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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Die Verstaatlichung der Versicherungsanstalten.

ihrem wahren Werte entsprechend in die Bilanz eingestellt sind, fehlt aber die
volle Prämienreserve von 318000 Mark, dazu kommen dann noch die vor¬
handenen sechsprozentigen Obligationsschulden aus dem Garantiefonds und die
andern aus der Bilanz ersichtlichen Verbindlichkeiten. Bei einer eventuellen
Subhastcttiou könnte die Sache noch schlimmer werden, da dann außer dem
baare" Verluste an den Pfandbriefen die von der Gesellschaft übernommenen
Verpflichtungen den ausfallenden Gläubigern und der Vorbesitzerin gegenüber
noch bestehen bleiben."

Es kam nun zu einer Generalversammlung, bei der sich die oft wahr¬
genommene beklagenswerte Erscheinung wiederholte, daß nur sehr wenige Mit¬
glieder (hier von über 2000 nur 14) erschienen, sodaß Beschlüsse gefaßt werden
konnten, die dem Interesse der Versicherten garnicht entsprachen. Namentlich
wurde der § 35 der Statuten abgeändert, der in der That unklar war, aber
durch die Modifikation noch unbestimmter und gefährlicher wurde. Derselbe
behandelte die Deckung etwaiger Ausfälle und bestimmte in seiner ursprünglichen
Gestalt, daß mindestens die Hälfte aus dem Garantiefonds entnommen und
höchstens die Hälfte durch Nachschußprämien der sämtlichen Versicherten ge¬
deckt werden solle. Jetzt sollte der Paragraph einen Zusatz bekommen, nach
welchem es der Generalversammlung freistand, zu beschließen: "Das ganze
Defizit kann auch allein durch einzufordernde Nachschußprämien gedeckt werden."
Also auf Kosten der Versicherten sollten die Obligationenbesitzer verschont werden,
oder weil der Garauticfonds nicht in genügender Höhe vorhanden war, sollten
die Mitglieder allein für das Defizit aufkommen. Statt dessen wäre es, wirk¬
liche" guten Willen bei der neuen Verwaltung vorausgesetzt, zweckentsprechender
gewesen, den Paragraphen so zu formuliren, "daß die Gesellschaft alle gesetz¬
lichen Mittel anzuwenden habe, um die Einlösung der Solawechsel bei den
Besitzern der Obligationen zu erwirken, daß in jedem Falle der Garnntiefvnds
in seiner vorhandenen und zu gewärtigenden Höhe der Deckung des Defizits
dienlich gemacht, und daß der dann noch verbleibende Ausfall durch die Nach¬
schußprämien gedeckt werde." Die sonstigen Absichten der Verwaltung nahmen
sich gut aus. Sie wollte jede gewaltsame Realisirung (Subhastation) des
Jmmobilienbesitzes der Gesellschaft hintanhaltcu, und sie beabsichtigte ernste Ver¬
handlungen mit einer bestehenden Versicherungsanstalt anzubahnen, um ihr
Portefeuille an dieselbe zu übertragen -- Bestrebungen, die dahin führen konnten,
daß das jetzt nachgewiesene beträchtliche Defizit um mehr als die Hälfte ver¬
mindert wurde, ja daß es vielleicht mit einer einjährigen Nachschußprcimic ab¬
gethan war.

Über das Weitere müssen wir uns kurz fassen. Im Jahre 1882 schloß die
neue Verwaltung in Anbetracht ihrer sehr bedenklichen Lage keinerlei weitere
Geschäfte ab, auch reduzirte sie ihre laufenden Spesen so, daß eine Vermehrung
des Defizits kaum noch zu befürchten war. Überhaupt lag bei ihr nicht die


Grenzboten IV. 1884. 40
Die Verstaatlichung der Versicherungsanstalten.

ihrem wahren Werte entsprechend in die Bilanz eingestellt sind, fehlt aber die
volle Prämienreserve von 318000 Mark, dazu kommen dann noch die vor¬
handenen sechsprozentigen Obligationsschulden aus dem Garantiefonds und die
andern aus der Bilanz ersichtlichen Verbindlichkeiten. Bei einer eventuellen
Subhastcttiou könnte die Sache noch schlimmer werden, da dann außer dem
baare» Verluste an den Pfandbriefen die von der Gesellschaft übernommenen
Verpflichtungen den ausfallenden Gläubigern und der Vorbesitzerin gegenüber
noch bestehen bleiben."

