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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Das soziale Aönigtum.

wie das an die Spitze dieses Aufsatzes gestellte Wort beweist, erst am Vor¬
abend vor seinem jähen Ende erkannt, daß in dem Streite des Sozialismus
die segensreichere Rolle dem Königtum gebührt. Dieses hat nach Tagen schwerster
Prüfung, beraten von dem großen Staatsmann, diese Rolle übernommen.
Vergleicht man nun die Leidenschaftlichkeit des Agitators mit dem ethischen
Zielbewußtem des von der monarchischen Macht getragenen Staatsmannes, der
mit dem Ernste der vollen Verantwortlichkeit Schritt für Schritt vorwärts¬
schreitet, nicht phantastischen Träumen nachjagt, sondern eingedenk menschlicher
UnVollkommenheit nur dasjenige erstrebt, was innerhalb der natürlichen Welt¬
ordnung, der von der physischen Natur selbst gesteckten Grenzen für ein Men¬
schenalter zu erreichen ist -- so zeigt sich, daß dem Zauberlehrling Lassalle der
Meister Bismarck nachgefolgt ist. Wie in dem politischen Leben unsrer Nation
sich Kaiser Wilhelm und sein Kanzler nicht voneinander getrennt denken lassen,
so zeigt sich auch diese innere, in der Weltgeschichte bisher nie erreichte Har¬
monie zwischen dem Fürsten und seinem ersten Ratgeber bei der Regelung der
von ihnen übernommenen sozialen Aufgaben. Ohne das erhabene Pflichtgefühl
des Kaisers, der davon durchdrungen ist, daß der germanische Herrscher und der
preußische König ihren höchsten Beruf in dem Schutz der Schwachen und Unter¬
drückten zu finden haben, wäre auch das Wollen des größten Staatsmannes
machtlos geblieben. Für den Kaiser aber war das dornenvolle Schmerzenslciger,
auf welches ihn zwei ruchlose Vertreter der fanatisirten Sozialdemokratie ge¬
worfen hatten, die Prüfungszeit, in welcher die Gedanken zu einer Besserung
der Lage der arbeitenden Bevölkerung reiften. Bewundernd wird das mensch¬
liche Herz an den Heldengreis zu allen Zeiten zurückdenke", der, am Abend eines
ruhmgekrönten Lebens von Mörderhand getroffen, nicht auf Strafe und Rache,
sondern auf Wohlthat und Versöhnung sinnt. Beugen aber muß sich der mensch¬
liche Geist vor der Thatkraft, mit welcher der Kaiser an die Lösung einer Auf¬
gabe so riesengroßer Art herantritt, in einem Lebensalter herantritt, wo jede
noch gewährte Stunde nur als ein Gnadengeschenk der göttlichen Vorsehung
betrachtet werden muß. Und der Kanzler leitet diesen hochherzigen Entschluß
seines kaiserlichen Herrn, unberührt davon, daß schon der nächste Augenblick ihn
zur Niederlegung seines Amtes veranlassen kann, und ohne Rücksicht darauf,
ob sein Borgeheu auch später von der gleichen Gunst getragen werden wird.
So handeln eben nur Männer, in deren Brust das höchste Pflichtgefühl lebendig
ist, und die das eigne Interesse dem öffentlichen Wohl gegenüber niemals
in Rücksicht ziehen. In dieser Gesinnung und in dem derselben entsprechenden
Handeln liegt aber auch das Geheimnis ihrer Größe. Wer die Stellung als
Herrscher benutzt, um nur die Annehmlichkeiten des Lebens zu genießen, um sich
von der rauhen Wirklichkeit in das anmutige Gebiet zu flüchten, welches so oft
gerade für den Thron die Genüsse der Welt zu bereiten pflegen, der wird jeden
ihm von Gott gegönnten Augenblick nur für sich selbst benutzen. Wer als Mi-


Das soziale Aönigtum.

