Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Unsre überseeische Politik und ihre Gegner.

und Geldgewinn das Einzige, was bei der Frage der Dampfersubvcntion oder
der Kolonisation in betracht komme. Vielen fällt es eben nicht ein, über den
Unterschied nachzudenken zwischen dem Auswanderer, der deutsch blieb, und dem,
der englisch wurde; sie sehen eben auch nur, daß beide reiche Leute wurden.

Oil n'sinxortö 1a pg,tris W bout ä"Z8 Minsllss -- soll Danton ge¬
sagt haben, als er zur Flucht aufgefordert wurde. Darauf eben kommt es an,
daß man, indem man auswandert, die Heimat mit sich nimmt. Das thut der
Engländer, und noch neulich sagte mir jemand, er würde, um als Auswanderer
deutsch zu bleiben, beobachten, wie der Engländer sich national draußen betrage,
und dann genau dasselbe als Deutscher thu". Darin lag die Anerkennung dessen,
daß der Engländer es verstehe, die Heimat überallhin mitzunehmen. Aber niemand
wird im Ernst von uns Deutschen verlangen, daß wir uns überall ebenso zu Hause
fühlen wie der Engländer. Denn es liegt einfach nicht in der Macht des Einzelnen,
die Heimat mit sich zu nehmen. Der Engländer fährt durch alle Meere von
einer englischen Station zur andern, wir aber nicht; der Engländer erwartet
überall draußen staatlichen Schutz und Hilfe sogut wie in London oder Edinburg,
wir haben diese Gewohnheit aber nicht. Der Engländer ist so begierig, Geld zu
erwerben, wie nur einer in der Welt, aber er will es überall möglichst ans
englischem Boden, auf englische Weise, mit englischen Mitteln, er will es thun,
indem er vollkommen englisch bleibt. Zu solchem Willen haben unsre nationalen
und staatlichen Verhältnisse uns bisher nicht berechtigt noch erzogen. Der
deutsche Auswanderer wäre einfach unvernünftig, wenn er in der fremden Ko¬
lonie darauf bestünde, deutsch zu reden oder nach deutschen Sitten oder Rechts¬
sätzen zu leben: er würde sich vou der Gesellschaft selbst ausschließen, würde
weder Million noch Farm erwerben. Er muß sich der fremden Kultur fügen,
um zu leben, um zu arbeiten; er mag persönlich noch so reich werden, noch so
gut auf sein Volkstum halten: das ganze öffentliche Leben, das ganze Geschäfts¬
leben um ihn her ist englisch und fordert in gewissen Grenzen Unterwerfung.
Sein Geschäft nötigt ihn zur Unterwerfung, so sehr, daß er oft auch mit deut¬
schen Geschäftsfreunden in der Kolonie englisch verkehren, seine Bücher englisch
führen muß. Selbst in seinem Verkehr mit der Heimat muß er englische Ver¬
mittlung wählen, englische Wechsel, englische Adresse brauchen. Was unterstützt
da das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit mit Deutschland in ihm? Wo
empfinder er das Volkstum, die nationale Gemeinheit des Staates? Er ist
froh, wenn ein Konsul ihn gegen persönliche Vergewaltigung schützt; gegen die
Übermacht des nationalen Wesens schützt ihn nichts als etwa seine eigne außer¬
ordentliche nationale Zähigkeit. Eine Zähigkeit, die Einzelne wohl besitzen, die
man aber vom Durchschnitt nicht erwarten kann, heute wenigstens nicht. Denn
unser bisheriges staatliches Leben hat wahrlich solche Zähigkeit nicht gefördert,
vielmehr das nationale Bewußtsein lange und arg geschädigt. Hat nun der
Staat etwa das Recht, eine nationale Tugend von seinen Bürgern zu fordern,


Unsre überseeische Politik und ihre Gegner.

