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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei.

Wege" wahrhafter Freundschaftsdienste verpflichtet. Zur Zeit meines Unglücks,
als alle Welt mich verließ, kam er zu mir und blieb Tage und Nächte lang
bei mir, um mir als wahrer Freund zu dienen und mich zu stärken," Das
Unglück, von welchem Brueghel spricht, traf ihn zu Ostern des Jahres 1608,
Seine Frau wurde so krank, daß er für ihr Leben fürchtete, und er selbst wurde
infolge der Aufregung und Sorge von einem'Fieber ergriffen, welches ihn lange
Zeit arbeitsunfähig machte. Aus einer andern Quelle erfahren wir, daß
Brueghel zur Auslösung eines Schuldgefangenen, dessen Vater Schildknappe der
Lukasgilde war, sechs Gulden beisteuerte, die höchste Summe, welche ein Ein¬
zelner zu diesem Zwecke hergab. Wenn er auf der einen Seite eifrig bedacht
war, sich durch häufige Petitionen bei dem Erzherzogenpaar in Brüssel, welches
ihm sehr gewogen war, allerhand Vorteile, Steuerbefreiungen u, dergl. in. zu
verschaffen und Gelder einzutreiben, wo er irgend etwas erlangen konnte, so
steht dieser habsüchtigen Betriebsamkeit Freigebigkeit, Gutherzigkeit und eine hohe
Noblesse in seiner eignen Lebensführung entgegen. Er hieß nicht umsonst der
"Sammetbrueghel," nicht etwa wegen seines satten, glänzenden Kolorits, sondern
weil er durch seine Kunst soviel gewann, daß er in Sammet und Seide einher¬
gehen konnte.

Die eigentümliche Verbindung von Habsucht und Freigebigkeit ist eine Cha¬
raktereigenschaft, die bei so vielen großen Künstlern wiederkehrt, daß man sie
für einen Ausfluß des künstlerischen Temperaments und der ganzen nervösen
Komplexion, welche eine der Grundlagen des künstlerischen Schaffens bildet, zu
halten geneigt sein könnte. Aus dem umfangreichen Briefwechsel Michelangelos
ersehen wir, wie ängstlich und kleinlich der große Meister in Geldfragen war.
Raffael, den man immer noch allgemein für eine ideale, halb in den Wolken
schwebende Erscheinung hält, war ein äußerst praktischer Rechner. Bei Tizian
steigerte sich die Lust am Gelderwerb bis zur schmutzigen Gier, sodaß er sich
nicht scheute, einen Holzhandel zu betreiben, obwohl ihm seine Kunst enorme
Summen einbrachte. Selbst eine so reine und edle Natur wie Albrecht Dürer
verliert in unsern Augen, wenn wir aus seinen Briefen sein Handeln und Feil¬
schen mit Jakob Heller in Frankfurt am Main und die peinliche Gewissenhaftig¬
keit in bezug auf Ausgaben und Einnahmen in seinem Tagebuch der nieder¬
ländischen Reise verfolgen. Ebenso war Rubens ein ausgezeichneter Geschäfts¬
mann, der feine Geldangelegenheiten mit der Geschicklichkeit eines modernen
Bankiers besorgte. Über Dürers häusliches Leben wissen wir nur wenig.
Raffael, Tizian, Rubens und Brueghel waren aber keine Harpagone, welche
ängstlich ihre erworbenen Schätze hüteten, sondern sie führten ein Leben, das
sogar einen fürstlichen Anstrich hatte.

Jan Brueghel wurde im Jahre 1S68 in Brüssel als der zweite Sohn
Pieter Brueghels geboren. Ein Jahr nach seiner Geburt verlor er bereits seinen
Vater und wurde nun von seiner Großmutter, der Witwe des Malers und


Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei.

Wege» wahrhafter Freundschaftsdienste verpflichtet. Zur Zeit meines Unglücks,
als alle Welt mich verließ, kam er zu mir und blieb Tage und Nächte lang
bei mir, um mir als wahrer Freund zu dienen und mich zu stärken," Das
Unglück, von welchem Brueghel spricht, traf ihn zu Ostern des Jahres 1608,
Seine Frau wurde so krank, daß er für ihr Leben fürchtete, und er selbst wurde
infolge der Aufregung und Sorge von einem'Fieber ergriffen, welches ihn lange
Zeit arbeitsunfähig machte. Aus einer andern Quelle erfahren wir, daß
Brueghel zur Auslösung eines Schuldgefangenen, dessen Vater Schildknappe der
Lukasgilde war, sechs Gulden beisteuerte, die höchste Summe, welche ein Ein¬
zelner zu diesem Zwecke hergab. Wenn er auf der einen Seite eifrig bedacht
war, sich durch häufige Petitionen bei dem Erzherzogenpaar in Brüssel, welches
ihm sehr gewogen war, allerhand Vorteile, Steuerbefreiungen u, dergl. in. zu
verschaffen und Gelder einzutreiben, wo er irgend etwas erlangen konnte, so
steht dieser habsüchtigen Betriebsamkeit Freigebigkeit, Gutherzigkeit und eine hohe
Noblesse in seiner eignen Lebensführung entgegen. Er hieß nicht umsonst der
„Sammetbrueghel," nicht etwa wegen seines satten, glänzenden Kolorits, sondern
weil er durch seine Kunst soviel gewann, daß er in Sammet und Seide einher¬
gehen konnte.

