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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Unsre überseeische Politik und ihre Gegner.

Landwirt hat bald den Tagelöhner, bald den Handwerker, bald den Kaufmann
vor sich, muß die Art eines jeden genau kennen, womöglich auch die Bedürfnisse,
die Lebensweise eines jeden. Immer wieder hat er zu handeln mit dem
Menschen, nicht mit der Klasse, mit dem Besondern, nicht mit dem Allgemeinen.
Das meiste und beste, was er thut, muß er vollbringen weniger nach allgemeinen
Grundsätzen, vorbedachten Schlüssen, sondern nach augenblicklich richtigem Em¬
pfinden, nach den Eingebungen von Instinkt und Willen. Jemehr er sich dem
Allgemeinen des Geistes, dein unpersönlichen Jdcenleben zuwendet, umso schwerer
wird er den meisten seiner persönlich besondern Aufgaben gerecht werden, und
nur selten werden ausgezeichnete Naturen beide Richtungen völlig in sich
versöhnen.

Dem Ackerbauer stehen der Industrielle und der Handwerker am nächsten.
Der Industrielle hat eine feste Scholle unter sich gleich dem Landwirt, an die
er gebunden ist; er steht inmitten eines ziemlich festen Kreises von Menschen
und Dingen; er steht in persönlichem Verhältnis zu jedem, der in der Fabrik
mitwirkt, muß zu gehorchen und zu befehlen, persönlich auf Menschen zu wirken,
sie zu leiten wissen. Aber je größer das gewerbliche Unternehmen ist, umso
stärker macht sich schon hier das unpersönliche Moment geltend, umsomehr tritt
der einzelne Arbeiter zurück in die Masse. Je mehr Arbeiter die Fabrik fordert,
umsoweniger kann der Fabrikant mit der Individualität des Einzelnen so rechnen,'
wie noch der Schuster oder Wagner es vermochten. Wo Hunderte und tausende
von Arbeitern thätig sind, ist für den Leiter der Einzelne meist nur noch eine
unpersönliche Kraft, eine Zahl, mit der er als mit einer Durchschnittszahl
rechnet, und das persönliche Verhältnis schränkt sich ein auf den Kreis Unter¬
gebener, die zwischen ihm und dem Arbeiter stehen. Der Fabrikant arbeitet
andrerseits mehr als der Landwirt mit den Interessen großer Klassen, mit all¬
gemeinen Bedürfnissen, allgemeinen Zuständen; er kämpft mit der Konkurrenz
so gut auf dem nächsten Lokalmarkte wie auf den Weltmärkten und muß deren
Lage stets im Auge behalten. Er ist zur Hälfte Kaufmann, ist es weit mehr
als der Landwirt, und muß als solcher den Bedingungen des mobilen Kapitals
sich unterwerfen.

Denn der Kaufmann ist vorzugsweise mobiler Kapitalist. Der Ort, wo
er handelt, ja die Straße, das Haus sind wohl von Bedeutung für ihn, aber
nicht wesentlich; bestimmte feste Kunden sind von Nutzen für ihn, aber nur als
Vertreter von Geld, das sie ausgeben, nicht in ihren individuellen Eigenschaften.
Der Schwerpunkt der Arbeit ruht nicht in dem Geschäftslokal, sondern in den
Waaren darin, welche die Erzeugnisse fremder Arbeit sind. Es wird hier nicht
produzirt, sondern getauscht, es wird kein neuer Gegenstand durch Arbeit ge¬
schaffen, mit Kunst und Fleiß gestaltet, oder dem Boden abgewonnen durch An¬
wendung von Körperkraft, von Erfahrung in den Gesetzen der Natur und des
Menschenlebens, sondern die Erzeugnisse andrer werden ausgetauscht, indem


Unsre überseeische Politik und ihre Gegner.

Landwirt hat bald den Tagelöhner, bald den Handwerker, bald den Kaufmann
vor sich, muß die Art eines jeden genau kennen, womöglich auch die Bedürfnisse,
die Lebensweise eines jeden. Immer wieder hat er zu handeln mit dem
Menschen, nicht mit der Klasse, mit dem Besondern, nicht mit dem Allgemeinen.
Das meiste und beste, was er thut, muß er vollbringen weniger nach allgemeinen
Grundsätzen, vorbedachten Schlüssen, sondern nach augenblicklich richtigem Em¬
pfinden, nach den Eingebungen von Instinkt und Willen. Jemehr er sich dem
Allgemeinen des Geistes, dein unpersönlichen Jdcenleben zuwendet, umso schwerer
wird er den meisten seiner persönlich besondern Aufgaben gerecht werden, und
nur selten werden ausgezeichnete Naturen beide Richtungen völlig in sich
versöhnen.