und Geldgewinn das Einzige, was bei der Frage der Dampfersubvcntion oder
der Kolonisation in betracht komme. Vielen fällt es eben nicht ein, über den
Unterschied nachzudenken zwischen dem Auswanderer, der deutsch blieb, und dem,
der englisch wurde; sie sehen eben auch nur, daß beide reiche Leute wurden.

Oil n'sinxortö 1a pg,tris W bout ä«Z8 Minsllss — soll Danton ge¬
sagt haben, als er zur Flucht aufgefordert wurde. Darauf eben kommt es an,
daß man, indem man auswandert, die Heimat mit sich nimmt. Das thut der
Engländer, und noch neulich sagte mir jemand, er würde, um als Auswanderer
deutsch zu bleiben, beobachten, wie der Engländer sich national draußen betrage,
und dann genau dasselbe als Deutscher thu«. Darin lag die Anerkennung dessen,
daß der Engländer es verstehe, die Heimat überallhin mitzunehmen. Aber niemand
wird im Ernst von uns Deutschen verlangen, daß wir uns überall ebenso zu Hause
fühlen wie der Engländer. Denn es liegt einfach nicht in der Macht des Einzelnen,
die Heimat mit sich zu nehmen. Der Engländer fährt durch alle Meere von
einer englischen Station zur andern, wir aber nicht; der Engländer erwartet
überall draußen staatlichen Schutz und Hilfe sogut wie in London oder Edinburg,
wir haben diese Gewohnheit aber nicht. Der Engländer ist so begierig, Geld zu
erwerben, wie nur einer in der Welt, aber er will es überall möglichst ans
englischem Boden, auf englische Weise, mit englischen Mitteln, er will es thun,
indem er vollkommen englisch bleibt. Zu solchem Willen haben unsre nationalen
und staatlichen Verhältnisse uns bisher nicht berechtigt noch erzogen. Der
deutsche Auswanderer wäre einfach unvernünftig, wenn er in der fremden Ko¬
lonie darauf bestünde, deutsch zu reden oder nach deutschen Sitten oder Rechts¬
sätzen zu leben: er würde sich vou der Gesellschaft selbst ausschließen, würde
weder Million noch Farm erwerben. Er muß sich der fremden Kultur fügen,
um zu leben, um zu arbeiten; er mag persönlich noch so reich werden, noch so
gut auf sein Volkstum halten: das ganze öffentliche Leben, das ganze Geschäfts¬
leben um ihn her ist englisch und fordert in gewissen Grenzen Unterwerfung.
Sein Geschäft nötigt ihn zur Unterwerfung, so sehr, daß er oft auch mit deut¬
schen Geschäftsfreunden in der Kolonie englisch verkehren, seine Bücher englisch
führen muß. Selbst in seinem Verkehr mit der Heimat muß er englische Ver¬
mittlung wählen, englische Wechsel, englische Adresse brauchen. Was unterstützt
da das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit mit Deutschland in ihm? Wo
empfinder er das Volkstum, die nationale Gemeinheit des Staates? Er ist
froh, wenn ein Konsul ihn gegen persönliche Vergewaltigung schützt; gegen die
Übermacht des nationalen Wesens schützt ihn nichts als etwa seine eigne außer¬
ordentliche nationale Zähigkeit. Eine Zähigkeit, die Einzelne wohl besitzen, die
man aber vom Durchschnitt nicht erwarten kann, heute wenigstens nicht. Denn
unser bisheriges staatliches Leben hat wahrlich solche Zähigkeit nicht gefördert,
vielmehr das nationale Bewußtsein lange und arg geschädigt. Hat nun der
Staat etwa das Recht, eine nationale Tugend von seinen Bürgern zu fordern,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0566" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/157491"/>
          <fw type="header" place="top"> Unsre überseeische Politik und ihre Gegner.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1978" prev="#ID_1977"> und Geldgewinn das Einzige, was bei der Frage der Dampfersubvcntion oder<lb/>
