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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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pfisters Mühle.

Es war, als rauschte der kleine Fluß munterer denn je, und auch Emmy
faud das und stieß mich an und sagte:

Hör' nur, wie lebhaft dein Bach diesen Abend ist! Es muß im Gebirge
wohl noch stärker als hier im flachen Lande gegossen haben.

Das müßte dort gestern oder vorige Nacht gewesen sein, meinte Christine.
So lange dauert es wohl a", ehe so ein Wolkenbruch aus den Bergen bei
Pfisters Mühle anlangt.

Die Zeitung heute Abend weiß schon davon, sagte ich.

Ja die Zeitung, die Zeitung, murmelte die Alte am Tische. Was wissen
die Zeitungen alles! Wie schnell oder wie viel zu spät wissen sie alles und
schreiben über alles, was sie wissen und nicht wissen. Erinnerst du dich Wohl
noch, Ebert, wie sie damals nach geschehenem Unglück über den armen Papa
von Frau Albertine redeten? Dein seliger Vater las es uns vor, und uns allen
standen die Thränen in den Augen, die blutigen Neuethränen, daß wir ihn in
der Welt so wenig ästimirt hatten, da er es doch so sehr verdiente. Selber ich
in meiner armen, dummen Seele mußte mit Wehmut mit in das Gefühl ein¬
stimmen, daß wir alle so sehr zu der schlechten, unverständigen, undankbaren Welt
gehörten, die keinen großmächtigen, berühmten Menschen zu taxiren wüßte.

Was sagten denn diese dummen Zeitungen, Christine? fragte Emmy,
lächelnd sich umwendend.

Nun, im Grunde wuschen sie nachträglich sich nur selber die Hände in
Unschuld und schoben alles auf uns, die schlechte, unvernünftige Welt, daß er
bei Pfisters Mühle aus dein Wasser gezogen worden sei.

Barmherziger Himmel -- Ebert! stammelte die arme Kleine. Aus
unserm hübschen Bache da? Hier aus dem Wasser? O, das mußt du mir
auf der Stelle ganz genau erzählen. Das ist ja zu schrecklich interessant!
Mein Gott, dann hat er aber auch wohl hier in eurer Mühle auf dem Stroh
gelegen? Ich habe bei Berlin auch einmal ein junges Ding von Mädchen auf
dem Stroh liegen sehen. Ich hatte den Papa endlich auch einmal von seinein
Kirchhofe weggekriegt, und wir hatten eine Pfingsttour nach Pichelswerder
gemacht, und ich vergesse das in meinem ganzen Leben nicht!

Ich hatte doch wohl die Nerven der Großstädterin, und der lieben Wei-
berchcn überhaupt, ein wenig zu sehr unterschätzt, da ich ihr, wie alle andern,
den unheimlichen Spuk von Pfisters Mühle verheimlichte. Nun durfte ich
schon mit ziemlichem Gleichmut sagen: Es hängt mit dem übrigen zusammen,
Liebste; ganz genau mit der Geschichte von Adam Asche und Albertine,
und da Christine und du einmal daran gerührt habt, so kann ich die Tragödie
Felix Lippoldes wohl auch zu Ende erzählen, ohne dich zum Gruseln zu
bringen in den letzten Nächten auf meines Vaters Erbe.

Na na, Närrchen! Bist du nicht bei mir? Etwas andres wäre es Wohl,
wenn ich hier ganz allein säße mit deinen Gespenstern. Und dann, erinnere


Grmzl'öden IV. 1884. V8
pfisters Mühle.

Es war, als rauschte der kleine Fluß munterer denn je, und auch Emmy
faud das und stieß mich an und sagte:

Hör' nur, wie lebhaft dein Bach diesen Abend ist! Es muß im Gebirge
wohl noch stärker als hier im flachen Lande gegossen haben.

Das müßte dort gestern oder vorige Nacht gewesen sein, meinte Christine.
So lange dauert es wohl a», ehe so ein Wolkenbruch aus den Bergen bei
Pfisters Mühle anlangt.

Die Zeitung heute Abend weiß schon davon, sagte ich.

Ja die Zeitung, die Zeitung, murmelte die Alte am Tische. Was wissen
die Zeitungen alles! Wie schnell oder wie viel zu spät wissen sie alles und
schreiben über alles, was sie wissen und nicht wissen. Erinnerst du dich Wohl
noch, Ebert, wie sie damals nach geschehenem Unglück über den armen Papa
von Frau Albertine redeten? Dein seliger Vater las es uns vor, und uns allen
standen die Thränen in den Augen, die blutigen Neuethränen, daß wir ihn in
der Welt so wenig ästimirt hatten, da er es doch so sehr verdiente. Selber ich
in meiner armen, dummen Seele mußte mit Wehmut mit in das Gefühl ein¬
stimmen, daß wir alle so sehr zu der schlechten, unverständigen, undankbaren Welt
gehörten, die keinen großmächtigen, berühmten Menschen zu taxiren wüßte.

Was sagten denn diese dummen Zeitungen, Christine? fragte Emmy,
lächelnd sich umwendend.

