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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Unsre überseeische Politik und ihre Gegner.

und einfach, daß ich nie habe begreifen können, wie aufrichtige und scharfsichtige
Männer den Freihandel zu einem heiligen Stein der Kaba haben machen können.
Mir ist daher diese Erscheinung stets mehr psychologisch als logisch interessant
gewesen. Und diese psychologische Seite des Freihandels ist mir hier bei der
Debatte über die Dampfersnbvention und bei der Haltung, welche die Frei¬
händler zu der ganzen überseeischen Bewegung, wie sie jüngst bei uns aufge¬
treten ist, eingenommen haben, wieder mit besondrer Schärfe vor die Augen
getreten.

Wie kommt es, daß so genaue Rechner, wie viele Freihändler sind, so
weitblickende Köpfe in wirtschaftlichen Dingen, zugleich so oft und so durchaus
irren in staatlich-wirtschaftlichen Fragen? Wie kommt es, daß gerade in wirt¬
schaftlichen Fragen oft die sachlichsten Erwägungen, die sorgfältigsten Berech¬
nungen zuletzt falsche Resultate ergeben? Wie hängt es zusammen, daß manchmal
das scheinbar Sicherste in der Welt, die Zahl und die Rechenkunst, uns im Stich
lassen, wo wir ihnen glauben ganz vertrauen zu dürfen? Was Herr Bam-
berger uns am 14. Juni mitteilte, enthielt ja doch soviel klare Zahlen, daß die
Schlußfolgerung nicht wohl zweifelhaft sein konnte. So schien es in der Nähe
besehen, und dennoch wurde man zweifelhaft, sobald man diese Zahlen von einem
andern Standpunkt aus betrachtete.

Ginge alles so glatt nach den vier Spezies in der Welt zu, nun, so wäre
es ja wohl recht und billig, daß sie von dem Bankier regiert würde. Ohnehin
ist die Rechenkunst desselben längst und stets eine der obersten Künste im
Staatsleben gewesen. Handelte es sich überall nur darum, Werte zu schaffen
und Geld zu gewinnen, so hätte der Freihändler recht. Das Geld ist inter¬
national, es hat keine Heimat, es wird von jedem geliebt und liebt niemanden,
es achtet weder Volk noch Staat. Ist der Geldgewinn einziges Ziel, so wird
es völlig gleichgiltig, wie und wo der Gewinn gemacht wird; man mag in
Kalkutta erwerben oder in Berlin, mag Engländer, Franzose, Amerikaner werden,
heute dies, morgen das -- wenn es nur vorteilhaft ist. Darin liegt für uns
und unsre Zeit das Besondre des mobilen Kapitals, daß es im Wesen abgelöst
ist vom nationalen Boden, auf dem wir sonst mit unserm ganzen Empfinden
und mit unserm übrigen Besitz stehen. Darin wurzelt auch das Mißtrauen
gegen den Hochsitz des mobilen Kapitals, die Börse. Die Börse hat es uns
oft genug erklärt: wenn man mich belästigt, so wandre ich aus, nach London,
Paris oder sonstwohin, denn ich lebe dort ebenso gern wie hier. Sie hat
von ihrer Natur aus gesehen ganz recht, sie kann ruhig auswandern, denn sie
hat keine Heimat. Diese Heimatslosigkeit hängt so sehr und so eng dem Gelde
an, daß sie grundsätzlich nichts mit dem Heimatsbewußtsein des Geldbesitzers zu
thun hat. Der beste Patriot mag sein Geld wandern lassen, mag an die Pa¬
riser Börse übersiedeln und dabei guter Deutscher bleiben, wenigstens bis das
Geld ihn doch einmal nach sich zieht. Das Geld hat ja eben seinen inter-


Unsre überseeische Politik und ihre Gegner.

und einfach, daß ich nie habe begreifen können, wie aufrichtige und scharfsichtige
Männer den Freihandel zu einem heiligen Stein der Kaba haben machen können.
Mir ist daher diese Erscheinung stets mehr psychologisch als logisch interessant
gewesen. Und diese psychologische Seite des Freihandels ist mir hier bei der
Debatte über die Dampfersnbvention und bei der Haltung, welche die Frei¬
händler zu der ganzen überseeischen Bewegung, wie sie jüngst bei uns aufge¬
treten ist, eingenommen haben, wieder mit besondrer Schärfe vor die Augen
getreten.

Wie kommt es, daß so genaue Rechner, wie viele Freihändler sind, so
weitblickende Köpfe in wirtschaftlichen Dingen, zugleich so oft und so durchaus
irren in staatlich-wirtschaftlichen Fragen? Wie kommt es, daß gerade in wirt¬
schaftlichen Fragen oft die sachlichsten Erwägungen, die sorgfältigsten Berech¬
nungen zuletzt falsche Resultate ergeben? Wie hängt es zusammen, daß manchmal
das scheinbar Sicherste in der Welt, die Zahl und die Rechenkunst, uns im Stich
lassen, wo wir ihnen glauben ganz vertrauen zu dürfen? Was Herr Bam-
berger uns am 14. Juni mitteilte, enthielt ja doch soviel klare Zahlen, daß die
Schlußfolgerung nicht wohl zweifelhaft sein konnte. So schien es in der Nähe
besehen, und dennoch wurde man zweifelhaft, sobald man diese Zahlen von einem
andern Standpunkt aus betrachtete.

Ginge alles so glatt nach den vier Spezies in der Welt zu, nun, so wäre
es ja wohl recht und billig, daß sie von dem Bankier regiert würde. Ohnehin
ist die Rechenkunst desselben längst und stets eine der obersten Künste im
Staatsleben gewesen. Handelte es sich überall nur darum, Werte zu schaffen
und Geld zu gewinnen, so hätte der Freihändler recht. Das Geld ist inter¬
national, es hat keine Heimat, es wird von jedem geliebt und liebt niemanden,
es achtet weder Volk noch Staat. Ist der Geldgewinn einziges Ziel, so wird
es völlig gleichgiltig, wie und wo der Gewinn gemacht wird; man mag in
Kalkutta erwerben oder in Berlin, mag Engländer, Franzose, Amerikaner werden,
heute dies, morgen das — wenn es nur vorteilhaft ist. Darin liegt für uns
und unsre Zeit das Besondre des mobilen Kapitals, daß es im Wesen abgelöst
ist vom nationalen Boden, auf dem wir sonst mit unserm ganzen Empfinden
und mit unserm übrigen Besitz stehen. Darin wurzelt auch das Mißtrauen
gegen den Hochsitz des mobilen Kapitals, die Börse. Die Börse hat es uns
oft genug erklärt: wenn man mich belästigt, so wandre ich aus, nach London,
Paris oder sonstwohin, denn ich lebe dort ebenso gern wie hier. Sie hat
von ihrer Natur aus gesehen ganz recht, sie kann ruhig auswandern, denn sie
hat keine Heimat. Diese Heimatslosigkeit hängt so sehr und so eng dem Gelde
an, daß sie grundsätzlich nichts mit dem Heimatsbewußtsein des Geldbesitzers zu
thun hat. Der beste Patriot mag sein Geld wandern lassen, mag an die Pa¬
riser Börse übersiedeln und dabei guter Deutscher bleiben, wenigstens bis das
Geld ihn doch einmal nach sich zieht. Das Geld hat ja eben seinen inter-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/555>, abgerufen am 29.12.2024.