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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei,

Architekten Pieter Coecke, erzogen, welche ihm auch den ersten Unterricht in der
Aquarellmalerei erteilte. In der Ölmalerei unterwies ihn ein gewisser Pieter
Goetkint. Später zog er nach dem Berichte Karel van Manders nach Köln,
und von da nach Italien, wo er nach demselben Gewährsmann durch das Malen
von Landschaften mit kleinen Figuren berühmt wurde. Im Jahre 1593 muß
er sich in Rom aufgehalten haben, da sich früher im Crozatschen Kabinet in
Paris eine Zeichnung des Kolosseums mit seinem Namen und jener Jahreszahl
befand. Es ist sehr wahrscheinlich, daß sich der junge Brueghel in Rom an
seinen Antwerpener Landsmann Paul Bril (1556--1626) anschloß, welcher beim
Papste in hohem Ansehen stand und nicht nur zahlreiche landschaftliche Fresken
in Kirchen und Palästen ausführte, sondern auch kleine Landschaften mit biblischen
Szenen, mit Schlachten, Jagden, Tieren u. s. w. malte. Von Bril wird sich
Brueghel auch die eigentümliche, allen niederländischen Künstlern, die sich im
Süden aufgehalten hatten, gemeinsame Gewohnheit, die Ferne blau zu sehen,
angeeignet haben. Schon Jan van Eyck, der in Portugals gewesen war, hatte die
Hintergründe seiner Landschaften blau gefärbt. Das hatte sich dann in der
Schule fortgeerbt, und niemand war auf den Gedanken gekommen, die Über¬
lieferung an dem, was er in der nordischen Heimat mit eignen Augen sah, zu
berichtigen. Als dann immer mehr niederländische Künstler nach Italien zogen
und dort wirklich die blauen Fernen vorfanden, wurde ein blauer Hintergrund
der unumgänglich nötige Bestandteil einer Landschaft, vielleicht, wie Max Rooses
annimmt, schon deshalb, weil sie bestrebt waren, "die Natur nicht am ivahrsten,
sondern am schönsten wiederzugeben." Die Schönheit und die Wahrheit sind
übrigens die künstlerischen Motoren, welche den Charakter der flämischen und der
holländischen Malerei nach der Trennung der beiden Schulen bestimmten. Bei
den Flamländern mußte die Wahrheit, wo es irgend anging, hinter der Schön¬
heit zurücktreten, während die Holländer die letztere ohne Besinnen und immer
der Wahrheit opferten. Von Jan Brueghel sagt Rooses daher treffend: "Sein
Vater war ein Holländer, und somit auch ein Mann von aufgeputzter Wahr¬
heit; der Sohn wurde ein Sinjovr, somit ein Freund von zierlicher Schön¬
heit."

Wie alles, was die niederländischen Künstler in Italien sahen, übertrieben
sie auch die Bläue der allmählich verdämmernden und verschwimmenden Fernen.
Die Italiener haben niemals ihre heimischen Landschaften so blau gemalt wie
die Niederländer, und nirgendwo anders ist aus der verschmolzenen Nachahmung
von Michelangelo und Lionardo da Vinci eine so übertriebene und schwülstige
Formensprache entstanden, wie unter den niederländischen Künstlern. Jan
Gossaert, genannt Mabuse, und Frans Floris sind die Hauptvertreter dieser
Richtung, welcher erst von Rubens der Garaus gemacht wurde, der zugleich die
Landschaft reformirte, indem er der konventionellen Überlieferung das un¬
befangene Studium der Natur entgegensetzte. In den ersten Zeiten der nieder-


Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei,

Architekten Pieter Coecke, erzogen, welche ihm auch den ersten Unterricht in der
Aquarellmalerei erteilte. In der Ölmalerei unterwies ihn ein gewisser Pieter
Goetkint. Später zog er nach dem Berichte Karel van Manders nach Köln,
und von da nach Italien, wo er nach demselben Gewährsmann durch das Malen
von Landschaften mit kleinen Figuren berühmt wurde. Im Jahre 1593 muß
er sich in Rom aufgehalten haben, da sich früher im Crozatschen Kabinet in
Paris eine Zeichnung des Kolosseums mit seinem Namen und jener Jahreszahl
befand. Es ist sehr wahrscheinlich, daß sich der junge Brueghel in Rom an
seinen Antwerpener Landsmann Paul Bril (1556—1626) anschloß, welcher beim
Papste in hohem Ansehen stand und nicht nur zahlreiche landschaftliche Fresken
in Kirchen und Palästen ausführte, sondern auch kleine Landschaften mit biblischen
Szenen, mit Schlachten, Jagden, Tieren u. s. w. malte. Von Bril wird sich
Brueghel auch die eigentümliche, allen niederländischen Künstlern, die sich im
Süden aufgehalten hatten, gemeinsame Gewohnheit, die Ferne blau zu sehen,
angeeignet haben. Schon Jan van Eyck, der in Portugals gewesen war, hatte die
Hintergründe seiner Landschaften blau gefärbt. Das hatte sich dann in der
Schule fortgeerbt, und niemand war auf den Gedanken gekommen, die Über¬
lieferung an dem, was er in der nordischen Heimat mit eignen Augen sah, zu
berichtigen. Als dann immer mehr niederländische Künstler nach Italien zogen
und dort wirklich die blauen Fernen vorfanden, wurde ein blauer Hintergrund
der unumgänglich nötige Bestandteil einer Landschaft, vielleicht, wie Max Rooses
annimmt, schon deshalb, weil sie bestrebt waren, „die Natur nicht am ivahrsten,
sondern am schönsten wiederzugeben." Die Schönheit und die Wahrheit sind
übrigens die künstlerischen Motoren, welche den Charakter der flämischen und der
holländischen Malerei nach der Trennung der beiden Schulen bestimmten. Bei
den Flamländern mußte die Wahrheit, wo es irgend anging, hinter der Schön¬
heit zurücktreten, während die Holländer die letztere ohne Besinnen und immer
der Wahrheit opferten. Von Jan Brueghel sagt Rooses daher treffend: „Sein
Vater war ein Holländer, und somit auch ein Mann von aufgeputzter Wahr¬
heit; der Sohn wurde ein Sinjovr, somit ein Freund von zierlicher Schön¬
heit."