Nun, im Grunde wuschen sie nachträglich sich nur selber die Hände in
Unschuld und schoben alles auf uns, die schlechte, unvernünftige Welt, daß er
bei Pfisters Mühle aus dein Wasser gezogen worden sei.

Barmherziger Himmel — Ebert! stammelte die arme Kleine. Aus
unserm hübschen Bache da? Hier aus dem Wasser? O, das mußt du mir
auf der Stelle ganz genau erzählen. Das ist ja zu schrecklich interessant!
Mein Gott, dann hat er aber auch wohl hier in eurer Mühle auf dem Stroh
gelegen? Ich habe bei Berlin auch einmal ein junges Ding von Mädchen auf
dem Stroh liegen sehen. Ich hatte den Papa endlich auch einmal von seinein
Kirchhofe weggekriegt, und wir hatten eine Pfingsttour nach Pichelswerder
gemacht, und ich vergesse das in meinem ganzen Leben nicht!

Ich hatte doch wohl die Nerven der Großstädterin, und der lieben Wei-
berchcn überhaupt, ein wenig zu sehr unterschätzt, da ich ihr, wie alle andern,
den unheimlichen Spuk von Pfisters Mühle verheimlichte. Nun durfte ich
schon mit ziemlichem Gleichmut sagen: Es hängt mit dem übrigen zusammen,
Liebste; ganz genau mit der Geschichte von Adam Asche und Albertine,
und da Christine und du einmal daran gerührt habt, so kann ich die Tragödie
Felix Lippoldes wohl auch zu Ende erzählen, ohne dich zum Gruseln zu
bringen in den letzten Nächten auf meines Vaters Erbe.

Na na, Närrchen! Bist du nicht bei mir? Etwas andres wäre es Wohl,
wenn ich hier ganz allein säße mit deinen Gespenstern. Und dann, erinnere


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[0545] pfisters Mühle. Es war, als rauschte der kleine Fluß munterer denn je, und auch Emmy faud das und stieß mich an und sagte: Hör' nur, wie lebhaft dein Bach diesen Abend ist! Es muß im Gebirge wohl noch stärker als hier im flachen Lande gegossen haben. Das müßte dort gestern oder vorige Nacht gewesen sein, meinte Christine. So lange dauert es wohl a», ehe so ein Wolkenbruch aus den Bergen bei Pfisters Mühle anlangt. Die Zeitung heute Abend weiß schon davon, sagte ich. Ja die Zeitung, die Zeitung, murmelte die Alte am Tische. Was wissen die Zeitungen alles! Wie schnell oder wie viel zu spät wissen sie alles und schreiben über alles, was sie wissen und nicht wissen. Erinnerst du dich Wohl noch, Ebert, wie sie damals nach geschehenem Unglück über den armen Papa von Frau Albertine redeten? Dein seliger Vater las es uns vor, und uns allen standen die Thränen in den Augen, die blutigen Neuethränen, daß wir ihn in der Welt so wenig ästimirt hatten, da er es doch so sehr verdiente. Selber ich in meiner armen, dummen Seele mußte mit Wehmut mit in das Gefühl ein¬ stimmen, daß wir alle so sehr zu der schlechten, unverständigen, undankbaren Welt gehörten, die keinen großmächtigen, berühmten Menschen zu taxiren wüßte. Was sagten denn diese dummen Zeitungen, Christine? fragte Emmy, lächelnd sich umwendend. Nun, im Grunde wuschen sie nachträglich sich nur selber die Hände in Unschuld und schoben alles auf uns, die schlechte, unvernünftige Welt, daß er bei Pfisters Mühle aus dein Wasser gezogen worden sei. Barmherziger Himmel — Ebert! stammelte die arme Kleine. Aus unserm hübschen Bache da? Hier aus dem Wasser? O, das mußt du mir auf der Stelle ganz genau erzählen. Das ist ja zu schrecklich interessant! Mein Gott, dann hat er aber auch wohl hier in eurer Mühle auf dem Stroh gelegen? Ich habe bei Berlin auch einmal ein junges Ding von Mädchen auf dem Stroh liegen sehen. Ich hatte den Papa endlich auch einmal von seinein Kirchhofe weggekriegt, und wir hatten eine Pfingsttour nach Pichelswerder gemacht, und ich vergesse das in meinem ganzen Leben nicht! Ich hatte doch wohl die Nerven der Großstädterin, und der lieben Wei- berchcn überhaupt, ein wenig zu sehr unterschätzt, da ich ihr, wie alle andern, den unheimlichen Spuk von Pfisters Mühle verheimlichte. Nun durfte ich schon mit ziemlichem Gleichmut sagen: Es hängt mit dem übrigen zusammen, Liebste; ganz genau mit der Geschichte von Adam Asche und Albertine, und da Christine und du einmal daran gerührt habt, so kann ich die Tragödie Felix Lippoldes wohl auch zu Ende erzählen, ohne dich zum Gruseln zu bringen in den letzten Nächten auf meines Vaters Erbe. Na na, Närrchen! Bist du nicht bei mir? Etwas andres wäre es Wohl, wenn ich hier ganz allein säße mit deinen Gespenstern. Und dann, erinnere Grmzl'öden IV. 1884. V8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/545>, abgerufen am 29.12.2024.