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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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LnglischoZSünden in Irland.

reiches, die alten Sitze des hohen und des niedern Adels alle in Trümmern
und keine neuen an deren Stelle, die Familien von Pächtern, die hohen Zins
zahlen, in Schmutz und Unflat dahinlebend, sich von Kartoffeln und Butter¬
milch nährend, ohne Schuhe und Strümpfe, ohne eine Behausung, die auch nur
so gut wäre wie ein englischer Schweinestall -- das mögen in der That an¬
mutige Bilder für einen englischen Beobachter sein, der auf kurze Zeit herkommt,
um unsre Sprache zu lernen, und dann in sein Vaterland zurückkehrt, wohin
all unser Vermögen gebracht worden ist."

Entsetzen erregend waren die Wirkungen der Hungersnot von 1740 und
1741, die auf den großen Frost von 1739 folgte. "Mangel und Elend, so
berichtet ein Artikel des Ssutlsin-of NaZ^wo von 1741, sind auf jedem Antlitze
zu lesen, die Reichen sind nicht imstande, den Armen zu helfen, die Wege sind
mit Toten und Sterbenden bestreut, die Leute tragen an sich die Farbe des
Ampfers und der Nesseln, von denen sie sich das Leben fristen, bisweilen werden
zwei oder drei auf einem und demselben Karren zu Grabe gebracht, und weil
es an Trägern fehlt, bestattet man viele einfach auf dem Felde oder in dem
Graben, wo sie umgekommen sind." Berkeley, damals Bischof von Cloyne,
schreibt im Mai 1741 an Prior: "Die Vernichtung von Menschenleben in den
Grafschaften Cork und Limerick ist unglaublich groß. Neulich erzählte jemand
aus Limerick, daß dort ganze Dörfer ausgestorben seien. Vor zwei Monaten
schon hörte ich Sir Richard Cox sagen, daß ein Kirchspiel fünfhundert Tote
habe, und zwar war das in einer meines Wissens nicht sehr dicht bewohnten
Gegend." Der protestantische Geistliche Skelton, der damals eine Stelle in
Managhon innehatte, bemerkt, es sei glaublich, daß in den beiden Jahren
ebensoviele Menschen an Hunger und an Krankheiten aus Entbehrung gestorben
seien als 1641 durch das Schwert. Manche Wohlhabende gaben in dieser
grausenvollen Zeit der Not und des Jammers den verhungernden Armen alles,
was sie irgend vermochten. Aber das Land war so furchtbar erschöpft, daß
sich von feiten des Parlaments nur wenig für das Volk thun ließ. Die kleinen
Leute hingen ganz und gar vom Geraden ihrer Kartoffeln ab, da es in Irland
infolge der Maßregeln der britischen Eifersucht und Selbstsucht so gut wie
keine andre Erwerbs- und Nahrungsquelle gab als den Kartoffelacker und den
Schweinekoben.

In der That, John Bull hat bis weit in das vorige Jahrhundert und
selbst bis in das jetzige hinein an seinem westlichen Nachbar unverantwortlich
gehandelt, er hat den armen Paddy wie ein Polyp ergriffen und unbarmherzig
ausgesogen bis auf Haut und Knochen.

Nicht überall so grausam, aber stets und allenthalben so selbstsüchtig ver¬
fuhr England gegen andre von seinen Eroberungen und Kolonien, so lange sie
sich sein Joch gefallen und sich aussaugen ließen. Unter anderm wußten davon
auch die Kolonien, welche jetzt die Vereinigten Staaten von Amerika heißen,


LnglischoZSünden in Irland.

reiches, die alten Sitze des hohen und des niedern Adels alle in Trümmern
und keine neuen an deren Stelle, die Familien von Pächtern, die hohen Zins
zahlen, in Schmutz und Unflat dahinlebend, sich von Kartoffeln und Butter¬
milch nährend, ohne Schuhe und Strümpfe, ohne eine Behausung, die auch nur
so gut wäre wie ein englischer Schweinestall — das mögen in der That an¬
mutige Bilder für einen englischen Beobachter sein, der auf kurze Zeit herkommt,
um unsre Sprache zu lernen, und dann in sein Vaterland zurückkehrt, wohin
all unser Vermögen gebracht worden ist."

