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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Unsre überseeische Politik n"d ihre Gegner.

kommt selten in die Lage, seine ganze Persönlichkeit zu bethätigen. Er be¬
obachtet meist die Massen, ihre Bedürfnisse, ihre Bewegungen, ihre Willens¬
äußerungen, ihre Meinungen; aber in der Masse verschwindet ihm die Psycho¬
logie des Einzelnen, welche sich von der der Masse sehr erheblich unterscheidet.
Ihm erscheinen die einzelnen Volkskreise leicht als bloße Maschinen für Er¬
schaffung von Gelbwerdcn, als berechenbare Ziffern, aus denen sich eine gewisse
Summe von Ertrag, von Geld ergiebt. Die wirkliche Welt der Leidenschaften,
der sittlichen Kräfte, des Instinkts muß er mehr als andre außerhalb seines
Berufes aufsuchen, wen" er sie kennen lernen will, und steht ihr dann doch nur
als Zuschauer, Beobachter gegenüber. Seine Arbeit fesselt ihn weder an Men¬
schen noch an Orte, weder an Volk noch an Land. Denn die Anerkennung
seiner Wertzeichen, des Geldes oder Papieres im Schrank kann er finden, ob
er hier oder bei den Antipoden lebt: der ideale Wert und die Verwertung seines
Besitzes ist weniger an Volk und Land gebunden als die meisten andern Besitz¬
tümer. Er ist seinem Berufe nach weder Sachse noch Deutscher, sondern inter¬
nationaler Mensch.

An der Geldbörse setzen sich dem Geschäftsmanne alle menschlichen Kräfte
und Handlungen leicht in Geld um. Bedeutung gewinnt, was Geld zu schaffen
vermag, und praktisch, real erscheint das, was Geldgewinn zum Ziele hat. Dn
der Weg, den die Arbeit des Börsenspekulanten bis zum Erwerb zu machen
hat, ein meist sehr kurzer ist, da er oft in Minuten Summen gewinnt, zu deren
Erwerb in realen Werten, in Waaren der Fabrik, des Handwerks, des Acker¬
baues Jahre gehören, so verwischt sich dem Börsenspekulanten leicht überhaupt
das Bewußtsein der Arbeit sowohl als das der realen Werte, welche seinem Ge¬
winn zu gründe liegen oder doch zu gründe zu liegen scheinen. Für ihn ist es
dasselbe, ob er tausend Mark an der Börse durch richtiges Rechnen verdiente,
oder ob jener Gutsbesitzer durch eine gute Ernte ebensoviel an Einkünften mehr
von seinem Gut erzielte. Geldgewinn ist ja das Ziel allen Erwerbes; so ist
die eine Art, sofern sie redlich ist, so gut wie die andre, und vom Standpunkte
der Allgemeinheit diejenige die beste, welche das Ziel, den Gewinn, am sichersten
und leichtesten erreicht. Reich zu werden als Einzelner oder als Volk scheint
von diesem Gesichtspunkte aus das Hauptziel aller Arbeit, ja leichtlich das ein¬
zige Ziel, und indem man die Bedeutung der produktiven Arbeit unterschätzt,
überschätzt man diejenige des Geldes. Warum denn noch mit der Hand ar¬
beiten, wenn man durch Spekulation mehr verdienen kann? Eine Frage, die
der Einzelne wohl für sich aufwerfen mag, die aber, von einem Volke im Sinne
des Börseumcmnes beantwortet, sicherlich die Volkskraft lahmen würde.

Indem nun der Geldmann dazu neigt, die eigentliche produktive Arbeit aus
dem Auge zu verlieren und nur das eine Ziel derselben, den Geldgewinn, zu
beachten, indem er in diesem Sinne leicht übersichtig wird, bildet sich bei ihm
doch auch wieder eine große Schärfe des Blickes für die entlegenen und all-
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Grenzbotm VI. 1884. 7"
Unsre überseeische Politik n»d ihre Gegner.

kommt selten in die Lage, seine ganze Persönlichkeit zu bethätigen. Er be¬
obachtet meist die Massen, ihre Bedürfnisse, ihre Bewegungen, ihre Willens¬
äußerungen, ihre Meinungen; aber in der Masse verschwindet ihm die Psycho¬
logie des Einzelnen, welche sich von der der Masse sehr erheblich unterscheidet.
Ihm erscheinen die einzelnen Volkskreise leicht als bloße Maschinen für Er¬
schaffung von Gelbwerdcn, als berechenbare Ziffern, aus denen sich eine gewisse
Summe von Ertrag, von Geld ergiebt. Die wirkliche Welt der Leidenschaften,
der sittlichen Kräfte, des Instinkts muß er mehr als andre außerhalb seines
Berufes aufsuchen, wen» er sie kennen lernen will, und steht ihr dann doch nur
als Zuschauer, Beobachter gegenüber. Seine Arbeit fesselt ihn weder an Men¬
schen noch an Orte, weder an Volk noch an Land. Denn die Anerkennung
seiner Wertzeichen, des Geldes oder Papieres im Schrank kann er finden, ob
er hier oder bei den Antipoden lebt: der ideale Wert und die Verwertung seines
Besitzes ist weniger an Volk und Land gebunden als die meisten andern Besitz¬
tümer. Er ist seinem Berufe nach weder Sachse noch Deutscher, sondern inter¬
nationaler Mensch.

