Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei.

ländischen Landschaftsmalerei war besonders Joachim de Patinier für die blauen
Fernen begeistert. Von seinen unmittelbaren Nachfolgern ist uns nur wenig
erhalten. Der Bildersturm und die Kriegsgräuel haben unter den Kunstschätzen
der Niederlande so fürchterlich aufgeräumt, daß wirklich die enorme Produktivität
eines Rubens, van Dyck, Brueghel, Teniers, Rembrandt, Terborch und Ostade
nötig war, um Kirchen, Paläste und Häuser wieder freundlich und wohnlich
zu machen. Von einem der auf Patinier folgenden Landschaftsmaler, von
Cornelis Mvlenaer (geboren um 1640), ist uns wenigstens ein glaubwürdiges
Bild erhalten, die That des barmherzigen Samariters in einer Landschaft, aus
welcher wir ersehen, daß die Tradition bis zu Brueghel hin keine Unterbrechung
erfahren hat. Die Brüder Lukas und Marten von Valkenborch sind sogar als
seine unmittelbaren Vorgänger anzusehen, welche zum Teil dieselbe" Stoffe
behandelten wie sein Vater Pieter Brueghel, der vielleicht von Einfluß auf die
Brüder Valkenborch gewesen ist. Lukas, der begabtere von beiden, scheint auch
bei Kaiser Rudolf erst die Begierde nach Bildern des alten Brueghel erweckt
zu haben. Nachdem er 1560 in die Lukasgilde in Mecheln aufgenommen worden,
war er bis 1666 daselbst thätig und ging dann nach Antwerpen, später nach
Lüttich und Aachen. Von 1580 ab war er für den Erzherzog Matthias, den
Bruder des Kaisers, der sich damals in Linz aufhielt, beschäftigt. Er malte
für ihn u. a. vier die Jahreszeiten darstellende Landschaften mit zahlreichen
Figure", welche sich heute im Wiener Belvedere neben mehreren andern, aus
Kaiser Rudolfs Kunst- und Wnnderkammer stammenden Gemälden von seiner
Hand befinden. Außer solchen Landschaften mit kleinen miniaturartig aus¬
geführten Figuren malte Lukas van Valkenborch auch Bauernschcnken, Kirmsen
und Bauernschlägereien.

Jan Brueghel war berufen, die zu seiner Zeit bereits in hoher Blüte
stehende Landschafts- und Genremalerei um eine weitere Stufe zu heben. Er
gelangte dazu, indem er sich hinsichtlich aller Einzelheiten der belebten und
unbelebten Natur eng an die Wirklichkeit anschloß. Er betrieb das Modell¬
studium mit einem Eifer und einer Sorgfalt, die vor ihm ganz unbekannt waren.
Wir haben gesehen, daß schon vor ihm der Realismus oder die unbefangene
Naturnachahmung in den Niederlanden große Fortschritte gemacht hatte, wofür
die Kirchenstücke von Pieter Aertsen und Joachim Beuckelaer gewichtige Be¬
weisstücke sind. Jan Brueghel trieb die Naturnachahmung aber so weit, daß
sie selbst in den geringsten Größenverhältnissen in Miniaturmalereien, die nur
mit der Lupe gewürdigt werden können, zur vollsten Geltung kommt. Als ein
neues Element brachte er noch die Blumen- und Fruchtmalerei hinzu. Er ist
der erste Blumenmaler in den Niederlanden, dem man zugleich das Prädikat
eines Koloristen zuerkennen darf. Seine Landschaften und seine Figuren darin
sind immer bunt und hart, wenngleich die fröhliche Farbenfrische dem Auge nicht
wehe thut. In seinen Blumen- und Fruchtguirlanden dagegen weiß er bereits


Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei.

ländischen Landschaftsmalerei war besonders Joachim de Patinier für die blauen
Fernen begeistert. Von seinen unmittelbaren Nachfolgern ist uns nur wenig
erhalten. Der Bildersturm und die Kriegsgräuel haben unter den Kunstschätzen
der Niederlande so fürchterlich aufgeräumt, daß wirklich die enorme Produktivität
eines Rubens, van Dyck, Brueghel, Teniers, Rembrandt, Terborch und Ostade
nötig war, um Kirchen, Paläste und Häuser wieder freundlich und wohnlich
zu machen. Von einem der auf Patinier folgenden Landschaftsmaler, von
Cornelis Mvlenaer (geboren um 1640), ist uns wenigstens ein glaubwürdiges
Bild erhalten, die That des barmherzigen Samariters in einer Landschaft, aus
welcher wir ersehen, daß die Tradition bis zu Brueghel hin keine Unterbrechung
erfahren hat. Die Brüder Lukas und Marten von Valkenborch sind sogar als
seine unmittelbaren Vorgänger anzusehen, welche zum Teil dieselbe» Stoffe
behandelten wie sein Vater Pieter Brueghel, der vielleicht von Einfluß auf die
Brüder Valkenborch gewesen ist. Lukas, der begabtere von beiden, scheint auch
bei Kaiser Rudolf erst die Begierde nach Bildern des alten Brueghel erweckt
zu haben. Nachdem er 1560 in die Lukasgilde in Mecheln aufgenommen worden,
war er bis 1666 daselbst thätig und ging dann nach Antwerpen, später nach
Lüttich und Aachen. Von 1580 ab war er für den Erzherzog Matthias, den
Bruder des Kaisers, der sich damals in Linz aufhielt, beschäftigt. Er malte
für ihn u. a. vier die Jahreszeiten darstellende Landschaften mit zahlreichen
Figure», welche sich heute im Wiener Belvedere neben mehreren andern, aus
Kaiser Rudolfs Kunst- und Wnnderkammer stammenden Gemälden von seiner
Hand befinden. Außer solchen Landschaften mit kleinen miniaturartig aus¬
geführten Figuren malte Lukas van Valkenborch auch Bauernschcnken, Kirmsen
und Bauernschlägereien.

