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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Das soziale Königtum.

nister nur daran denkt, möglichst lange sein Portefeuille zu behalten, jedem
freundlich zu sein, um es mit keinem zu verderben, jedes Lob in der Tages¬
presse als Weihrauch einsaugt und jedes mißliebige Wort in derselben scheut
und fürchtet, der wird große Ziele nie erreichen.

Das preußische Königtum wurde schon von dem Augenblick an sozial, als
dem österreichischen Fürstentage gegenüber der Ministerpräsident von Bismarck
das allgemeine Wahlrecht als das wichtigste Resultat für das zukünftige deutsche
Parlament aufstellte; war doch dieses Wahlrecht von Lassalle selbst als das
einzige friedliche, gesetzliche Mittel zur Heilung der sozialen Schäden bezeichnet
worden. Und in der That, schon mit dem ersten Reichstage des Norddeutschen
Bundes begann die Arbeiterfrage ein Gegenstand der Tagesordnung zu werden;
zuerst freilich nur in der Weise, daß die wüsten Forderungen der sozialdemo¬
kratischen Agitatoren eine Stätte auf der Tribüne des Reichtages fanden und,
indem sie von Jahr zu Jahr wuchsen, wohl geeignet waren, die Gesetzgeber des
Reiches auf die Gefahren aufmerksam zu machen, welche von dem Umsich¬
greifen dieses agitatorischen Giftes in den niedern Volksschichten zu er¬
warten waren. Zeitig genug hatten die verbündeten Regierungen diese Ge¬
fahren erkannt und von dem Reichstage schon im Jahre 1876 bei Beratung
der Strafgesctznovelle Nepressionsmittel verlangt, um die Verbreitung des
sozialdemokratischen Anstecknngsstoffes entgegenzutreten. Bekannt ist, mit wie
beißendem Hohne damals der Abgeordnete Bamberger den Ausführungen
des preußischen Ministers des Innern entgegentrat. Es war ja nur Rechts¬
schutz, welchen allein der "Nachtwächterstaat" dem Individuum zu gewähren
hatte, und nach der manchesterlichen Doktrin sollte sich ja der Ausgleich in einem
gegenseitigen Bekämpfen der Kräfte von selbst ergeben. Erst das Blut, welches
von dem teuern Haupte des Kaisers rann, brachte die noch nicht völlig Verblendeten
zur Besinnung. Der liberalen Phrase zuliebe, welche schon das Wort "Aus¬
nahmegesetz" verabscheut, brachte jetzt die Fortschrittspartei einen Antrag auf
Abänderung des Strafgesetzbuches, wie er etwa dem im Jahre 1876 vom
Bundesrate eingebrachten entsprach. Der Fortschritt hatte kein Verständnis dafür,
daß sich die Verhältnisse erheblich verschlimmert hatten -- für die in den
Majestätsbeleidigungsprozessen zutage getretene Roheit war er blind --; war nur
der Phrase genug gethan, dann kümmerte es Herrn Hänel wenig, ob für die Ver¬
blendung einer Minderheit das ganze Volk zu leiden und zu büßen hatte. End¬
lich kam das Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemo¬
kratie zustande, und mit diesem glaubte der Freisinn auf einen Schlag die ganze
soziale Frage gelöst zu haben. Der Fortschritt, welcher von der Sozialdemokratie
in mehr oder minder gewaltthätiger Weise bekämpft worden war, freute sich des
ihm durch das Gesetz gewährten Schutzes und vermochte nunmehr ungestört
von sozialdemokratischen Eindringlingen in seinen Bezirks- und Wahlversamm¬
lungen die Regierung zu verläumden und in den Staub zu ziehen. Die eigene-


Das soziale Königtum.

nister nur daran denkt, möglichst lange sein Portefeuille zu behalten, jedem
freundlich zu sein, um es mit keinem zu verderben, jedes Lob in der Tages¬
presse als Weihrauch einsaugt und jedes mißliebige Wort in derselben scheut
und fürchtet, der wird große Ziele nie erreichen.