Es kam nun zu einer Generalversammlung, bei der sich die oft wahr¬
genommene beklagenswerte Erscheinung wiederholte, daß nur sehr wenige Mit¬
glieder (hier von über 2000 nur 14) erschienen, sodaß Beschlüsse gefaßt werden
konnten, die dem Interesse der Versicherten garnicht entsprachen. Namentlich
wurde der § 35 der Statuten abgeändert, der in der That unklar war, aber
durch die Modifikation noch unbestimmter und gefährlicher wurde. Derselbe
behandelte die Deckung etwaiger Ausfälle und bestimmte in seiner ursprünglichen
Gestalt, daß mindestens die Hälfte aus dem Garantiefonds entnommen und
höchstens die Hälfte durch Nachschußprämien der sämtlichen Versicherten ge¬
deckt werden solle. Jetzt sollte der Paragraph einen Zusatz bekommen, nach
welchem es der Generalversammlung freistand, zu beschließen: „Das ganze
Defizit kann auch allein durch einzufordernde Nachschußprämien gedeckt werden."
Also auf Kosten der Versicherten sollten die Obligationenbesitzer verschont werden,
oder weil der Garauticfonds nicht in genügender Höhe vorhanden war, sollten
die Mitglieder allein für das Defizit aufkommen. Statt dessen wäre es, wirk¬
liche« guten Willen bei der neuen Verwaltung vorausgesetzt, zweckentsprechender
gewesen, den Paragraphen so zu formuliren, „daß die Gesellschaft alle gesetz¬
lichen Mittel anzuwenden habe, um die Einlösung der Solawechsel bei den
Besitzern der Obligationen zu erwirken, daß in jedem Falle der Garnntiefvnds
in seiner vorhandenen und zu gewärtigenden Höhe der Deckung des Defizits
dienlich gemacht, und daß der dann noch verbleibende Ausfall durch die Nach¬
schußprämien gedeckt werde." Die sonstigen Absichten der Verwaltung nahmen
sich gut aus. Sie wollte jede gewaltsame Realisirung (Subhastation) des
Jmmobilienbesitzes der Gesellschaft hintanhaltcu, und sie beabsichtigte ernste Ver¬
handlungen mit einer bestehenden Versicherungsanstalt anzubahnen, um ihr
Portefeuille an dieselbe zu übertragen — Bestrebungen, die dahin führen konnten,
daß das jetzt nachgewiesene beträchtliche Defizit um mehr als die Hälfte ver¬
mindert wurde, ja daß es vielleicht mit einer einjährigen Nachschußprcimic ab¬
gethan war.

Über das Weitere müssen wir uns kurz fassen. Im Jahre 1882 schloß die
neue Verwaltung in Anbetracht ihrer sehr bedenklichen Lage keinerlei weitere
Geschäfte ab, auch reduzirte sie ihre laufenden Spesen so, daß eine Vermehrung
des Defizits kaum noch zu befürchten war. Überhaupt lag bei ihr nicht die


Grenzboten IV. 1884. 40
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[0321] Die Verstaatlichung der Versicherungsanstalten. ihrem wahren Werte entsprechend in die Bilanz eingestellt sind, fehlt aber die volle Prämienreserve von 318000 Mark, dazu kommen dann noch die vor¬ handenen sechsprozentigen Obligationsschulden aus dem Garantiefonds und die andern aus der Bilanz ersichtlichen Verbindlichkeiten. Bei einer eventuellen Subhastcttiou könnte die Sache noch schlimmer werden, da dann außer dem baare» Verluste an den Pfandbriefen die von der Gesellschaft übernommenen Verpflichtungen den ausfallenden Gläubigern und der Vorbesitzerin gegenüber noch bestehen bleiben." Es kam nun zu einer Generalversammlung, bei der sich die oft wahr¬ genommene beklagenswerte Erscheinung wiederholte, daß nur sehr wenige Mit¬ glieder (hier von über 2000 nur 14) erschienen, sodaß Beschlüsse gefaßt werden konnten, die dem Interesse der Versicherten garnicht entsprachen. Namentlich wurde der § 35 der Statuten abgeändert, der in der That unklar war, aber durch die Modifikation noch unbestimmter und gefährlicher wurde. Derselbe behandelte die Deckung etwaiger Ausfälle und bestimmte in seiner ursprünglichen Gestalt, daß mindestens die Hälfte aus dem Garantiefonds entnommen und höchstens die Hälfte durch Nachschußprämien der sämtlichen Versicherten ge¬ deckt werden solle. Jetzt sollte der Paragraph einen Zusatz bekommen, nach welchem es der Generalversammlung freistand, zu beschließen: „Das ganze Defizit kann auch allein durch einzufordernde Nachschußprämien gedeckt werden." Also auf Kosten der Versicherten sollten die Obligationenbesitzer verschont werden, oder weil der Garauticfonds nicht in genügender Höhe vorhanden war, sollten die Mitglieder allein für das Defizit aufkommen. Statt dessen wäre es, wirk¬ liche« guten Willen bei der neuen Verwaltung vorausgesetzt, zweckentsprechender gewesen, den Paragraphen so zu formuliren, „daß die Gesellschaft alle gesetz¬ lichen Mittel anzuwenden habe, um die Einlösung der Solawechsel bei den Besitzern der Obligationen zu erwirken, daß in jedem Falle der Garnntiefvnds in seiner vorhandenen und zu gewärtigenden Höhe der Deckung des Defizits dienlich gemacht, und daß der dann noch verbleibende Ausfall durch die Nach¬ schußprämien gedeckt werde." Die sonstigen Absichten der Verwaltung nahmen sich gut aus. Sie wollte jede gewaltsame Realisirung (Subhastation) des Jmmobilienbesitzes der Gesellschaft hintanhaltcu, und sie beabsichtigte ernste Ver¬ handlungen mit einer bestehenden Versicherungsanstalt anzubahnen, um ihr Portefeuille an dieselbe zu übertragen — Bestrebungen, die dahin führen konnten, daß das jetzt nachgewiesene beträchtliche Defizit um mehr als die Hälfte ver¬ mindert wurde, ja daß es vielleicht mit einer einjährigen Nachschußprcimic ab¬ gethan war. Über das Weitere müssen wir uns kurz fassen. Im Jahre 1882 schloß die neue Verwaltung in Anbetracht ihrer sehr bedenklichen Lage keinerlei weitere Geschäfte ab, auch reduzirte sie ihre laufenden Spesen so, daß eine Vermehrung des Defizits kaum noch zu befürchten war. Überhaupt lag bei ihr nicht die Grenzboten IV. 1884. 40

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/321>, abgerufen am 29.12.2024.