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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Englische Sünden in Irland.

hatte ihr fast den Todesstoß gegeben, und im Jahre 1700 belief sich der Wert
dessen, was sie ausführte, auf wenig mehr als 14 000 Pfund Sterling. Aller¬
dings unterstützte man sie von 1743 an durch Ausfuhrprämien, aber bis dahin
war das Land bereits in schreckliches Elend versunken, und für die Hausindustrie
geschah garnichts.

Die Wirkung der hier geschilderten Politik war im höchsten Maße ver¬
derblich. Die Jrländer wußten jetzt mit aller Bestimmtheit, daß England die
Macht und den Willen besaß, jede Art und Äußerung ihres Gewerbfleißes zu
ersticken, sobald sie soweit erstarkt war, daß sie mit den betreffenden britischen
Industriellen in Wettbewerb treten konnte, und so trat auf diesen Gebieten
allgemeine Mutlosigkeit unter ihnen ein. Die hauptsächlichsten Fabrikanten
wanderten aus. Da man seine Wollenwaren nirgendshin und seine rohe Wolle
nur nach England ausführen konnte, so suchte man sich heimlich einen Markt
für diese Erzeugnisse in Frankreich, fast aus jeder der vielen Buchten des Landes
verschifften Schmuggler Wolle dahin, und dadurch gewann die französische Tuch-
macherei, die gefährlichste Nebenbuhlerin der englischen, sehr wesentliche För¬
derung. Die Beziehungen zwischen Grundeigentümern und Pächtern, schon längst
unnatürlich und aufs äußerste gespannt, wurden furchtbar verschlimmert, als
die Zerstörung der genannten Gewerbszweige die ungeheure Mehrzahl der Be¬
völkerung auf den Ackerbau als einziges Mittel, sich zu erhalten, hinwies. Die
Wollenmanufaktur hatte allein in Dublin 12 000 und in andern Orten Irlands
30 000 Familien Beschäftigung und Verdienst verschafft. Jetzt waren alle diese
Leute brotlos, und das Volk war länger als zwei Menschenalter so arm, daß
jede schlechte Ernte geradezu Hungersnot im Gefolge hatte. Die Journale
des irischen Parlaments sind, wie Lecky sagt, voll von Klagen über den Verfall
des Handels und die lediglich von England herbeigeführte Hilflosigkeit der Be¬
völkerung. Bischof Nicholson sagt darüber 1720 in seinen Briefen an den Erz-
bischof von Canterbury: "Unser ganzer Handel ist ins Stocken geraten. Unsre
ersten Kaufleute, die ehedem Wechsel von tausend Pfund nach Sicht zu zahlen
pflegten, können jetzt kaum hundert Pfund in ebensoviel Tagen aufbringen. Nie
sah ich, so fährt der sonst hartherzige und selbstsüchtige Mann fort, nicht einmal in
der Picardie, in Schottland oder in Westfalen so schreckliche Zeichen von Hunger
und Entbehrung, wie auf den Gesichtern der armen Geschöpfe, denen ich auf
dem Wege von Dublin nach Cerry begegnete." Sheridan schrieb 1728: "Die
Wohnungen der Armen sind Düngerhaufen, ihre Nahrungsmittel das sdurch
Aderlässe gewonnenes Blut ihres Viehes und das Unkraut ihrer Felder."
Swift giebt nach der großen Teuerung von 1727 folgende Schilderung vom
Zustande weiter Strecken der Insel: "Der Fremde, der hier reist, kann eher
meinen, in Lappland oder Island zu sein, als in einem Lande, das von der
Natur so begünstigt ist wie dieses. Die elende Kleidung, Nahrung und Woh¬
nung des Volkes, die allgemeine Verwüstung in den meisten Teilen des König-


Englische Sünden in Irland.

hatte ihr fast den Todesstoß gegeben, und im Jahre 1700 belief sich der Wert
dessen, was sie ausführte, auf wenig mehr als 14 000 Pfund Sterling. Aller¬
dings unterstützte man sie von 1743 an durch Ausfuhrprämien, aber bis dahin
war das Land bereits in schreckliches Elend versunken, und für die Hausindustrie
geschah garnichts.

