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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Unsre überseeische Politik und ihre Gegner.

nationalen Wert, hat seinen besondern Charakter durch die internationale, nicht
bloß nationale Anerkennung. Alles andre aber, was wir besitzen, ist mehr oder
minder fest an den Boden gewachsen, gedeiht oder welkt je nach dem Gedeihen oder
Welken des Volkes oder Landes, zu dem es gehört. Welch gewaltiger Unter¬
schied ergiebt sich schon hieraus zwischen mobilem und immobilem Kapital, die
so gern als gleichbedeutend behandelt werden! Welche Ungerechtigkeit, welche
nationale Unklugheit gehört dazu, um denselben Maßstab in staatlichem Schutz,
in Besteuerung, in Vertretung, in sozialem Ansehen für den Grundbesitz wie
für den Papierbesitz zu fordern! Der Grundbesitz bildet ein Stück des Volks-
tums, unlösbar verbunden mit Menschen und Zuständen, auf- und niedergehend
mit dem wechselnden Geschick des Landes, des Volkes; er ist der Boden, darauf dieses
Geschick sich abspielt, an dem alles haftet, was das Leben eines Volkes aus¬
gemacht hat. Recht, Sitte, Kunst, Wissenschaft, Erinnerungen und Hoffnungen
des Volkes, sind sie nicht unlöslich verbunden mit dieser Stadt, jenem Fluß,
diesem Berge, jenen Fluren? Ist nicht jeder Bauernhof Thüringens seit tausend
Jahren von Bedeutung gewesen für das Leben der Nation? Trägt nicht jeder
Gau seit grauer Vorzeit sein Gepräge als Teil dessen, was den Charakter
des Volkes ausmacht? Hat nicht jede Stadt erheblichen Einfluß gehabt ans
die Gestaltung ihrer Einwohnerschaft, hat die Nahrung an Körper und Geist,
die sie ihren Kindern gab, nicht von Jahrhundert zu Jahrhundert deren Wachs¬
tum mit bestimmt? Und dieser Bauernhof, diese Flur, dieser Fluß, diese Stadt,
dieses Landgut, sie sollen für das Volk nur soviel bedeuten, als sie in Geld
wert sind?

Da ist ein Stück Papier, darauf steht, es sei zehntausend Mark wert.
Welchen Wert hat es für unser Volk? Etwa denselben wie jenes Bauerngut
an der Saale, das eben für zehntausend Mark gekauft wurde? Wirklich den¬
selben? Man sagt, dieses Papier stelle den Wert von einer Arbeit dar, die
geleistet wurde. Das mag oft sein, oft aber auch nicht. Und ist denn etwa
jede Arbeit von gleicher Bedeutung für das Volk, den Staat? Ist es einerlei,
ob ich in Sachsen meinen Acker verbessert, meine Fabrik vergrößert, Kranke
geheilt habe, oder ob ich mir jene zehntausend Mark durch dieselbe Arbeit in Frank¬
reich verdient habe? Ist es einerlei, ob ich zehn Jahre lang Brandenburger
Moore kultivirt, Häuser in Berlin gebaut habe, oder ob ich zu meinem Ver¬
mögen kam, indem ich ebensolange rumänische Bahnaktien handelte? Ist es
gleichgiltig, ob ich unserm Arbeiter billiges Brot schaffte dadurch, daß ich als
landwirtschaftlicher Minister den Ackerbau hob, oder ob ich es erreichte dadurch,
daß ich als Handelsminister die Einfuhr amerikanischen Korns förderte? Überall
Arbeit, aber von sehr verschiednen Wert. Ja, für den Einzelnen freilich, für
den Arbeiter, ist französisches Geld sogut als deutsches; für den Kapitalisten
ist es gleich, ob die Krone, die er ausgiebt, der Ertrag eines Landstückes ist,
oder der Kouponwert einer Aktie oder eines Staatspapieres. Aber nicht für


Unsre überseeische Politik und ihre Gegner.

nationalen Wert, hat seinen besondern Charakter durch die internationale, nicht
bloß nationale Anerkennung. Alles andre aber, was wir besitzen, ist mehr oder
minder fest an den Boden gewachsen, gedeiht oder welkt je nach dem Gedeihen oder
Welken des Volkes oder Landes, zu dem es gehört. Welch gewaltiger Unter¬
schied ergiebt sich schon hieraus zwischen mobilem und immobilem Kapital, die
so gern als gleichbedeutend behandelt werden! Welche Ungerechtigkeit, welche
nationale Unklugheit gehört dazu, um denselben Maßstab in staatlichem Schutz,
in Besteuerung, in Vertretung, in sozialem Ansehen für den Grundbesitz wie
für den Papierbesitz zu fordern! Der Grundbesitz bildet ein Stück des Volks-
tums, unlösbar verbunden mit Menschen und Zuständen, auf- und niedergehend
mit dem wechselnden Geschick des Landes, des Volkes; er ist der Boden, darauf dieses
Geschick sich abspielt, an dem alles haftet, was das Leben eines Volkes aus¬
gemacht hat. Recht, Sitte, Kunst, Wissenschaft, Erinnerungen und Hoffnungen
des Volkes, sind sie nicht unlöslich verbunden mit dieser Stadt, jenem Fluß,
diesem Berge, jenen Fluren? Ist nicht jeder Bauernhof Thüringens seit tausend
Jahren von Bedeutung gewesen für das Leben der Nation? Trägt nicht jeder
Gau seit grauer Vorzeit sein Gepräge als Teil dessen, was den Charakter
des Volkes ausmacht? Hat nicht jede Stadt erheblichen Einfluß gehabt ans
die Gestaltung ihrer Einwohnerschaft, hat die Nahrung an Körper und Geist,
die sie ihren Kindern gab, nicht von Jahrhundert zu Jahrhundert deren Wachs¬
tum mit bestimmt? Und dieser Bauernhof, diese Flur, dieser Fluß, diese Stadt,
dieses Landgut, sie sollen für das Volk nur soviel bedeuten, als sie in Geld
wert sind?

