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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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pfisters Mühle.

dich nur, Papa hat mich doch lange genug ans seinem lächerlichen Kirchhofe spa¬
zieren geführt, als daß ich nicht mit den Geistern auf dem besten Fuße und
Du und Du stehen sollte. Und "och dazu als geborne vernünftige Berlinerin!

Sie nahm meine Hand von der Fensterbank auf, hob sie zu ihrem
Munde und ließ ihren lieblichen, warmen, lebendigen Atem drüber wehen und
lächelte:

Erzähle nur dreist zu. Gerade weil es unsre letzten Stunden hier bei euch
sind, paßt es umso besser drein. Und erzähle im einzelnen -- halte mich nicht
für zu dumm in euern Wissenschafts- und Litteraturgeschichten; im großen Ganzen
wußte ich ja auch schou ohne dich und die Christine davon. Papa las ja
auch die Zeitungen, und manchmal ein Stück laut, und ich gab darauf hin
und wieder Acht, wenn ich damals auch nur ein albernes Schulkind war und
an andre Dinge zu denken hatte. Nur daß es gerade eure Mühle war,
die durch Frau Albertinens armen Papa so romantisch und interessant werden
sollte, wußte ich nicht. -- ^

Ich weiß nicht, ob die Geschichte vom armen Felix Lippoldes so romantisch
gewesen ist, wie die des jungen Mädchens bei Pichelswerder; jedenfalls erzählte
ich sehr gelassen weiter, und auch mir selber rede ich hier ans diesen Blättern
noch einmal davon. --

Ich hatte in Berlin die ersten Semester meiner Studienzeit zugebracht,
und ich war auf andern Universitäten Studirens halber gewesen. Nun saß
ich wiederum ernstlicher über den Büchern in Berlin, und verkehrte wieder mit
meinem frühern Mentor A. A. Asche. Und wie früher, verschwand er auch jetzt
dann und wann aus der Mitte seines energischen Thuns und Treibens, wenn
auch auf kürzere Zeit. Aber er verschwand nicht mehr in die weite Welt, son¬
dern ich wußte stets genau, wohin er ging, nämlich nach Pfisters Mühle.

Ich habe es nachher mit tiefer Rührung sehr eingehend erfahren, wie die
beiden, der Vater und der Freund, nicht nur ihre klugen Köpfe, sondern auch
ihre braven Herzen zusammengelegt haben, und zwar nicht bloß zum Beseelt
des großen Prozesses Pfisters Mühle eontiA Krickerodc. Letzter" betrieb Doktor
Riechei von Instanz zu Instanz mit wechselndem Erfolg, und es ging wieder
einmal gegen Weihnachten, als wir vor der letzten standen und ihn gewannen,
ohne daß das Abendrot über Pfisters vordem so fröhlicher Mühle dadurch eine
Stunde länger am Himmel hätte festgehalten werden können.

Es war ein Nachmittag, wie ich schou einmal beschrieben habe in diesem
Sommerferienheft: Schnee in der Luft, Wind in den Gassen, die Gedanken
in der Ferne und mancherlei unbestimmtes Bangen und allerlei übler Geruch
nahebei und umher. Wie damals meine Schuljahre, so lag jetzt meine Stu¬
dentenzeit so ziemlich hinter mir. Am Fenster saß ich wieder, wenn auch nicht
das Kinn auf beide Fäuste stützend und an den Schulrat Pottgießer in Ver¬
bindung mit all den vergangenen lustigen Christbäumen von Pfisters Mühle


pfisters Mühle.

dich nur, Papa hat mich doch lange genug ans seinem lächerlichen Kirchhofe spa¬
zieren geführt, als daß ich nicht mit den Geistern auf dem besten Fuße und
Du und Du stehen sollte. Und »och dazu als geborne vernünftige Berlinerin!

Sie nahm meine Hand von der Fensterbank auf, hob sie zu ihrem
Munde und ließ ihren lieblichen, warmen, lebendigen Atem drüber wehen und
lächelte:

Erzähle nur dreist zu. Gerade weil es unsre letzten Stunden hier bei euch
sind, paßt es umso besser drein. Und erzähle im einzelnen — halte mich nicht
für zu dumm in euern Wissenschafts- und Litteraturgeschichten; im großen Ganzen
wußte ich ja auch schou ohne dich und die Christine davon. Papa las ja
auch die Zeitungen, und manchmal ein Stück laut, und ich gab darauf hin
und wieder Acht, wenn ich damals auch nur ein albernes Schulkind war und
an andre Dinge zu denken hatte. Nur daß es gerade eure Mühle war,
die durch Frau Albertinens armen Papa so romantisch und interessant werden
sollte, wußte ich nicht. — ^

Ich weiß nicht, ob die Geschichte vom armen Felix Lippoldes so romantisch
gewesen ist, wie die des jungen Mädchens bei Pichelswerder; jedenfalls erzählte
ich sehr gelassen weiter, und auch mir selber rede ich hier ans diesen Blättern
noch einmal davon. —

Ich hatte in Berlin die ersten Semester meiner Studienzeit zugebracht,
und ich war auf andern Universitäten Studirens halber gewesen. Nun saß
ich wiederum ernstlicher über den Büchern in Berlin, und verkehrte wieder mit
meinem frühern Mentor A. A. Asche. Und wie früher, verschwand er auch jetzt
dann und wann aus der Mitte seines energischen Thuns und Treibens, wenn
auch auf kürzere Zeit. Aber er verschwand nicht mehr in die weite Welt, son¬
dern ich wußte stets genau, wohin er ging, nämlich nach Pfisters Mühle.