An der Geldbörse setzen sich dem Geschäftsmanne alle menschlichen Kräfte
und Handlungen leicht in Geld um. Bedeutung gewinnt, was Geld zu schaffen
vermag, und praktisch, real erscheint das, was Geldgewinn zum Ziele hat. Dn
der Weg, den die Arbeit des Börsenspekulanten bis zum Erwerb zu machen
hat, ein meist sehr kurzer ist, da er oft in Minuten Summen gewinnt, zu deren
Erwerb in realen Werten, in Waaren der Fabrik, des Handwerks, des Acker¬
baues Jahre gehören, so verwischt sich dem Börsenspekulanten leicht überhaupt
das Bewußtsein der Arbeit sowohl als das der realen Werte, welche seinem Ge¬
winn zu gründe liegen oder doch zu gründe zu liegen scheinen. Für ihn ist es
dasselbe, ob er tausend Mark an der Börse durch richtiges Rechnen verdiente,
oder ob jener Gutsbesitzer durch eine gute Ernte ebensoviel an Einkünften mehr
von seinem Gut erzielte. Geldgewinn ist ja das Ziel allen Erwerbes; so ist
die eine Art, sofern sie redlich ist, so gut wie die andre, und vom Standpunkte
der Allgemeinheit diejenige die beste, welche das Ziel, den Gewinn, am sichersten
und leichtesten erreicht. Reich zu werden als Einzelner oder als Volk scheint
von diesem Gesichtspunkte aus das Hauptziel aller Arbeit, ja leichtlich das ein¬
zige Ziel, und indem man die Bedeutung der produktiven Arbeit unterschätzt,
überschätzt man diejenige des Geldes. Warum denn noch mit der Hand ar¬
beiten, wenn man durch Spekulation mehr verdienen kann? Eine Frage, die
der Einzelne wohl für sich aufwerfen mag, die aber, von einem Volke im Sinne
des Börseumcmnes beantwortet, sicherlich die Volkskraft lahmen würde.

Indem nun der Geldmann dazu neigt, die eigentliche produktive Arbeit aus
dem Auge zu verlieren und nur das eine Ziel derselben, den Geldgewinn, zu
beachten, indem er in diesem Sinne leicht übersichtig wird, bildet sich bei ihm
doch auch wieder eine große Schärfe des Blickes für die entlegenen und all-
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[0561] Unsre überseeische Politik n»d ihre Gegner. kommt selten in die Lage, seine ganze Persönlichkeit zu bethätigen. Er be¬ obachtet meist die Massen, ihre Bedürfnisse, ihre Bewegungen, ihre Willens¬ äußerungen, ihre Meinungen; aber in der Masse verschwindet ihm die Psycho¬ logie des Einzelnen, welche sich von der der Masse sehr erheblich unterscheidet. Ihm erscheinen die einzelnen Volkskreise leicht als bloße Maschinen für Er¬ schaffung von Gelbwerdcn, als berechenbare Ziffern, aus denen sich eine gewisse Summe von Ertrag, von Geld ergiebt. Die wirkliche Welt der Leidenschaften, der sittlichen Kräfte, des Instinkts muß er mehr als andre außerhalb seines Berufes aufsuchen, wen» er sie kennen lernen will, und steht ihr dann doch nur als Zuschauer, Beobachter gegenüber. Seine Arbeit fesselt ihn weder an Men¬ schen noch an Orte, weder an Volk noch an Land. Denn die Anerkennung seiner Wertzeichen, des Geldes oder Papieres im Schrank kann er finden, ob er hier oder bei den Antipoden lebt: der ideale Wert und die Verwertung seines Besitzes ist weniger an Volk und Land gebunden als die meisten andern Besitz¬ tümer. Er ist seinem Berufe nach weder Sachse noch Deutscher, sondern inter¬ nationaler Mensch. An der Geldbörse setzen sich dem Geschäftsmanne alle menschlichen Kräfte und Handlungen leicht in Geld um. Bedeutung gewinnt, was Geld zu schaffen vermag, und praktisch, real erscheint das, was Geldgewinn zum Ziele hat. Dn der Weg, den die Arbeit des Börsenspekulanten bis zum Erwerb zu machen hat, ein meist sehr kurzer ist, da er oft in Minuten Summen gewinnt, zu deren Erwerb in realen Werten, in Waaren der Fabrik, des Handwerks, des Acker¬ baues Jahre gehören, so verwischt sich dem Börsenspekulanten leicht überhaupt das Bewußtsein der Arbeit sowohl als das der realen Werte, welche seinem Ge¬ winn zu gründe liegen oder doch zu gründe zu liegen scheinen. Für ihn ist es dasselbe, ob er tausend Mark an der Börse durch richtiges Rechnen verdiente, oder ob jener Gutsbesitzer durch eine gute Ernte ebensoviel an Einkünften mehr von seinem Gut erzielte. Geldgewinn ist ja das Ziel allen Erwerbes; so ist die eine Art, sofern sie redlich ist, so gut wie die andre, und vom Standpunkte der Allgemeinheit diejenige die beste, welche das Ziel, den Gewinn, am sichersten und leichtesten erreicht. Reich zu werden als Einzelner oder als Volk scheint von diesem Gesichtspunkte aus das Hauptziel aller Arbeit, ja leichtlich das ein¬ zige Ziel, und indem man die Bedeutung der produktiven Arbeit unterschätzt, überschätzt man diejenige des Geldes. Warum denn noch mit der Hand ar¬ beiten, wenn man durch Spekulation mehr verdienen kann? Eine Frage, die der Einzelne wohl für sich aufwerfen mag, die aber, von einem Volke im Sinne des Börseumcmnes beantwortet, sicherlich die Volkskraft lahmen würde. Indem nun der Geldmann dazu neigt, die eigentliche produktive Arbeit aus dem Auge zu verlieren und nur das eine Ziel derselben, den Geldgewinn, zu beachten, indem er in diesem Sinne leicht übersichtig wird, bildet sich bei ihm doch auch wieder eine große Schärfe des Blickes für die entlegenen und all- ^ Grenzbotm VI. 1884. 7«

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/561>, abgerufen am 08.01.2025.