Da ist ein Stück Papier, darauf steht, es sei zehntausend Mark wert.
Welchen Wert hat es für unser Volk? Etwa denselben wie jenes Bauerngut
an der Saale, das eben für zehntausend Mark gekauft wurde? Wirklich den¬
selben? Man sagt, dieses Papier stelle den Wert von einer Arbeit dar, die
geleistet wurde. Das mag oft sein, oft aber auch nicht. Und ist denn etwa
jede Arbeit von gleicher Bedeutung für das Volk, den Staat? Ist es einerlei,
ob ich in Sachsen meinen Acker verbessert, meine Fabrik vergrößert, Kranke
geheilt habe, oder ob ich mir jene zehntausend Mark durch dieselbe Arbeit in Frank¬
reich verdient habe? Ist es einerlei, ob ich zehn Jahre lang Brandenburger
Moore kultivirt, Häuser in Berlin gebaut habe, oder ob ich zu meinem Ver¬
mögen kam, indem ich ebensolange rumänische Bahnaktien handelte? Ist es
gleichgiltig, ob ich unserm Arbeiter billiges Brot schaffte dadurch, daß ich als
landwirtschaftlicher Minister den Ackerbau hob, oder ob ich es erreichte dadurch,
daß ich als Handelsminister die Einfuhr amerikanischen Korns förderte? Überall
Arbeit, aber von sehr verschiednen Wert. Ja, für den Einzelnen freilich, für
den Arbeiter, ist französisches Geld sogut als deutsches; für den Kapitalisten
ist es gleich, ob die Krone, die er ausgiebt, der Ertrag eines Landstückes ist,
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[0556] Unsre überseeische Politik und ihre Gegner. nationalen Wert, hat seinen besondern Charakter durch die internationale, nicht bloß nationale Anerkennung. Alles andre aber, was wir besitzen, ist mehr oder minder fest an den Boden gewachsen, gedeiht oder welkt je nach dem Gedeihen oder Welken des Volkes oder Landes, zu dem es gehört. Welch gewaltiger Unter¬ schied ergiebt sich schon hieraus zwischen mobilem und immobilem Kapital, die so gern als gleichbedeutend behandelt werden! Welche Ungerechtigkeit, welche nationale Unklugheit gehört dazu, um denselben Maßstab in staatlichem Schutz, in Besteuerung, in Vertretung, in sozialem Ansehen für den Grundbesitz wie für den Papierbesitz zu fordern! Der Grundbesitz bildet ein Stück des Volks- tums, unlösbar verbunden mit Menschen und Zuständen, auf- und niedergehend mit dem wechselnden Geschick des Landes, des Volkes; er ist der Boden, darauf dieses Geschick sich abspielt, an dem alles haftet, was das Leben eines Volkes aus¬ gemacht hat. Recht, Sitte, Kunst, Wissenschaft, Erinnerungen und Hoffnungen des Volkes, sind sie nicht unlöslich verbunden mit dieser Stadt, jenem Fluß, diesem Berge, jenen Fluren? Ist nicht jeder Bauernhof Thüringens seit tausend Jahren von Bedeutung gewesen für das Leben der Nation? Trägt nicht jeder Gau seit grauer Vorzeit sein Gepräge als Teil dessen, was den Charakter des Volkes ausmacht? Hat nicht jede Stadt erheblichen Einfluß gehabt ans die Gestaltung ihrer Einwohnerschaft, hat die Nahrung an Körper und Geist, die sie ihren Kindern gab, nicht von Jahrhundert zu Jahrhundert deren Wachs¬ tum mit bestimmt? Und dieser Bauernhof, diese Flur, dieser Fluß, diese Stadt, dieses Landgut, sie sollen für das Volk nur soviel bedeuten, als sie in Geld wert sind? Da ist ein Stück Papier, darauf steht, es sei zehntausend Mark wert. Welchen Wert hat es für unser Volk? Etwa denselben wie jenes Bauerngut an der Saale, das eben für zehntausend Mark gekauft wurde? Wirklich den¬ selben? Man sagt, dieses Papier stelle den Wert von einer Arbeit dar, die geleistet wurde. Das mag oft sein, oft aber auch nicht. Und ist denn etwa jede Arbeit von gleicher Bedeutung für das Volk, den Staat? Ist es einerlei, ob ich in Sachsen meinen Acker verbessert, meine Fabrik vergrößert, Kranke geheilt habe, oder ob ich mir jene zehntausend Mark durch dieselbe Arbeit in Frank¬ reich verdient habe? Ist es einerlei, ob ich zehn Jahre lang Brandenburger Moore kultivirt, Häuser in Berlin gebaut habe, oder ob ich zu meinem Ver¬ mögen kam, indem ich ebensolange rumänische Bahnaktien handelte? Ist es gleichgiltig, ob ich unserm Arbeiter billiges Brot schaffte dadurch, daß ich als landwirtschaftlicher Minister den Ackerbau hob, oder ob ich es erreichte dadurch, daß ich als Handelsminister die Einfuhr amerikanischen Korns förderte? Überall Arbeit, aber von sehr verschiednen Wert. Ja, für den Einzelnen freilich, für den Arbeiter, ist französisches Geld sogut als deutsches; für den Kapitalisten ist es gleich, ob die Krone, die er ausgiebt, der Ertrag eines Landstückes ist, oder der Kouponwert einer Aktie oder eines Staatspapieres. Aber nicht für

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/556>, abgerufen am 29.12.2024.