Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
?er Lisztunfug in Weimar.

entschieden größeres Gewicht auf die streitenden Talente, welche unerschrocken
den hoffnungslosen Kampf um die Alleinherrschaft der alten Kirche auf denk'
schein Boden aufnahmen und, ihre Waffen von allen Seiten her entlehnend, auch
die tendenziöse Poesie als eine gute Waffe erachteten.




Der Lisztunfug in Weimar.

er Name Weimar hat einen guten Klang. Unwillkürlich denkt
jeder Deutsche dabei an die Tage Goethes und Schillers, da
noch die kleine thüringische Stadt ein Wallfahrtsort war für alle
Literaturfreunde. Aber heute? "Weh dir, daß du ein Enkel bist!"
Dem Epigonengeschlechte, welches jetzt am Ufer der Ilm haust,
ist seine große Vergangenheit zum Fluche geworden: sie hat ihm den Kopf ver¬
rückt und einen unermeßlichen Dünkel in ihm erzeugt, der darauf schwört, daß
Weimar noch immer das "deutsche Athen" sei."')

Freilich, das sieht auch der aufgeblasenste "Jlmathener" ein, daß er mit
seinen Schriftstellern nicht viel Staat machen kann. Julius Grosse und Robert
Keil haben bequem in den Westentaschen Goethes und Schillers Platz, und ein
kürzlich aufgetauchter, mit Jlmwasser getaufter Blaustrumpf wird durch die
Lobhudelei einer gedankenlosen Presse noch lange nicht zu einer Karoline von
Wolzogen gestempelt. Indessen wer, gern anbetet, ist nie um einen Götzen ver¬
legen: die Weimaraner schütten darum das Füllhorn ihres begeisterungswütigen
Herzens über die Musik aus. Am Himmel dieser Kunst funkelt nach ihrer
Meinung Weimar als die strahlende Sonne, vor der alle andern Sterne er¬
bleichen müssen. Der Schöpfer dieser neuen Herrlichkeit aber ist -- Franz
Liszt.

Du möchtest gerne wissen, lieber Leser, wie es in der Walpurgisnacht zu¬
geht? Nun wohl, so besuche mit mir den musikalischen Blocksberg von Weimar.
Sieh, wie alle die Hexen und Teufel vor ihrem Herrn und Gebieter auf den
Knien liegen, wie sie ihm die Füße und den Saum des Gewandes küssen!

Um Mißdeutungen vorzubeugen, will ich gleich vorausschicken, daß mein
Angriff sich keineswegs gegen Liszts Person richtet. Liszt wird allgemein als
freundlich, mildthätig, freigebig und überaus liebenswürdig gerühmt. Auch ist



*) Unserm Berichte über das Weimarer Musikfest lassen wir den vorliegenden, uns
gleichzeitig zugegangenen Aufsatz auf dem Fuße folgen. Erzählte jener von einem einzelnen
Ungliicksfall, von dem sich die Weimarer hoffentlich bald wieder erholen werden so beschäftigt
,D. Red. sich der vorstehende mit einer, wie es scheint, andauernden Kalamität.
?er Lisztunfug in Weimar.

entschieden größeres Gewicht auf die streitenden Talente, welche unerschrocken
den hoffnungslosen Kampf um die Alleinherrschaft der alten Kirche auf denk'
schein Boden aufnahmen und, ihre Waffen von allen Seiten her entlehnend, auch
die tendenziöse Poesie als eine gute Waffe erachteten.




Der Lisztunfug in Weimar.

er Name Weimar hat einen guten Klang. Unwillkürlich denkt
jeder Deutsche dabei an die Tage Goethes und Schillers, da
noch die kleine thüringische Stadt ein Wallfahrtsort war für alle
Literaturfreunde. Aber heute? „Weh dir, daß du ein Enkel bist!"
Dem Epigonengeschlechte, welches jetzt am Ufer der Ilm haust,
ist seine große Vergangenheit zum Fluche geworden: sie hat ihm den Kopf ver¬
rückt und einen unermeßlichen Dünkel in ihm erzeugt, der darauf schwört, daß
Weimar noch immer das „deutsche Athen" sei."')

