe ist
seitdem gemacht worden, es ist ein politischer Umschwung der weitreichendsten
Art eingetreten, und die Armseligkeit, die Bedürfnislosigkeit in allen über den
grob materiellen Genuß hinausragenden Dingen ist in weiten Kreisen dieselbe
geblieben, oder vielmehr, sie ist schlimmer geworden. Man thäte wohl, vor der
eignen Thür zu kehren, Metternich, der wahrlich genug auf dem Kerbholz hat,
nicht für die Sünden des deutschen Schlafrockphilisteriums, der geistigen Träg¬
heit und der anmutlosen Gewohnheit im Hausleben und im persönlichen Ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/589>, abgerufen am 29.12.2024.