Ich habe es nachher mit tiefer Rührung sehr eingehend erfahren, wie die
beiden, der Vater und der Freund, nicht nur ihre klugen Köpfe, sondern auch
ihre braven Herzen zusammengelegt haben, und zwar nicht bloß zum Beseelt
des großen Prozesses Pfisters Mühle eontiA Krickerodc. Letzter» betrieb Doktor
Riechei von Instanz zu Instanz mit wechselndem Erfolg, und es ging wieder
einmal gegen Weihnachten, als wir vor der letzten standen und ihn gewannen,
ohne daß das Abendrot über Pfisters vordem so fröhlicher Mühle dadurch eine
Stunde länger am Himmel hätte festgehalten werden können.

Es war ein Nachmittag, wie ich schou einmal beschrieben habe in diesem
Sommerferienheft: Schnee in der Luft, Wind in den Gassen, die Gedanken
in der Ferne und mancherlei unbestimmtes Bangen und allerlei übler Geruch
nahebei und umher. Wie damals meine Schuljahre, so lag jetzt meine Stu¬
dentenzeit so ziemlich hinter mir. Am Fenster saß ich wieder, wenn auch nicht
das Kinn auf beide Fäuste stützend und an den Schulrat Pottgießer in Ver¬
bindung mit all den vergangenen lustigen Christbäumen von Pfisters Mühle


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[0546] pfisters Mühle. dich nur, Papa hat mich doch lange genug ans seinem lächerlichen Kirchhofe spa¬ zieren geführt, als daß ich nicht mit den Geistern auf dem besten Fuße und Du und Du stehen sollte. Und »och dazu als geborne vernünftige Berlinerin! Sie nahm meine Hand von der Fensterbank auf, hob sie zu ihrem Munde und ließ ihren lieblichen, warmen, lebendigen Atem drüber wehen und lächelte: Erzähle nur dreist zu. Gerade weil es unsre letzten Stunden hier bei euch sind, paßt es umso besser drein. Und erzähle im einzelnen — halte mich nicht für zu dumm in euern Wissenschafts- und Litteraturgeschichten; im großen Ganzen wußte ich ja auch schou ohne dich und die Christine davon. Papa las ja auch die Zeitungen, und manchmal ein Stück laut, und ich gab darauf hin und wieder Acht, wenn ich damals auch nur ein albernes Schulkind war und an andre Dinge zu denken hatte. Nur daß es gerade eure Mühle war, die durch Frau Albertinens armen Papa so romantisch und interessant werden sollte, wußte ich nicht. — ^ Ich weiß nicht, ob die Geschichte vom armen Felix Lippoldes so romantisch gewesen ist, wie die des jungen Mädchens bei Pichelswerder; jedenfalls erzählte ich sehr gelassen weiter, und auch mir selber rede ich hier ans diesen Blättern noch einmal davon. — Ich hatte in Berlin die ersten Semester meiner Studienzeit zugebracht, und ich war auf andern Universitäten Studirens halber gewesen. Nun saß ich wiederum ernstlicher über den Büchern in Berlin, und verkehrte wieder mit meinem frühern Mentor A. A. Asche. Und wie früher, verschwand er auch jetzt dann und wann aus der Mitte seines energischen Thuns und Treibens, wenn auch auf kürzere Zeit. Aber er verschwand nicht mehr in die weite Welt, son¬ dern ich wußte stets genau, wohin er ging, nämlich nach Pfisters Mühle. Ich habe es nachher mit tiefer Rührung sehr eingehend erfahren, wie die beiden, der Vater und der Freund, nicht nur ihre klugen Köpfe, sondern auch ihre braven Herzen zusammengelegt haben, und zwar nicht bloß zum Beseelt des großen Prozesses Pfisters Mühle eontiA Krickerodc. Letzter» betrieb Doktor Riechei von Instanz zu Instanz mit wechselndem Erfolg, und es ging wieder einmal gegen Weihnachten, als wir vor der letzten standen und ihn gewannen, ohne daß das Abendrot über Pfisters vordem so fröhlicher Mühle dadurch eine Stunde länger am Himmel hätte festgehalten werden können. Es war ein Nachmittag, wie ich schou einmal beschrieben habe in diesem Sommerferienheft: Schnee in der Luft, Wind in den Gassen, die Gedanken in der Ferne und mancherlei unbestimmtes Bangen und allerlei übler Geruch nahebei und umher. Wie damals meine Schuljahre, so lag jetzt meine Stu¬ dentenzeit so ziemlich hinter mir. Am Fenster saß ich wieder, wenn auch nicht das Kinn auf beide Fäuste stützend und an den Schulrat Pottgießer in Ver¬ bindung mit all den vergangenen lustigen Christbäumen von Pfisters Mühle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/546>, abgerufen am 29.12.2024.