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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Pfisters Mühle.

Es standen die Thüren aller Räume des verkauften Hauses offen, und so
hatten wir von dem Tischchen aus, das wir uns in unsern Zufluchtsort getragen
hatten, den Ausblick über den Flur auch in das alte, jetzt vollständig leere Gast¬
zimmer. Das Beste war, man brauchte sich in dieser Sommerfrische gar keinen
Zwang anzuthun. Hemdärmelig ging ich im Schwatzen mit meiner Zigarre
herum um Trichter und Beutelkasten, um Ober- und Untermühlstein, lehnte am
Kammrad und trat auch wohl auf den Hausflur und schritt in der Gaststube
auf und ab. Letzteres aber nie allzulange. Die Schritte klangen zu hohl in
dem geleerten Raume.

Wo bleiben alle die Bilder?

Nun waren wir, Emmy und ich, wieder auf der Landstraße mit dem
Freunde und chemischen Doktor Adam Asche, und Emmy meinte:

Daß die Geschichte im Winter liegt, ist heute wirklich sehr augenehm bei
der schrecklichen Temperatur. In der Wüste Sahara oder unter dem Äquator
hielte ich es selbst in der Idee nicht aus.

Im Winter lag freilich die Geschichte. Es war auf der Chaussee bei jener
Wanderung zu meinem damaligen Christbaum in Pfisters Mühle ganz das
Wetter, welches sich Freund Asche für den Weg gewünscht hatte. Der Wind
pfiff uns schneidend um die Ohren, und wir hatten nicht wenig zu laviren, um
ihm die beste Seite abzugewinnen und immer querüber weiterzukommen. In
der Stadt herrschte, als wir sie hinter uns ließen, all das Leben, welches der
letzten Stunde vor dem Anzünden des ersten Lichtes an der Tanne voran¬
zugehen Pflegt. Sie liefen noch in den Gassen -- die Landstraße hatten wir
für uns allein, nachdem wir die Fabriken am Wege, die ihre Thätigkeit auch
heute Abend nicht aussetzten, die Region der "Backkohlenasche," passirt hatten.

Die Fabriken erstrecken sich heute schon so ziemlich bis an das Dorf hin,
und die Region der Backkohlenasche also ebenfalls. Damals waren zwei Drittel
des Weges noch frei davon, und nur vereinzelte Häuschen kleiner Leute lagen
an diesem Wege, im Rücken das freie Feld.

In dem letzten dieser Häuschen, nach dem Dorfe zu, sahen wir die ersten
flimmernden Weihnachtskerzen durch das beschweißte Fenster. Als wir die
Mühle erreichten, war es vollkommen Nacht.

Schwefelwasserstoff! und . . . Gänsebraten! ächzte A. A. Asche unter dem
guten alten Schenkenzeichen, in vollster Gewißheit seines chemischen und kulina¬
rischen Verständnisses mit erhobener Nase den Duft in der Hausthür einziehend.
Keine andre Diagnose möglich am Krankenbette! . . . Vivat die Wissenschaft! . . .
Gänsebraten heute Gottlob vorherrschend! Pfisters Mühle mit allen ihren Ge¬
rüchen in Ewigkeit!

Ich danke, Doktor Adam, sagte mein Vater auf der Schwelle seiner gast¬
lichen Pforte.--

Wo bleiben alle die Bilder und -- die Gerüche in dieser Welt? Es riecht


Pfisters Mühle.

Es standen die Thüren aller Räume des verkauften Hauses offen, und so
hatten wir von dem Tischchen aus, das wir uns in unsern Zufluchtsort getragen
hatten, den Ausblick über den Flur auch in das alte, jetzt vollständig leere Gast¬
zimmer. Das Beste war, man brauchte sich in dieser Sommerfrische gar keinen
Zwang anzuthun. Hemdärmelig ging ich im Schwatzen mit meiner Zigarre
herum um Trichter und Beutelkasten, um Ober- und Untermühlstein, lehnte am
Kammrad und trat auch wohl auf den Hausflur und schritt in der Gaststube
auf und ab. Letzteres aber nie allzulange. Die Schritte klangen zu hohl in
dem geleerten Raume.

Wo bleiben alle die Bilder?

Nun waren wir, Emmy und ich, wieder auf der Landstraße mit dem
Freunde und chemischen Doktor Adam Asche, und Emmy meinte:

Daß die Geschichte im Winter liegt, ist heute wirklich sehr augenehm bei
der schrecklichen Temperatur. In der Wüste Sahara oder unter dem Äquator
hielte ich es selbst in der Idee nicht aus.

Im Winter lag freilich die Geschichte. Es war auf der Chaussee bei jener
Wanderung zu meinem damaligen Christbaum in Pfisters Mühle ganz das
Wetter, welches sich Freund Asche für den Weg gewünscht hatte. Der Wind
pfiff uns schneidend um die Ohren, und wir hatten nicht wenig zu laviren, um
ihm die beste Seite abzugewinnen und immer querüber weiterzukommen. In
der Stadt herrschte, als wir sie hinter uns ließen, all das Leben, welches der
letzten Stunde vor dem Anzünden des ersten Lichtes an der Tanne voran¬
zugehen Pflegt. Sie liefen noch in den Gassen — die Landstraße hatten wir
für uns allein, nachdem wir die Fabriken am Wege, die ihre Thätigkeit auch
heute Abend nicht aussetzten, die Region der „Backkohlenasche," passirt hatten.