wie das an die Spitze dieses Aufsatzes gestellte Wort beweist, erst am Vor¬
abend vor seinem jähen Ende erkannt, daß in dem Streite des Sozialismus
die segensreichere Rolle dem Königtum gebührt. Dieses hat nach Tagen schwerster
Prüfung, beraten von dem großen Staatsmann, diese Rolle übernommen.
Vergleicht man nun die Leidenschaftlichkeit des Agitators mit dem ethischen
Zielbewußtem des von der monarchischen Macht getragenen Staatsmannes, der
mit dem Ernste der vollen Verantwortlichkeit Schritt für Schritt vorwärts¬
schreitet, nicht phantastischen Träumen nachjagt, sondern eingedenk menschlicher
UnVollkommenheit nur dasjenige erstrebt, was innerhalb der natürlichen Welt¬
ordnung, der von der physischen Natur selbst gesteckten Grenzen für ein Men¬
schenalter zu erreichen ist — so zeigt sich, daß dem Zauberlehrling Lassalle der
Meister Bismarck nachgefolgt ist. Wie in dem politischen Leben unsrer Nation
sich Kaiser Wilhelm und sein Kanzler nicht voneinander getrennt denken lassen,
so zeigt sich auch diese innere, in der Weltgeschichte bisher nie erreichte Har¬
monie zwischen dem Fürsten und seinem ersten Ratgeber bei der Regelung der
von ihnen übernommenen sozialen Aufgaben. Ohne das erhabene Pflichtgefühl
des Kaisers, der davon durchdrungen ist, daß der germanische Herrscher und der
preußische König ihren höchsten Beruf in dem Schutz der Schwachen und Unter¬
drückten zu finden haben, wäre auch das Wollen des größten Staatsmannes
machtlos geblieben. Für den Kaiser aber war das dornenvolle Schmerzenslciger,
auf welches ihn zwei ruchlose Vertreter der fanatisirten Sozialdemokratie ge¬
worfen hatten, die Prüfungszeit, in welcher die Gedanken zu einer Besserung
der Lage der arbeitenden Bevölkerung reiften. Bewundernd wird das mensch¬
liche Herz an den Heldengreis zu allen Zeiten zurückdenke», der, am Abend eines
ruhmgekrönten Lebens von Mörderhand getroffen, nicht auf Strafe und Rache,
sondern auf Wohlthat und Versöhnung sinnt. Beugen aber muß sich der mensch¬
liche Geist vor der Thatkraft, mit welcher der Kaiser an die Lösung einer Auf¬
gabe so riesengroßer Art herantritt, in einem Lebensalter herantritt, wo jede
noch gewährte Stunde nur als ein Gnadengeschenk der göttlichen Vorsehung
betrachtet werden muß. Und der Kanzler leitet diesen hochherzigen Entschluß
seines kaiserlichen Herrn, unberührt davon, daß schon der nächste Augenblick ihn
zur Niederlegung seines Amtes veranlassen kann, und ohne Rücksicht darauf,
ob sein Borgeheu auch später von der gleichen Gunst getragen werden wird.
So handeln eben nur Männer, in deren Brust das höchste Pflichtgefühl lebendig
ist, und die das eigne Interesse dem öffentlichen Wohl gegenüber niemals
in Rücksicht ziehen. In dieser Gesinnung und in dem derselben entsprechenden
Handeln liegt aber auch das Geheimnis ihrer Größe. Wer die Stellung als
Herrscher benutzt, um nur die Annehmlichkeiten des Lebens zu genießen, um sich
von der rauhen Wirklichkeit in das anmutige Gebiet zu flüchten, welches so oft
gerade für den Thron die Genüsse der Welt zu bereiten pflegen, der wird jeden
ihm von Gott gegönnten Augenblick nur für sich selbst benutzen. Wer als Mi-


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[0212] Das soziale Aönigtum. wie das an die Spitze dieses Aufsatzes gestellte Wort beweist, erst am Vor¬ abend vor seinem jähen Ende erkannt, daß in dem Streite des Sozialismus die segensreichere Rolle dem Königtum gebührt. Dieses hat nach Tagen schwerster Prüfung, beraten von dem großen Staatsmann, diese Rolle übernommen. Vergleicht man nun die Leidenschaftlichkeit des Agitators mit dem ethischen Zielbewußtem des von der monarchischen Macht getragenen Staatsmannes, der mit dem Ernste der vollen Verantwortlichkeit Schritt für Schritt vorwärts¬ schreitet, nicht phantastischen Träumen nachjagt, sondern eingedenk menschlicher UnVollkommenheit nur dasjenige erstrebt, was innerhalb der natürlichen Welt¬ ordnung, der von der physischen Natur selbst gesteckten Grenzen für ein Men¬ schenalter zu erreichen ist — so zeigt sich, daß dem Zauberlehrling Lassalle der Meister Bismarck nachgefolgt ist. Wie in dem politischen Leben unsrer Nation sich Kaiser Wilhelm und sein Kanzler nicht voneinander getrennt denken lassen, so zeigt sich auch diese innere, in der Weltgeschichte bisher nie erreichte Har¬ monie zwischen dem Fürsten und seinem ersten Ratgeber bei der Regelung der von ihnen übernommenen sozialen Aufgaben. Ohne das erhabene Pflichtgefühl des Kaisers, der davon durchdrungen ist, daß der germanische Herrscher und der preußische König ihren höchsten Beruf in dem Schutz der Schwachen und Unter¬ drückten zu finden haben, wäre auch das Wollen des größten Staatsmannes machtlos geblieben. Für den Kaiser aber war das dornenvolle Schmerzenslciger, auf welches ihn zwei ruchlose Vertreter der fanatisirten Sozialdemokratie ge¬ worfen hatten, die Prüfungszeit, in welcher die Gedanken zu einer Besserung der Lage der arbeitenden Bevölkerung reiften. Bewundernd wird das mensch¬ liche Herz an den Heldengreis zu allen Zeiten zurückdenke», der, am Abend eines ruhmgekrönten Lebens von Mörderhand getroffen, nicht auf Strafe und Rache, sondern auf Wohlthat und Versöhnung sinnt. Beugen aber muß sich der mensch¬ liche Geist vor der Thatkraft, mit welcher der Kaiser an die Lösung einer Auf¬ gabe so riesengroßer Art herantritt, in einem Lebensalter herantritt, wo jede noch gewährte Stunde nur als ein Gnadengeschenk der göttlichen Vorsehung betrachtet werden muß. Und der Kanzler leitet diesen hochherzigen Entschluß seines kaiserlichen Herrn, unberührt davon, daß schon der nächste Augenblick ihn zur Niederlegung seines Amtes veranlassen kann, und ohne Rücksicht darauf, ob sein Borgeheu auch später von der gleichen Gunst getragen werden wird. So handeln eben nur Männer, in deren Brust das höchste Pflichtgefühl lebendig ist, und die das eigne Interesse dem öffentlichen Wohl gegenüber niemals in Rücksicht ziehen. In dieser Gesinnung und in dem derselben entsprechenden Handeln liegt aber auch das Geheimnis ihrer Größe. Wer die Stellung als Herrscher benutzt, um nur die Annehmlichkeiten des Lebens zu genießen, um sich von der rauhen Wirklichkeit in das anmutige Gebiet zu flüchten, welches so oft gerade für den Thron die Genüsse der Welt zu bereiten pflegen, der wird jeden ihm von Gott gegönnten Augenblick nur für sich selbst benutzen. Wer als Mi-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/212>, abgerufen am 29.12.2024.