Wie alles, was die niederländischen Künstler in Italien sahen, übertrieben
sie auch die Bläue der allmählich verdämmernden und verschwimmenden Fernen.
Die Italiener haben niemals ihre heimischen Landschaften so blau gemalt wie
die Niederländer, und nirgendwo anders ist aus der verschmolzenen Nachahmung
von Michelangelo und Lionardo da Vinci eine so übertriebene und schwülstige
Formensprache entstanden, wie unter den niederländischen Künstlern. Jan
Gossaert, genannt Mabuse, und Frans Floris sind die Hauptvertreter dieser
Richtung, welcher erst von Rubens der Garaus gemacht wurde, der zugleich die
Landschaft reformirte, indem er der konventionellen Überlieferung das un¬
befangene Studium der Natur entgegensetzte. In den ersten Zeiten der nieder-


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[0423] Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei, Architekten Pieter Coecke, erzogen, welche ihm auch den ersten Unterricht in der Aquarellmalerei erteilte. In der Ölmalerei unterwies ihn ein gewisser Pieter Goetkint. Später zog er nach dem Berichte Karel van Manders nach Köln, und von da nach Italien, wo er nach demselben Gewährsmann durch das Malen von Landschaften mit kleinen Figuren berühmt wurde. Im Jahre 1593 muß er sich in Rom aufgehalten haben, da sich früher im Crozatschen Kabinet in Paris eine Zeichnung des Kolosseums mit seinem Namen und jener Jahreszahl befand. Es ist sehr wahrscheinlich, daß sich der junge Brueghel in Rom an seinen Antwerpener Landsmann Paul Bril (1556—1626) anschloß, welcher beim Papste in hohem Ansehen stand und nicht nur zahlreiche landschaftliche Fresken in Kirchen und Palästen ausführte, sondern auch kleine Landschaften mit biblischen Szenen, mit Schlachten, Jagden, Tieren u. s. w. malte. Von Bril wird sich Brueghel auch die eigentümliche, allen niederländischen Künstlern, die sich im Süden aufgehalten hatten, gemeinsame Gewohnheit, die Ferne blau zu sehen, angeeignet haben. Schon Jan van Eyck, der in Portugals gewesen war, hatte die Hintergründe seiner Landschaften blau gefärbt. Das hatte sich dann in der Schule fortgeerbt, und niemand war auf den Gedanken gekommen, die Über¬ lieferung an dem, was er in der nordischen Heimat mit eignen Augen sah, zu berichtigen. Als dann immer mehr niederländische Künstler nach Italien zogen und dort wirklich die blauen Fernen vorfanden, wurde ein blauer Hintergrund der unumgänglich nötige Bestandteil einer Landschaft, vielleicht, wie Max Rooses annimmt, schon deshalb, weil sie bestrebt waren, „die Natur nicht am ivahrsten, sondern am schönsten wiederzugeben." Die Schönheit und die Wahrheit sind übrigens die künstlerischen Motoren, welche den Charakter der flämischen und der holländischen Malerei nach der Trennung der beiden Schulen bestimmten. Bei den Flamländern mußte die Wahrheit, wo es irgend anging, hinter der Schön¬ heit zurücktreten, während die Holländer die letztere ohne Besinnen und immer der Wahrheit opferten. Von Jan Brueghel sagt Rooses daher treffend: „Sein Vater war ein Holländer, und somit auch ein Mann von aufgeputzter Wahr¬ heit; der Sohn wurde ein Sinjovr, somit ein Freund von zierlicher Schön¬ heit." Wie alles, was die niederländischen Künstler in Italien sahen, übertrieben sie auch die Bläue der allmählich verdämmernden und verschwimmenden Fernen. Die Italiener haben niemals ihre heimischen Landschaften so blau gemalt wie die Niederländer, und nirgendwo anders ist aus der verschmolzenen Nachahmung von Michelangelo und Lionardo da Vinci eine so übertriebene und schwülstige Formensprache entstanden, wie unter den niederländischen Künstlern. Jan Gossaert, genannt Mabuse, und Frans Floris sind die Hauptvertreter dieser Richtung, welcher erst von Rubens der Garaus gemacht wurde, der zugleich die Landschaft reformirte, indem er der konventionellen Überlieferung das un¬ befangene Studium der Natur entgegensetzte. In den ersten Zeiten der nieder-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/423>, abgerufen am 29.12.2024.