Die Fabriken erstrecken sich heute schon so ziemlich bis an das Dorf hin,
und die Region der Backkohlenasche also ebenfalls. Damals waren zwei Drittel
des Weges noch frei davon, und nur vereinzelte Häuschen kleiner Leute lagen
an diesem Wege, im Rücken das freie Feld.

In dem letzten dieser Häuschen, nach dem Dorfe zu, sahen wir die ersten
flimmernden Weihnachtskerzen durch das beschweißte Fenster. Als wir die
Mühle erreichten, war es vollkommen Nacht.

Schwefelwasserstoff! und . . . Gänsebraten! ächzte A. A. Asche unter dem
guten alten Schenkenzeichen, in vollster Gewißheit seines chemischen und kulina¬
rischen Verständnisses mit erhobener Nase den Duft in der Hausthür einziehend.
Keine andre Diagnose möglich am Krankenbette! . . . Vivat die Wissenschaft! . . .
Gänsebraten heute Gottlob vorherrschend! Pfisters Mühle mit allen ihren Ge¬
rüchen in Ewigkeit!

Ich danke, Doktor Adam, sagte mein Vater auf der Schwelle seiner gast¬
lichen Pforte.--

Wo bleiben alle die Bilder und — die Gerüche in dieser Welt? Es riecht


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[0252] Pfisters Mühle. Es standen die Thüren aller Räume des verkauften Hauses offen, und so hatten wir von dem Tischchen aus, das wir uns in unsern Zufluchtsort getragen hatten, den Ausblick über den Flur auch in das alte, jetzt vollständig leere Gast¬ zimmer. Das Beste war, man brauchte sich in dieser Sommerfrische gar keinen Zwang anzuthun. Hemdärmelig ging ich im Schwatzen mit meiner Zigarre herum um Trichter und Beutelkasten, um Ober- und Untermühlstein, lehnte am Kammrad und trat auch wohl auf den Hausflur und schritt in der Gaststube auf und ab. Letzteres aber nie allzulange. Die Schritte klangen zu hohl in dem geleerten Raume. Wo bleiben alle die Bilder? Nun waren wir, Emmy und ich, wieder auf der Landstraße mit dem Freunde und chemischen Doktor Adam Asche, und Emmy meinte: Daß die Geschichte im Winter liegt, ist heute wirklich sehr augenehm bei der schrecklichen Temperatur. In der Wüste Sahara oder unter dem Äquator hielte ich es selbst in der Idee nicht aus. Im Winter lag freilich die Geschichte. Es war auf der Chaussee bei jener Wanderung zu meinem damaligen Christbaum in Pfisters Mühle ganz das Wetter, welches sich Freund Asche für den Weg gewünscht hatte. Der Wind pfiff uns schneidend um die Ohren, und wir hatten nicht wenig zu laviren, um ihm die beste Seite abzugewinnen und immer querüber weiterzukommen. In der Stadt herrschte, als wir sie hinter uns ließen, all das Leben, welches der letzten Stunde vor dem Anzünden des ersten Lichtes an der Tanne voran¬ zugehen Pflegt. Sie liefen noch in den Gassen — die Landstraße hatten wir für uns allein, nachdem wir die Fabriken am Wege, die ihre Thätigkeit auch heute Abend nicht aussetzten, die Region der „Backkohlenasche," passirt hatten. Die Fabriken erstrecken sich heute schon so ziemlich bis an das Dorf hin, und die Region der Backkohlenasche also ebenfalls. Damals waren zwei Drittel des Weges noch frei davon, und nur vereinzelte Häuschen kleiner Leute lagen an diesem Wege, im Rücken das freie Feld. In dem letzten dieser Häuschen, nach dem Dorfe zu, sahen wir die ersten flimmernden Weihnachtskerzen durch das beschweißte Fenster. Als wir die Mühle erreichten, war es vollkommen Nacht. Schwefelwasserstoff! und . . . Gänsebraten! ächzte A. A. Asche unter dem guten alten Schenkenzeichen, in vollster Gewißheit seines chemischen und kulina¬ rischen Verständnisses mit erhobener Nase den Duft in der Hausthür einziehend. Keine andre Diagnose möglich am Krankenbette! . . . Vivat die Wissenschaft! . . . Gänsebraten heute Gottlob vorherrschend! Pfisters Mühle mit allen ihren Ge¬ rüchen in Ewigkeit! Ich danke, Doktor Adam, sagte mein Vater auf der Schwelle seiner gast¬ lichen Pforte.-- Wo bleiben alle die Bilder und — die Gerüche in dieser Welt? Es riecht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/252>, abgerufen am 29.12.2024.