der Kolonisation in betracht komme. Vielen fällt es eben nicht ein, über den<lb/>
Unterschied nachzudenken zwischen dem Auswanderer, der deutsch blieb, und dem,<lb/>
der englisch wurde; sie sehen eben auch nur, daß beide reiche Leute wurden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1979" next="#ID_1980"> Oil n'sinxortö 1a pg,tris W bout ä«Z8 Minsllss &#x2014; soll Danton ge¬<lb/>
sagt haben, als er zur Flucht aufgefordert wurde. Darauf eben kommt es an,<lb/>
daß man, indem man auswandert, die Heimat mit sich nimmt. Das thut der<lb/>
Engländer, und noch neulich sagte mir jemand, er würde, um als Auswanderer<lb/>
deutsch zu bleiben, beobachten, wie der Engländer sich national draußen betrage,<lb/>
und dann genau dasselbe als Deutscher thu«. Darin lag die Anerkennung dessen,<lb/>
daß der Engländer es verstehe, die Heimat überallhin mitzunehmen. Aber niemand<lb/>
wird im Ernst von uns Deutschen verlangen, daß wir uns überall ebenso zu Hause<lb/>
fühlen wie der Engländer. Denn es liegt einfach nicht in der Macht des Einzelnen,<lb/>
die Heimat mit sich zu nehmen. Der Engländer fährt durch alle Meere von<lb/>
einer englischen Station zur andern, wir aber nicht; der Engländer erwartet<lb/>
überall draußen staatlichen Schutz und Hilfe sogut wie in London oder Edinburg,<lb/>
wir haben diese Gewohnheit aber nicht. Der Engländer ist so begierig, Geld zu<lb/>
erwerben, wie nur einer in der Welt, aber er will es überall möglichst ans<lb/>
englischem Boden, auf englische Weise, mit englischen Mitteln, er will es thun,<lb/>
indem er vollkommen englisch bleibt. Zu solchem Willen haben unsre nationalen<lb/>
und staatlichen Verhältnisse uns bisher nicht berechtigt noch erzogen. Der<lb/>
deutsche Auswanderer wäre einfach unvernünftig, wenn er in der fremden Ko¬<lb/>
lonie darauf bestünde, deutsch zu reden oder nach deutschen Sitten oder Rechts¬<lb/>
sätzen zu leben: er würde sich vou der Gesellschaft selbst ausschließen, würde<lb/>
weder Million noch Farm erwerben. Er muß sich der fremden Kultur fügen,<lb/>
um zu leben, um zu arbeiten; er mag persönlich noch so reich werden, noch so<lb/>
gut auf sein Volkstum halten: das ganze öffentliche Leben, das ganze Geschäfts¬<lb/>
leben um ihn her ist englisch und fordert in gewissen Grenzen Unterwerfung.<lb/>
Sein Geschäft nötigt ihn zur Unterwerfung, so sehr, daß er oft auch mit deut¬<lb/>
schen Geschäftsfreunden in der Kolonie englisch verkehren, seine Bücher englisch<lb/>
führen muß. Selbst in seinem Verkehr mit der Heimat muß er englische Ver¬<lb/>
mittlung wählen, englische Wechsel, englische Adresse brauchen. Was unterstützt<lb/>
da das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit mit Deutschland in ihm? Wo<lb/>
empfinder er das Volkstum, die nationale Gemeinheit des Staates? Er ist<lb/>
froh, wenn ein Konsul ihn gegen persönliche Vergewaltigung schützt; gegen die<lb/>
Übermacht des nationalen Wesens schützt ihn nichts als etwa seine eigne außer¬<lb/>
ordentliche nationale Zähigkeit. Eine Zähigkeit, die Einzelne wohl besitzen, die<lb/>
man aber vom Durchschnitt nicht erwarten kann, heute wenigstens nicht. Denn<lb/>
unser bisheriges staatliches Leben hat wahrlich solche Zähigkeit nicht gefördert,<lb/>
vielmehr das nationale Bewußtsein lange und arg geschädigt. Hat nun der<lb/>