Entsetzen erregend waren die Wirkungen der Hungersnot von 1740 und
1741, die auf den großen Frost von 1739 folgte. „Mangel und Elend, so
berichtet ein Artikel des Ssutlsin-of NaZ^wo von 1741, sind auf jedem Antlitze
zu lesen, die Reichen sind nicht imstande, den Armen zu helfen, die Wege sind
mit Toten und Sterbenden bestreut, die Leute tragen an sich die Farbe des
Ampfers und der Nesseln, von denen sie sich das Leben fristen, bisweilen werden
zwei oder drei auf einem und demselben Karren zu Grabe gebracht, und weil
es an Trägern fehlt, bestattet man viele einfach auf dem Felde oder in dem
Graben, wo sie umgekommen sind." Berkeley, damals Bischof von Cloyne,
schreibt im Mai 1741 an Prior: „Die Vernichtung von Menschenleben in den
Grafschaften Cork und Limerick ist unglaublich groß. Neulich erzählte jemand
aus Limerick, daß dort ganze Dörfer ausgestorben seien. Vor zwei Monaten
schon hörte ich Sir Richard Cox sagen, daß ein Kirchspiel fünfhundert Tote
habe, und zwar war das in einer meines Wissens nicht sehr dicht bewohnten
Gegend." Der protestantische Geistliche Skelton, der damals eine Stelle in
Managhon innehatte, bemerkt, es sei glaublich, daß in den beiden Jahren
ebensoviele Menschen an Hunger und an Krankheiten aus Entbehrung gestorben
seien als 1641 durch das Schwert. Manche Wohlhabende gaben in dieser
grausenvollen Zeit der Not und des Jammers den verhungernden Armen alles,
was sie irgend vermochten. Aber das Land war so furchtbar erschöpft, daß
sich von feiten des Parlaments nur wenig für das Volk thun ließ. Die kleinen
Leute hingen ganz und gar vom Geraden ihrer Kartoffeln ab, da es in Irland
infolge der Maßregeln der britischen Eifersucht und Selbstsucht so gut wie
keine andre Erwerbs- und Nahrungsquelle gab als den Kartoffelacker und den
Schweinekoben.

In der That, John Bull hat bis weit in das vorige Jahrhundert und
selbst bis in das jetzige hinein an seinem westlichen Nachbar unverantwortlich
gehandelt, er hat den armen Paddy wie ein Polyp ergriffen und unbarmherzig
ausgesogen bis auf Haut und Knochen.

Nicht überall so grausam, aber stets und allenthalben so selbstsüchtig ver¬
fuhr England gegen andre von seinen Eroberungen und Kolonien, so lange sie
sich sein Joch gefallen und sich aussaugen ließen. Unter anderm wußten davon
auch die Kolonien, welche jetzt die Vereinigten Staaten von Amerika heißen,


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[0223] LnglischoZSünden in Irland. reiches, die alten Sitze des hohen und des niedern Adels alle in Trümmern und keine neuen an deren Stelle, die Familien von Pächtern, die hohen Zins zahlen, in Schmutz und Unflat dahinlebend, sich von Kartoffeln und Butter¬ milch nährend, ohne Schuhe und Strümpfe, ohne eine Behausung, die auch nur so gut wäre wie ein englischer Schweinestall — das mögen in der That an¬ mutige Bilder für einen englischen Beobachter sein, der auf kurze Zeit herkommt, um unsre Sprache zu lernen, und dann in sein Vaterland zurückkehrt, wohin all unser Vermögen gebracht worden ist." Entsetzen erregend waren die Wirkungen der Hungersnot von 1740 und 1741, die auf den großen Frost von 1739 folgte. „Mangel und Elend, so berichtet ein Artikel des Ssutlsin-of NaZ^wo von 1741, sind auf jedem Antlitze zu lesen, die Reichen sind nicht imstande, den Armen zu helfen, die Wege sind mit Toten und Sterbenden bestreut, die Leute tragen an sich die Farbe des Ampfers und der Nesseln, von denen sie sich das Leben fristen, bisweilen werden zwei oder drei auf einem und demselben Karren zu Grabe gebracht, und weil es an Trägern fehlt, bestattet man viele einfach auf dem Felde oder in dem Graben, wo sie umgekommen sind." Berkeley, damals Bischof von Cloyne, schreibt im Mai 1741 an Prior: „Die Vernichtung von Menschenleben in den Grafschaften Cork und Limerick ist unglaublich groß. Neulich erzählte jemand aus Limerick, daß dort ganze Dörfer ausgestorben seien. Vor zwei Monaten schon hörte ich Sir Richard Cox sagen, daß ein Kirchspiel fünfhundert Tote habe, und zwar war das in einer meines Wissens nicht sehr dicht bewohnten Gegend." Der protestantische Geistliche Skelton, der damals eine Stelle in Managhon innehatte, bemerkt, es sei glaublich, daß in den beiden Jahren ebensoviele Menschen an Hunger und an Krankheiten aus Entbehrung gestorben seien als 1641 durch das Schwert. Manche Wohlhabende gaben in dieser grausenvollen Zeit der Not und des Jammers den verhungernden Armen alles, was sie irgend vermochten. Aber das Land war so furchtbar erschöpft, daß sich von feiten des Parlaments nur wenig für das Volk thun ließ. Die kleinen Leute hingen ganz und gar vom Geraden ihrer Kartoffeln ab, da es in Irland infolge der Maßregeln der britischen Eifersucht und Selbstsucht so gut wie keine andre Erwerbs- und Nahrungsquelle gab als den Kartoffelacker und den Schweinekoben. In der That, John Bull hat bis weit in das vorige Jahrhundert und selbst bis in das jetzige hinein an seinem westlichen Nachbar unverantwortlich gehandelt, er hat den armen Paddy wie ein Polyp ergriffen und unbarmherzig ausgesogen bis auf Haut und Knochen. Nicht überall so grausam, aber stets und allenthalben so selbstsüchtig ver¬ fuhr England gegen andre von seinen Eroberungen und Kolonien, so lange sie sich sein Joch gefallen und sich aussaugen ließen. Unter anderm wußten davon auch die Kolonien, welche jetzt die Vereinigten Staaten von Amerika heißen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/223>, abgerufen am 29.12.2024.