Jan Brueghel war berufen, die zu seiner Zeit bereits in hoher Blüte
stehende Landschafts- und Genremalerei um eine weitere Stufe zu heben. Er
gelangte dazu, indem er sich hinsichtlich aller Einzelheiten der belebten und
unbelebten Natur eng an die Wirklichkeit anschloß. Er betrieb das Modell¬
studium mit einem Eifer und einer Sorgfalt, die vor ihm ganz unbekannt waren.
Wir haben gesehen, daß schon vor ihm der Realismus oder die unbefangene
Naturnachahmung in den Niederlanden große Fortschritte gemacht hatte, wofür
die Kirchenstücke von Pieter Aertsen und Joachim Beuckelaer gewichtige Be¬
weisstücke sind. Jan Brueghel trieb die Naturnachahmung aber so weit, daß
sie selbst in den geringsten Größenverhältnissen in Miniaturmalereien, die nur
mit der Lupe gewürdigt werden können, zur vollsten Geltung kommt. Als ein
neues Element brachte er noch die Blumen- und Fruchtmalerei hinzu. Er ist
der erste Blumenmaler in den Niederlanden, dem man zugleich das Prädikat
eines Koloristen zuerkennen darf. Seine Landschaften und seine Figuren darin
sind immer bunt und hart, wenngleich die fröhliche Farbenfrische dem Auge nicht
wehe thut. In seinen Blumen- und Fruchtguirlanden dagegen weiß er bereits