Die eigentümliche Verbindung von Habsucht und Freigebigkeit ist eine Cha¬
raktereigenschaft, die bei so vielen großen Künstlern wiederkehrt, daß man sie
für einen Ausfluß des künstlerischen Temperaments und der ganzen nervösen
Komplexion, welche eine der Grundlagen des künstlerischen Schaffens bildet, zu
halten geneigt sein könnte. Aus dem umfangreichen Briefwechsel Michelangelos
ersehen wir, wie ängstlich und kleinlich der große Meister in Geldfragen war.
Raffael, den man immer noch allgemein für eine ideale, halb in den Wolken
schwebende Erscheinung hält, war ein äußerst praktischer Rechner. Bei Tizian
steigerte sich die Lust am Gelderwerb bis zur schmutzigen Gier, sodaß er sich
nicht scheute, einen Holzhandel zu betreiben, obwohl ihm seine Kunst enorme
Summen einbrachte. Selbst eine so reine und edle Natur wie Albrecht Dürer
verliert in unsern Augen, wenn wir aus seinen Briefen sein Handeln und Feil¬
schen mit Jakob Heller in Frankfurt am Main und die peinliche Gewissenhaftig¬
keit in bezug auf Ausgaben und Einnahmen in seinem Tagebuch der nieder¬
ländischen Reise verfolgen. Ebenso war Rubens ein ausgezeichneter Geschäfts¬
mann, der feine Geldangelegenheiten mit der Geschicklichkeit eines modernen
Bankiers besorgte. Über Dürers häusliches Leben wissen wir nur wenig.
Raffael, Tizian, Rubens und Brueghel waren aber keine Harpagone, welche
ängstlich ihre erworbenen Schätze hüteten, sondern sie führten ein Leben, das
sogar einen fürstlichen Anstrich hatte.

Jan Brueghel wurde im Jahre 1S68 in Brüssel als der zweite Sohn
Pieter Brueghels geboren. Ein Jahr nach seiner Geburt verlor er bereits seinen
Vater und wurde nun von seiner Großmutter, der Witwe des Malers und


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[0422] Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei. Wege» wahrhafter Freundschaftsdienste verpflichtet. Zur Zeit meines Unglücks, als alle Welt mich verließ, kam er zu mir und blieb Tage und Nächte lang bei mir, um mir als wahrer Freund zu dienen und mich zu stärken," Das Unglück, von welchem Brueghel spricht, traf ihn zu Ostern des Jahres 1608, Seine Frau wurde so krank, daß er für ihr Leben fürchtete, und er selbst wurde infolge der Aufregung und Sorge von einem'Fieber ergriffen, welches ihn lange Zeit arbeitsunfähig machte. Aus einer andern Quelle erfahren wir, daß Brueghel zur Auslösung eines Schuldgefangenen, dessen Vater Schildknappe der Lukasgilde war, sechs Gulden beisteuerte, die höchste Summe, welche ein Ein¬ zelner zu diesem Zwecke hergab. Wenn er auf der einen Seite eifrig bedacht war, sich durch häufige Petitionen bei dem Erzherzogenpaar in Brüssel, welches ihm sehr gewogen war, allerhand Vorteile, Steuerbefreiungen u, dergl. in. zu verschaffen und Gelder einzutreiben, wo er irgend etwas erlangen konnte, so steht dieser habsüchtigen Betriebsamkeit Freigebigkeit, Gutherzigkeit und eine hohe Noblesse in seiner eignen Lebensführung entgegen. Er hieß nicht umsonst der „Sammetbrueghel," nicht etwa wegen seines satten, glänzenden Kolorits, sondern weil er durch seine Kunst soviel gewann, daß er in Sammet und Seide einher¬ gehen konnte. Die eigentümliche Verbindung von Habsucht und Freigebigkeit ist eine Cha¬ raktereigenschaft, die bei so vielen großen Künstlern wiederkehrt, daß man sie für einen Ausfluß des künstlerischen Temperaments und der ganzen nervösen Komplexion, welche eine der Grundlagen des künstlerischen Schaffens bildet, zu halten geneigt sein könnte. Aus dem umfangreichen Briefwechsel Michelangelos ersehen wir, wie ängstlich und kleinlich der große Meister in Geldfragen war. Raffael, den man immer noch allgemein für eine ideale, halb in den Wolken schwebende Erscheinung hält, war ein äußerst praktischer Rechner. Bei Tizian steigerte sich die Lust am Gelderwerb bis zur schmutzigen Gier, sodaß er sich nicht scheute, einen Holzhandel zu betreiben, obwohl ihm seine Kunst enorme Summen einbrachte. Selbst eine so reine und edle Natur wie Albrecht Dürer verliert in unsern Augen, wenn wir aus seinen Briefen sein Handeln und Feil¬ schen mit Jakob Heller in Frankfurt am Main und die peinliche Gewissenhaftig¬ keit in bezug auf Ausgaben und Einnahmen in seinem Tagebuch der nieder¬ ländischen Reise verfolgen. Ebenso war Rubens ein ausgezeichneter Geschäfts¬ mann, der feine Geldangelegenheiten mit der Geschicklichkeit eines modernen Bankiers besorgte. Über Dürers häusliches Leben wissen wir nur wenig. Raffael, Tizian, Rubens und Brueghel waren aber keine Harpagone, welche ängstlich ihre erworbenen Schätze hüteten, sondern sie führten ein Leben, das sogar einen fürstlichen Anstrich hatte. Jan Brueghel wurde im Jahre 1S68 in Brüssel als der zweite Sohn Pieter Brueghels geboren. Ein Jahr nach seiner Geburt verlor er bereits seinen Vater und wurde nun von seiner Großmutter, der Witwe des Malers und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/422>, abgerufen am 29.12.2024.