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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Die erste Sitzung des ersten deutschen Parlaments.

Während der Debatte über diesen Antrag gab die Versammlung den Wunsch
nach Schluß der Sitzung zu erkennen. Man schien für diesen Tag genug ge¬
hört zu haben. Erbaut war man sicherlich nicht von dem Verlauf der ersten
Sitzung des ersten deutschen Parlaments. Dieser Stimmung gab der Abge¬
ordnete Hülsmann Ausdruck mit den Worten: "Wir sind mit Glockengeläute,
mit Kanonendonner eingetreten; gewiß ein jeder von uns in erhebenden Gefühle.
Der Gang der Verhandlung war rein formell; das Gefühl, womit wir herein¬
gekommen, nehmen die wenigsten mit hinaus." Weiter bemerkte er, daß der
Endzweck ihres Hierseins Deutschlands Einheit, Freiheit sei, und folgte dann
dem wiederholten Rufe: Zum Schluß! durch Verlassen der Tribüne.

Ehe der Alterspräsident dazu kam, die Tagesordnung für die auf Freitag
den 19. Mai, vormittags 10 Uhr, anberaumte nächste Sitzung bekannt zu machen,
ergriff der Bischof Müller von Münster das Wort und sagte:

Die gegenwärtige Versammlung durchdringt ein Bewußtsein, das von der
großen Wichtigkeit des Werkes, zu dessen Aufbau Sie hier zusammengekommen
sind, herrührt. Jenes Buch, dessen Lehren seit Jahrtausenden die Grundlagen der
menschlichen Gesellschaft bei vielen, vielen Völkern bildeten, enthält das wichtige
Wort: Wenn der Herr das Haus nicht baut, so bauen die Werkleute das Werk
umsonst. (Einige Stimmen: Keine Predigt!) Ich glaube die Ansicht sehr vieler
Anwesenden auszusprechen, wenn ich darauf antrage, daß wir die Anerkennung
jenes Wortes der heiligen Schrift durch irgendeine kirchlich feierliche Handlung
bethätigen. Es könnten die Pfarrgeistlichen ersucht werden, für die verschiedenen
Konfessionen an einem von der Versammlung zu bestimmenden Tage einen Gottes¬
dienst abzuhalten, in dem sich die Abgeordneten der verschiedenen Konfessionen zu¬
sammenfinden möchten.

Hentges aus Heilbronn, Mitglied der äußersten Linken, entgegnete, daß, wenn
ein Gottesdienst stattfinden sollte, er für alle Konfessionen stattfinden möchte.
Da sie eine gemeinschaftliche Sache berieten, erscheine ihm eine Trennung beim
Gottesdienste nach konfessioneller Unterscheidung unpassend. Ihm sekundirte
Venedey aus Köln, ein "ehrlicher Schwärmer von grenzenloser Sprachseligkeit,"
welcher meinte, man solle diesmal den Gottesdienst aus der Versammlung
weglassen.

Unter stürmischem Bravo schloß die Erörterung über dieses Thema Herr
Raveaux, der, "schwarz von Haar und Bart, das Gesicht von angegriffener
Blässe, die Stimme noch klagender als die Venedeys," unter anderm sagte:
"Die schönen Reden müssen einmal aufhören, denn die heutigen Verhandlungen
haben bewiesen, daß man viele schöne Reden halten kann, ohne auch nur eine
einzige That zu vollbringen. Ich will Ihnen auch ein Sprichwort anführen:
Hilf dir selber, und Gott wird dir helfen."

Mit der Verkündigung der Tagesordnung für die nächste Sitzung, auf
welcher sich auch die Wahl des "provisorischen" Präsidenten befand, wurde die
erste Sitzung des ersten deutschen Parlaments gegen halb acht Uhr abends
geschlossen.




Die erste Sitzung des ersten deutschen Parlaments.

Während der Debatte über diesen Antrag gab die Versammlung den Wunsch
nach Schluß der Sitzung zu erkennen. Man schien für diesen Tag genug ge¬
hört zu haben. Erbaut war man sicherlich nicht von dem Verlauf der ersten
Sitzung des ersten deutschen Parlaments. Dieser Stimmung gab der Abge¬
ordnete Hülsmann Ausdruck mit den Worten: „Wir sind mit Glockengeläute,
mit Kanonendonner eingetreten; gewiß ein jeder von uns in erhebenden Gefühle.
Der Gang der Verhandlung war rein formell; das Gefühl, womit wir herein¬
gekommen, nehmen die wenigsten mit hinaus." Weiter bemerkte er, daß der
Endzweck ihres Hierseins Deutschlands Einheit, Freiheit sei, und folgte dann
dem wiederholten Rufe: Zum Schluß! durch Verlassen der Tribüne.

Ehe der Alterspräsident dazu kam, die Tagesordnung für die auf Freitag
den 19. Mai, vormittags 10 Uhr, anberaumte nächste Sitzung bekannt zu machen,
ergriff der Bischof Müller von Münster das Wort und sagte:

Die gegenwärtige Versammlung durchdringt ein Bewußtsein, das von der
großen Wichtigkeit des Werkes, zu dessen Aufbau Sie hier zusammengekommen
sind, herrührt. Jenes Buch, dessen Lehren seit Jahrtausenden die Grundlagen der
menschlichen Gesellschaft bei vielen, vielen Völkern bildeten, enthält das wichtige
Wort: Wenn der Herr das Haus nicht baut, so bauen die Werkleute das Werk
umsonst. (Einige Stimmen: Keine Predigt!) Ich glaube die Ansicht sehr vieler
Anwesenden auszusprechen, wenn ich darauf antrage, daß wir die Anerkennung
jenes Wortes der heiligen Schrift durch irgendeine kirchlich feierliche Handlung
bethätigen. Es könnten die Pfarrgeistlichen ersucht werden, für die verschiedenen
Konfessionen an einem von der Versammlung zu bestimmenden Tage einen Gottes¬
dienst abzuhalten, in dem sich die Abgeordneten der verschiedenen Konfessionen zu¬
sammenfinden möchten.

Hentges aus Heilbronn, Mitglied der äußersten Linken, entgegnete, daß, wenn
ein Gottesdienst stattfinden sollte, er für alle Konfessionen stattfinden möchte.
Da sie eine gemeinschaftliche Sache berieten, erscheine ihm eine Trennung beim
Gottesdienste nach konfessioneller Unterscheidung unpassend. Ihm sekundirte
Venedey aus Köln, ein „ehrlicher Schwärmer von grenzenloser Sprachseligkeit,"
welcher meinte, man solle diesmal den Gottesdienst aus der Versammlung
weglassen.

Unter stürmischem Bravo schloß die Erörterung über dieses Thema Herr
Raveaux, der, „schwarz von Haar und Bart, das Gesicht von angegriffener
Blässe, die Stimme noch klagender als die Venedeys," unter anderm sagte:
„Die schönen Reden müssen einmal aufhören, denn die heutigen Verhandlungen
haben bewiesen, daß man viele schöne Reden halten kann, ohne auch nur eine
einzige That zu vollbringen. Ich will Ihnen auch ein Sprichwort anführen:
Hilf dir selber, und Gott wird dir helfen."

Mit der Verkündigung der Tagesordnung für die nächste Sitzung, auf
welcher sich auch die Wahl des „provisorischen" Präsidenten befand, wurde die
erste Sitzung des ersten deutschen Parlaments gegen halb acht Uhr abends
geschlossen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/179>, abgerufen am 29.12.2024.