Die Wirkung der hier geschilderten Politik war im höchsten Maße ver¬
derblich. Die Jrländer wußten jetzt mit aller Bestimmtheit, daß England die
Macht und den Willen besaß, jede Art und Äußerung ihres Gewerbfleißes zu
ersticken, sobald sie soweit erstarkt war, daß sie mit den betreffenden britischen
Industriellen in Wettbewerb treten konnte, und so trat auf diesen Gebieten
allgemeine Mutlosigkeit unter ihnen ein. Die hauptsächlichsten Fabrikanten
wanderten aus. Da man seine Wollenwaren nirgendshin und seine rohe Wolle
nur nach England ausführen konnte, so suchte man sich heimlich einen Markt
für diese Erzeugnisse in Frankreich, fast aus jeder der vielen Buchten des Landes
verschifften Schmuggler Wolle dahin, und dadurch gewann die französische Tuch-
macherei, die gefährlichste Nebenbuhlerin der englischen, sehr wesentliche För¬
derung. Die Beziehungen zwischen Grundeigentümern und Pächtern, schon längst
unnatürlich und aufs äußerste gespannt, wurden furchtbar verschlimmert, als
die Zerstörung der genannten Gewerbszweige die ungeheure Mehrzahl der Be¬
völkerung auf den Ackerbau als einziges Mittel, sich zu erhalten, hinwies. Die
Wollenmanufaktur hatte allein in Dublin 12 000 und in andern Orten Irlands
30 000 Familien Beschäftigung und Verdienst verschafft. Jetzt waren alle diese
Leute brotlos, und das Volk war länger als zwei Menschenalter so arm, daß
jede schlechte Ernte geradezu Hungersnot im Gefolge hatte. Die Journale
des irischen Parlaments sind, wie Lecky sagt, voll von Klagen über den Verfall
des Handels und die lediglich von England herbeigeführte Hilflosigkeit der Be¬
völkerung. Bischof Nicholson sagt darüber 1720 in seinen Briefen an den Erz-
bischof von Canterbury: „Unser ganzer Handel ist ins Stocken geraten. Unsre
ersten Kaufleute, die ehedem Wechsel von tausend Pfund nach Sicht zu zahlen
pflegten, können jetzt kaum hundert Pfund in ebensoviel Tagen aufbringen. Nie
sah ich, so fährt der sonst hartherzige und selbstsüchtige Mann fort, nicht einmal in
der Picardie, in Schottland oder in Westfalen so schreckliche Zeichen von Hunger
und Entbehrung, wie auf den Gesichtern der armen Geschöpfe, denen ich auf
dem Wege von Dublin nach Cerry begegnete." Sheridan schrieb 1728: „Die
Wohnungen der Armen sind Düngerhaufen, ihre Nahrungsmittel das sdurch
Aderlässe gewonnenes Blut ihres Viehes und das Unkraut ihrer Felder."
Swift giebt nach der großen Teuerung von 1727 folgende Schilderung vom
Zustande weiter Strecken der Insel: „Der Fremde, der hier reist, kann eher
meinen, in Lappland oder Island zu sein, als in einem Lande, das von der
Natur so begünstigt ist wie dieses. Die elende Kleidung, Nahrung und Woh¬
nung des Volkes, die allgemeine Verwüstung in den meisten Teilen des König-


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[0222] Englische Sünden in Irland. hatte ihr fast den Todesstoß gegeben, und im Jahre 1700 belief sich der Wert dessen, was sie ausführte, auf wenig mehr als 14 000 Pfund Sterling. Aller¬ dings unterstützte man sie von 1743 an durch Ausfuhrprämien, aber bis dahin war das Land bereits in schreckliches Elend versunken, und für die Hausindustrie geschah garnichts. Die Wirkung der hier geschilderten Politik war im höchsten Maße ver¬ derblich. Die Jrländer wußten jetzt mit aller Bestimmtheit, daß England die Macht und den Willen besaß, jede Art und Äußerung ihres Gewerbfleißes zu ersticken, sobald sie soweit erstarkt war, daß sie mit den betreffenden britischen Industriellen in Wettbewerb treten konnte, und so trat auf diesen Gebieten allgemeine Mutlosigkeit unter ihnen ein. Die hauptsächlichsten Fabrikanten wanderten aus. Da man seine Wollenwaren nirgendshin und seine rohe Wolle nur nach England ausführen konnte, so suchte man sich heimlich einen Markt für diese Erzeugnisse in Frankreich, fast aus jeder der vielen Buchten des Landes verschifften Schmuggler Wolle dahin, und dadurch gewann die französische Tuch- macherei, die gefährlichste Nebenbuhlerin der englischen, sehr wesentliche För¬ derung. Die Beziehungen zwischen Grundeigentümern und Pächtern, schon längst unnatürlich und aufs äußerste gespannt, wurden furchtbar verschlimmert, als die Zerstörung der genannten Gewerbszweige die ungeheure Mehrzahl der Be¬ völkerung auf den Ackerbau als einziges Mittel, sich zu erhalten, hinwies. Die Wollenmanufaktur hatte allein in Dublin 12 000 und in andern Orten Irlands 30 000 Familien Beschäftigung und Verdienst verschafft. Jetzt waren alle diese Leute brotlos, und das Volk war länger als zwei Menschenalter so arm, daß jede schlechte Ernte geradezu Hungersnot im Gefolge hatte. Die Journale des irischen Parlaments sind, wie Lecky sagt, voll von Klagen über den Verfall des Handels und die lediglich von England herbeigeführte Hilflosigkeit der Be¬ völkerung. Bischof Nicholson sagt darüber 1720 in seinen Briefen an den Erz- bischof von Canterbury: „Unser ganzer Handel ist ins Stocken geraten. Unsre ersten Kaufleute, die ehedem Wechsel von tausend Pfund nach Sicht zu zahlen pflegten, können jetzt kaum hundert Pfund in ebensoviel Tagen aufbringen. Nie sah ich, so fährt der sonst hartherzige und selbstsüchtige Mann fort, nicht einmal in der Picardie, in Schottland oder in Westfalen so schreckliche Zeichen von Hunger und Entbehrung, wie auf den Gesichtern der armen Geschöpfe, denen ich auf dem Wege von Dublin nach Cerry begegnete." Sheridan schrieb 1728: „Die Wohnungen der Armen sind Düngerhaufen, ihre Nahrungsmittel das sdurch Aderlässe gewonnenes Blut ihres Viehes und das Unkraut ihrer Felder." Swift giebt nach der großen Teuerung von 1727 folgende Schilderung vom Zustande weiter Strecken der Insel: „Der Fremde, der hier reist, kann eher meinen, in Lappland oder Island zu sein, als in einem Lande, das von der Natur so begünstigt ist wie dieses. Die elende Kleidung, Nahrung und Woh¬ nung des Volkes, die allgemeine Verwüstung in den meisten Teilen des König-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/222>, abgerufen am 29.12.2024.