Das preußische Königtum wurde schon von dem Augenblick an sozial, als
dem österreichischen Fürstentage gegenüber der Ministerpräsident von Bismarck
das allgemeine Wahlrecht als das wichtigste Resultat für das zukünftige deutsche
Parlament aufstellte; war doch dieses Wahlrecht von Lassalle selbst als das
einzige friedliche, gesetzliche Mittel zur Heilung der sozialen Schäden bezeichnet
worden. Und in der That, schon mit dem ersten Reichstage des Norddeutschen
Bundes begann die Arbeiterfrage ein Gegenstand der Tagesordnung zu werden;
zuerst freilich nur in der Weise, daß die wüsten Forderungen der sozialdemo¬
kratischen Agitatoren eine Stätte auf der Tribüne des Reichtages fanden und,
indem sie von Jahr zu Jahr wuchsen, wohl geeignet waren, die Gesetzgeber des
Reiches auf die Gefahren aufmerksam zu machen, welche von dem Umsich¬
greifen dieses agitatorischen Giftes in den niedern Volksschichten zu er¬
warten waren. Zeitig genug hatten die verbündeten Regierungen diese Ge¬
fahren erkannt und von dem Reichstage schon im Jahre 1876 bei Beratung
der Strafgesctznovelle Nepressionsmittel verlangt, um die Verbreitung des
sozialdemokratischen Anstecknngsstoffes entgegenzutreten. Bekannt ist, mit wie
beißendem Hohne damals der Abgeordnete Bamberger den Ausführungen
des preußischen Ministers des Innern entgegentrat. Es war ja nur Rechts¬
schutz, welchen allein der „Nachtwächterstaat" dem Individuum zu gewähren
hatte, und nach der manchesterlichen Doktrin sollte sich ja der Ausgleich in einem
gegenseitigen Bekämpfen der Kräfte von selbst ergeben. Erst das Blut, welches
von dem teuern Haupte des Kaisers rann, brachte die noch nicht völlig Verblendeten
zur Besinnung. Der liberalen Phrase zuliebe, welche schon das Wort „Aus¬
nahmegesetz" verabscheut, brachte jetzt die Fortschrittspartei einen Antrag auf
Abänderung des Strafgesetzbuches, wie er etwa dem im Jahre 1876 vom
Bundesrate eingebrachten entsprach. Der Fortschritt hatte kein Verständnis dafür,
daß sich die Verhältnisse erheblich verschlimmert hatten — für die in den
Majestätsbeleidigungsprozessen zutage getretene Roheit war er blind —; war nur
der Phrase genug gethan, dann kümmerte es Herrn Hänel wenig, ob für die Ver¬
blendung einer Minderheit das ganze Volk zu leiden und zu büßen hatte. End¬
lich kam das Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemo¬
kratie zustande, und mit diesem glaubte der Freisinn auf einen Schlag die ganze
soziale Frage gelöst zu haben. Der Fortschritt, welcher von der Sozialdemokratie
in mehr oder minder gewaltthätiger Weise bekämpft worden war, freute sich des
ihm durch das Gesetz gewährten Schutzes und vermochte nunmehr ungestört
von sozialdemokratischen Eindringlingen in seinen Bezirks- und Wahlversamm¬
lungen die Regierung zu verläumden und in den Staub zu ziehen. Die eigene-


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[0213] Das soziale Königtum. nister nur daran denkt, möglichst lange sein Portefeuille zu behalten, jedem freundlich zu sein, um es mit keinem zu verderben, jedes Lob in der Tages¬ presse als Weihrauch einsaugt und jedes mißliebige Wort in derselben scheut und fürchtet, der wird große Ziele nie erreichen. Das preußische Königtum wurde schon von dem Augenblick an sozial, als dem österreichischen Fürstentage gegenüber der Ministerpräsident von Bismarck das allgemeine Wahlrecht als das wichtigste Resultat für das zukünftige deutsche Parlament aufstellte; war doch dieses Wahlrecht von Lassalle selbst als das einzige friedliche, gesetzliche Mittel zur Heilung der sozialen Schäden bezeichnet worden. Und in der That, schon mit dem ersten Reichstage des Norddeutschen Bundes begann die Arbeiterfrage ein Gegenstand der Tagesordnung zu werden; zuerst freilich nur in der Weise, daß die wüsten Forderungen der sozialdemo¬ kratischen Agitatoren eine Stätte auf der Tribüne des Reichtages fanden und, indem sie von Jahr zu Jahr wuchsen, wohl geeignet waren, die Gesetzgeber des Reiches auf die Gefahren aufmerksam zu machen, welche von dem Umsich¬ greifen dieses agitatorischen Giftes in den niedern Volksschichten zu er¬ warten waren. Zeitig genug hatten die verbündeten Regierungen diese Ge¬ fahren erkannt und von dem Reichstage schon im Jahre 1876 bei Beratung der Strafgesctznovelle Nepressionsmittel verlangt, um die Verbreitung des sozialdemokratischen Anstecknngsstoffes entgegenzutreten. Bekannt ist, mit wie beißendem Hohne damals der Abgeordnete Bamberger den Ausführungen des preußischen Ministers des Innern entgegentrat. Es war ja nur Rechts¬ schutz, welchen allein der „Nachtwächterstaat" dem Individuum zu gewähren hatte, und nach der manchesterlichen Doktrin sollte sich ja der Ausgleich in einem gegenseitigen Bekämpfen der Kräfte von selbst ergeben. Erst das Blut, welches von dem teuern Haupte des Kaisers rann, brachte die noch nicht völlig Verblendeten zur Besinnung. Der liberalen Phrase zuliebe, welche schon das Wort „Aus¬ nahmegesetz" verabscheut, brachte jetzt die Fortschrittspartei einen Antrag auf Abänderung des Strafgesetzbuches, wie er etwa dem im Jahre 1876 vom Bundesrate eingebrachten entsprach. Der Fortschritt hatte kein Verständnis dafür, daß sich die Verhältnisse erheblich verschlimmert hatten — für die in den Majestätsbeleidigungsprozessen zutage getretene Roheit war er blind —; war nur der Phrase genug gethan, dann kümmerte es Herrn Hänel wenig, ob für die Ver¬ blendung einer Minderheit das ganze Volk zu leiden und zu büßen hatte. End¬ lich kam das Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemo¬ kratie zustande, und mit diesem glaubte der Freisinn auf einen Schlag die ganze soziale Frage gelöst zu haben. Der Fortschritt, welcher von der Sozialdemokratie in mehr oder minder gewaltthätiger Weise bekämpft worden war, freute sich des ihm durch das Gesetz gewährten Schutzes und vermochte nunmehr ungestört von sozialdemokratischen Eindringlingen in seinen Bezirks- und Wahlversamm¬ lungen die Regierung zu verläumden und in den Staub zu ziehen. Die eigene-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/213>, abgerufen am 29.12.2024.