Staat etwa das Recht, eine nationale Tugend von seinen Bürgern zu fordern,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0566] Unsre überseeische Politik und ihre Gegner. und Geldgewinn das Einzige, was bei der Frage der Dampfersubvcntion oder der Kolonisation in betracht komme. Vielen fällt es eben nicht ein, über den Unterschied nachzudenken zwischen dem Auswanderer, der deutsch blieb, und dem, der englisch wurde; sie sehen eben auch nur, daß beide reiche Leute wurden. Oil n'sinxortö 1a pg,tris W bout ä«Z8 Minsllss — soll Danton ge¬ sagt haben, als er zur Flucht aufgefordert wurde. Darauf eben kommt es an, daß man, indem man auswandert, die Heimat mit sich nimmt. Das thut der Engländer, und noch neulich sagte mir jemand, er würde, um als Auswanderer deutsch zu bleiben, beobachten, wie der Engländer sich national draußen betrage, und dann genau dasselbe als Deutscher thu«. Darin lag die Anerkennung dessen, daß der Engländer es verstehe, die Heimat überallhin mitzunehmen. Aber niemand wird im Ernst von uns Deutschen verlangen, daß wir uns überall ebenso zu Hause fühlen wie der Engländer. Denn es liegt einfach nicht in der Macht des Einzelnen, die Heimat mit sich zu nehmen. Der Engländer fährt durch alle Meere von einer englischen Station zur andern, wir aber nicht; der Engländer erwartet überall draußen staatlichen Schutz und Hilfe sogut wie in London oder Edinburg, wir haben diese Gewohnheit aber nicht. Der Engländer ist so begierig, Geld zu erwerben, wie nur einer in der Welt, aber er will es überall möglichst ans englischem Boden, auf englische Weise, mit englischen Mitteln, er will es thun, indem er vollkommen englisch bleibt. Zu solchem Willen haben unsre nationalen und staatlichen Verhältnisse uns bisher nicht berechtigt noch erzogen. Der deutsche Auswanderer wäre einfach unvernünftig, wenn er in der fremden Ko¬ lonie darauf bestünde, deutsch zu reden oder nach deutschen Sitten oder Rechts¬ sätzen zu leben: er würde sich vou der Gesellschaft selbst ausschließen, würde weder Million noch Farm erwerben. Er muß sich der fremden Kultur fügen, um zu leben, um zu arbeiten; er mag persönlich noch so reich werden, noch so gut auf sein Volkstum halten: das ganze öffentliche Leben, das ganze Geschäfts¬ leben um ihn her ist englisch und fordert in gewissen Grenzen Unterwerfung. Sein Geschäft nötigt ihn zur Unterwerfung, so sehr, daß er oft auch mit deut¬ schen Geschäftsfreunden in der Kolonie englisch verkehren, seine Bücher englisch führen muß. Selbst in seinem Verkehr mit der Heimat muß er englische Ver¬ mittlung wählen, englische Wechsel, englische Adresse brauchen. Was unterstützt da das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit mit Deutschland in ihm? Wo empfinder er das Volkstum, die nationale Gemeinheit des Staates? Er ist froh, wenn ein Konsul ihn gegen persönliche Vergewaltigung schützt; gegen die Übermacht des nationalen Wesens schützt ihn nichts als etwa seine eigne außer¬ ordentliche nationale Zähigkeit. Eine Zähigkeit, die Einzelne wohl besitzen, die man aber vom Durchschnitt nicht erwarten kann, heute wenigstens nicht. Denn unser bisheriges staatliches Leben hat wahrlich solche Zähigkeit nicht gefördert, vielmehr das nationale Bewußtsein lange und arg geschädigt. Hat nun der Staat etwa das Recht, eine nationale Tugend von seinen Bürgern zu fordern,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/566
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/566>, abgerufen am 04.01.2025.