Dem Ackerbauer stehen der Industrielle und der Handwerker am nächsten.
Der Industrielle hat eine feste Scholle unter sich gleich dem Landwirt, an die
er gebunden ist; er steht inmitten eines ziemlich festen Kreises von Menschen
und Dingen; er steht in persönlichem Verhältnis zu jedem, der in der Fabrik
mitwirkt, muß zu gehorchen und zu befehlen, persönlich auf Menschen zu wirken,
sie zu leiten wissen. Aber je größer das gewerbliche Unternehmen ist, umso
stärker macht sich schon hier das unpersönliche Moment geltend, umsomehr tritt
der einzelne Arbeiter zurück in die Masse. Je mehr Arbeiter die Fabrik fordert,
umsoweniger kann der Fabrikant mit der Individualität des Einzelnen so rechnen,'
wie noch der Schuster oder Wagner es vermochten. Wo Hunderte und tausende
von Arbeitern thätig sind, ist für den Leiter der Einzelne meist nur noch eine
unpersönliche Kraft, eine Zahl, mit der er als mit einer Durchschnittszahl
rechnet, und das persönliche Verhältnis schränkt sich ein auf den Kreis Unter¬
gebener, die zwischen ihm und dem Arbeiter stehen. Der Fabrikant arbeitet
andrerseits mehr als der Landwirt mit den Interessen großer Klassen, mit all¬
gemeinen Bedürfnissen, allgemeinen Zuständen; er kämpft mit der Konkurrenz
so gut auf dem nächsten Lokalmarkte wie auf den Weltmärkten und muß deren
Lage stets im Auge behalten. Er ist zur Hälfte Kaufmann, ist es weit mehr
als der Landwirt, und muß als solcher den Bedingungen des mobilen Kapitals
sich unterwerfen.

Denn der Kaufmann ist vorzugsweise mobiler Kapitalist. Der Ort, wo
er handelt, ja die Straße, das Haus sind wohl von Bedeutung für ihn, aber
nicht wesentlich; bestimmte feste Kunden sind von Nutzen für ihn, aber nur als
Vertreter von Geld, das sie ausgeben, nicht in ihren individuellen Eigenschaften.
Der Schwerpunkt der Arbeit ruht nicht in dem Geschäftslokal, sondern in den
Waaren darin, welche die Erzeugnisse fremder Arbeit sind. Es wird hier nicht
produzirt, sondern getauscht, es wird kein neuer Gegenstand durch Arbeit ge¬
schaffen, mit Kunst und Fleiß gestaltet, oder dem Boden abgewonnen durch An¬
wendung von Körperkraft, von Erfahrung in den Gesetzen der Natur und des
Menschenlebens, sondern die Erzeugnisse andrer werden ausgetauscht, indem


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[0559] Unsre überseeische Politik und ihre Gegner. Landwirt hat bald den Tagelöhner, bald den Handwerker, bald den Kaufmann vor sich, muß die Art eines jeden genau kennen, womöglich auch die Bedürfnisse, die Lebensweise eines jeden. Immer wieder hat er zu handeln mit dem Menschen, nicht mit der Klasse, mit dem Besondern, nicht mit dem Allgemeinen. Das meiste und beste, was er thut, muß er vollbringen weniger nach allgemeinen Grundsätzen, vorbedachten Schlüssen, sondern nach augenblicklich richtigem Em¬ pfinden, nach den Eingebungen von Instinkt und Willen. Jemehr er sich dem Allgemeinen des Geistes, dein unpersönlichen Jdcenleben zuwendet, umso schwerer wird er den meisten seiner persönlich besondern Aufgaben gerecht werden, und nur selten werden ausgezeichnete Naturen beide Richtungen völlig in sich versöhnen. Dem Ackerbauer stehen der Industrielle und der Handwerker am nächsten. Der Industrielle hat eine feste Scholle unter sich gleich dem Landwirt, an die er gebunden ist; er steht inmitten eines ziemlich festen Kreises von Menschen und Dingen; er steht in persönlichem Verhältnis zu jedem, der in der Fabrik mitwirkt, muß zu gehorchen und zu befehlen, persönlich auf Menschen zu wirken, sie zu leiten wissen. Aber je größer das gewerbliche Unternehmen ist, umso stärker macht sich schon hier das unpersönliche Moment geltend, umsomehr tritt der einzelne Arbeiter zurück in die Masse. Je mehr Arbeiter die Fabrik fordert, umsoweniger kann der Fabrikant mit der Individualität des Einzelnen so rechnen,' wie noch der Schuster oder Wagner es vermochten. Wo Hunderte und tausende von Arbeitern thätig sind, ist für den Leiter der Einzelne meist nur noch eine unpersönliche Kraft, eine Zahl, mit der er als mit einer Durchschnittszahl rechnet, und das persönliche Verhältnis schränkt sich ein auf den Kreis Unter¬ gebener, die zwischen ihm und dem Arbeiter stehen. Der Fabrikant arbeitet andrerseits mehr als der Landwirt mit den Interessen großer Klassen, mit all¬ gemeinen Bedürfnissen, allgemeinen Zuständen; er kämpft mit der Konkurrenz so gut auf dem nächsten Lokalmarkte wie auf den Weltmärkten und muß deren Lage stets im Auge behalten. Er ist zur Hälfte Kaufmann, ist es weit mehr als der Landwirt, und muß als solcher den Bedingungen des mobilen Kapitals sich unterwerfen. Denn der Kaufmann ist vorzugsweise mobiler Kapitalist. Der Ort, wo er handelt, ja die Straße, das Haus sind wohl von Bedeutung für ihn, aber nicht wesentlich; bestimmte feste Kunden sind von Nutzen für ihn, aber nur als Vertreter von Geld, das sie ausgeben, nicht in ihren individuellen Eigenschaften. Der Schwerpunkt der Arbeit ruht nicht in dem Geschäftslokal, sondern in den Waaren darin, welche die Erzeugnisse fremder Arbeit sind. Es wird hier nicht produzirt, sondern getauscht, es wird kein neuer Gegenstand durch Arbeit ge¬ schaffen, mit Kunst und Fleiß gestaltet, oder dem Boden abgewonnen durch An¬ wendung von Körperkraft, von Erfahrung in den Gesetzen der Natur und des Menschenlebens, sondern die Erzeugnisse andrer werden ausgetauscht, indem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/559>, abgerufen am 06.01.2025.