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0424" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/157349"/>
          <fw type="header" place="top"> Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1460" prev="#ID_1459"> ländischen Landschaftsmalerei war besonders Joachim de Patinier für die blauen<lb/>
Fernen begeistert. Von seinen unmittelbaren Nachfolgern ist uns nur wenig<lb/>
erhalten. Der Bildersturm und die Kriegsgräuel haben unter den Kunstschätzen<lb/>
der Niederlande so fürchterlich aufgeräumt, daß wirklich die enorme Produktivität<lb/>
eines Rubens, van Dyck, Brueghel, Teniers, Rembrandt, Terborch und Ostade<lb/>
nötig war, um Kirchen, Paläste und Häuser wieder freundlich und wohnlich<lb/>
zu machen. Von einem der auf Patinier folgenden Landschaftsmaler, von<lb/>
Cornelis Mvlenaer (geboren um 1640), ist uns wenigstens ein glaubwürdiges<lb/>
Bild erhalten, die That des barmherzigen Samariters in einer Landschaft, aus<lb/>
welcher wir ersehen, daß die Tradition bis zu Brueghel hin keine Unterbrechung<lb/>
erfahren hat. Die Brüder Lukas und Marten von Valkenborch sind sogar als<lb/>
seine unmittelbaren Vorgänger anzusehen, welche zum Teil dieselbe» Stoffe<lb/>
behandelten wie sein Vater Pieter Brueghel, der vielleicht von Einfluß auf die<lb/>
Brüder Valkenborch gewesen ist. Lukas, der begabtere von beiden, scheint auch<lb/>
bei Kaiser Rudolf erst die Begierde nach Bildern des alten Brueghel erweckt<lb/>
zu haben. Nachdem er 1560 in die Lukasgilde in Mecheln aufgenommen worden,<lb/>
war er bis 1666 daselbst thätig und ging dann nach Antwerpen, später nach<lb/>
Lüttich und Aachen. Von 1580 ab war er für den Erzherzog Matthias, den<lb/>
Bruder des Kaisers, der sich damals in Linz aufhielt, beschäftigt. Er malte<lb/>
für ihn u. a. vier die Jahreszeiten darstellende Landschaften mit zahlreichen<lb/>
Figure», welche sich heute im Wiener Belvedere neben mehreren andern, aus<lb/>
Kaiser Rudolfs Kunst- und Wnnderkammer stammenden Gemälden von seiner<lb/>
Hand befinden. Außer solchen Landschaften mit kleinen miniaturartig aus¬<lb/>
geführten Figuren malte Lukas van Valkenborch auch Bauernschcnken, Kirmsen<lb/>
und Bauernschlägereien.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1461" next="#ID_1462"> Jan Brueghel war berufen, die zu seiner Zeit bereits in hoher Blüte<lb/>
stehende Landschafts- und Genremalerei um eine weitere Stufe zu heben. Er<lb/>
gelangte dazu, indem er sich hinsichtlich aller Einzelheiten der belebten und<lb/>
unbelebten Natur eng an die Wirklichkeit anschloß. Er betrieb das Modell¬<lb/>
studium mit einem Eifer und einer Sorgfalt, die vor ihm ganz unbekannt waren.<lb/>
Wir haben gesehen, daß schon vor ihm der Realismus oder die unbefangene<lb/>
Naturnachahmung in den Niederlanden große Fortschritte gemacht hatte, wofür<lb/>
die Kirchenstücke von Pieter Aertsen und Joachim Beuckelaer gewichtige Be¬<lb/>
weisstücke sind. Jan Brueghel trieb die Naturnachahmung aber so weit, daß<lb/>
sie selbst in den geringsten Größenverhältnissen in Miniaturmalereien, die nur<lb/>
mit der Lupe gewürdigt werden können, zur vollsten Geltung kommt. Als ein<lb/>
neues Element brachte er noch die Blumen- und Fruchtmalerei hinzu. Er ist<lb/>
der erste Blumenmaler in den Niederlanden, dem man zugleich das Prädikat<lb/>
eines Koloristen zuerkennen darf. Seine Landschaften und seine Figuren darin<lb/>
sind immer bunt und hart, wenngleich die fröhliche Farbenfrische dem Auge nicht<lb/>
wehe thut. In seinen Blumen- und Fruchtguirlanden dagegen weiß er bereits</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0424] Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei. ländischen Landschaftsmalerei war besonders Joachim de Patinier für die blauen Fernen begeistert. Von seinen unmittelbaren Nachfolgern ist uns nur wenig erhalten. Der Bildersturm und die Kriegsgräuel haben unter den Kunstschätzen der Niederlande so fürchterlich aufgeräumt, daß wirklich die enorme Produktivität eines Rubens, van Dyck, Brueghel, Teniers, Rembrandt, Terborch und Ostade nötig war, um Kirchen, Paläste und Häuser wieder freundlich und wohnlich zu machen. Von einem der auf Patinier folgenden Landschaftsmaler, von Cornelis Mvlenaer (geboren um 1640), ist uns wenigstens ein glaubwürdiges Bild erhalten, die That des barmherzigen Samariters in einer Landschaft, aus welcher wir ersehen, daß die Tradition bis zu Brueghel hin keine Unterbrechung erfahren hat. Die Brüder Lukas und Marten von Valkenborch sind sogar als seine unmittelbaren Vorgänger anzusehen, welche zum Teil dieselbe» Stoffe behandelten wie sein Vater Pieter Brueghel, der vielleicht von Einfluß auf die Brüder Valkenborch gewesen ist. Lukas, der begabtere von beiden, scheint auch bei Kaiser Rudolf erst die Begierde nach Bildern des alten Brueghel erweckt zu haben. Nachdem er 1560 in die Lukasgilde in Mecheln aufgenommen worden, war er bis 1666 daselbst thätig und ging dann nach Antwerpen, später nach Lüttich und Aachen. Von 1580 ab war er für den Erzherzog Matthias, den Bruder des Kaisers, der sich damals in Linz aufhielt, beschäftigt. Er malte für ihn u. a. vier die Jahreszeiten darstellende Landschaften mit zahlreichen Figure», welche sich heute im Wiener Belvedere neben mehreren andern, aus Kaiser Rudolfs Kunst- und Wnnderkammer stammenden Gemälden von seiner Hand befinden. Außer solchen Landschaften mit kleinen miniaturartig aus¬ geführten Figuren malte Lukas van Valkenborch auch Bauernschcnken, Kirmsen und Bauernschlägereien. Jan Brueghel war berufen, die zu seiner Zeit bereits in hoher Blüte stehende Landschafts- und Genremalerei um eine weitere Stufe zu heben. Er gelangte dazu, indem er sich hinsichtlich aller Einzelheiten der belebten und unbelebten Natur eng an die Wirklichkeit anschloß. Er betrieb das Modell¬ studium mit einem Eifer und einer Sorgfalt, die vor ihm ganz unbekannt waren. Wir haben gesehen, daß schon vor ihm der Realismus oder die unbefangene Naturnachahmung in den Niederlanden große Fortschritte gemacht hatte, wofür die Kirchenstücke von Pieter Aertsen und Joachim Beuckelaer gewichtige Be¬ weisstücke sind. Jan Brueghel trieb die Naturnachahmung aber so weit, daß sie selbst in den geringsten Größenverhältnissen in Miniaturmalereien, die nur mit der Lupe gewürdigt werden können, zur vollsten Geltung kommt. Als ein neues Element brachte er noch die Blumen- und Fruchtmalerei hinzu. Er ist der erste Blumenmaler in den Niederlanden, dem man zugleich das Prädikat eines Koloristen zuerkennen darf. Seine Landschaften und seine Figuren darin sind immer bunt und hart, wenngleich die fröhliche Farbenfrische dem Auge nicht wehe thut. In seinen Blumen- und Fruchtguirlanden dagegen weiß er bereits

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/424
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/424>, abgerufen am 29.12.2024.