Freilich, das sieht auch der aufgeblasenste „Jlmathener" ein, daß er mit
seinen Schriftstellern nicht viel Staat machen kann. Julius Grosse und Robert
Keil haben bequem in den Westentaschen Goethes und Schillers Platz, und ein
kürzlich aufgetauchter, mit Jlmwasser getaufter Blaustrumpf wird durch die
Lobhudelei einer gedankenlosen Presse noch lange nicht zu einer Karoline von
Wolzogen gestempelt. Indessen wer, gern anbetet, ist nie um einen Götzen ver¬
legen: die Weimaraner schütten darum das Füllhorn ihres begeisterungswütigen
Herzens über die Musik aus. Am Himmel dieser Kunst funkelt nach ihrer
Meinung Weimar als die strahlende Sonne, vor der alle andern Sterne er¬
bleichen müssen. Der Schöpfer dieser neuen Herrlichkeit aber ist — Franz
Liszt.

Du möchtest gerne wissen, lieber Leser, wie es in der Walpurgisnacht zu¬
geht? Nun wohl, so besuche mit mir den musikalischen Blocksberg von Weimar.
Sieh, wie alle die Hexen und Teufel vor ihrem Herrn und Gebieter auf den
Knien liegen, wie sie ihm die Füße und den Saum des Gewandes küssen!

Um Mißdeutungen vorzubeugen, will ich gleich vorausschicken, daß mein
Angriff sich keineswegs gegen Liszts Person richtet. Liszt wird allgemein als
freundlich, mildthätig, freigebig und überaus liebenswürdig gerühmt. Auch ist



*) Unserm Berichte über das Weimarer Musikfest lassen wir den vorliegenden, uns
gleichzeitig zugegangenen Aufsatz auf dem Fuße folgen. Erzählte jener von einem einzelnen
Ungliicksfall, von dem sich die Weimarer hoffentlich bald wieder erholen werden so beschäftigt
,D. Red. sich der vorstehende mit einer, wie es scheint, andauernden Kalamität.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0099" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/156370"/>
          <fw type="header" place="top"> ?er Lisztunfug in Weimar.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_299" prev="#ID_298"> entschieden größeres Gewicht auf die streitenden Talente, welche unerschrocken<lb/>
den hoffnungslosen Kampf um die Alleinherrschaft der alten Kirche auf denk'<lb/>
schein Boden aufnahmen und, ihre Waffen von allen Seiten her entlehnend, auch<lb/>
die tendenziöse Poesie als eine gute Waffe erachteten.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Der Lisztunfug in Weimar.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_300"> er Name Weimar hat einen guten Klang. Unwillkürlich denkt<lb/>
jeder Deutsche dabei an die Tage Goethes und Schillers, da<lb/>
noch die kleine thüringische Stadt ein Wallfahrtsort war für alle<lb/>
Literaturfreunde. Aber heute? &#x201E;Weh dir, daß du ein Enkel bist!"<lb/>
Dem Epigonengeschlechte, welches jetzt am Ufer der Ilm haust,<lb/>
ist seine große Vergangenheit zum Fluche geworden: sie hat ihm den Kopf ver¬<lb/>
rückt und einen unermeßlichen Dünkel in ihm erzeugt, der darauf schwört, daß<lb/>
Weimar noch immer das &#x201E;deutsche Athen" sei."')</p><lb/>
          <p xml:id="ID_301"> Freilich, das sieht auch der aufgeblasenste &#x201E;Jlmathener" ein, daß er mit<lb/>
seinen Schriftstellern nicht viel Staat machen kann. Julius Grosse und Robert<lb/>
Keil haben bequem in den Westentaschen Goethes und Schillers Platz, und ein<lb/>
kürzlich aufgetauchter, mit Jlmwasser getaufter Blaustrumpf wird durch die<lb/>
Lobhudelei einer gedankenlosen Presse noch lange nicht zu einer Karoline von<lb/>
Wolzogen gestempelt. Indessen wer, gern anbetet, ist nie um einen Götzen ver¬<lb/>
legen: die Weimaraner schütten darum das Füllhorn ihres begeisterungswütigen<lb/>
Herzens über die Musik aus. Am Himmel dieser Kunst funkelt nach ihrer<lb/>
Meinung Weimar als die strahlende Sonne, vor der alle andern Sterne er¬<lb/>
bleichen müssen. Der Schöpfer dieser neuen Herrlichkeit aber ist &#x2014; Franz<lb/>
Liszt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_302"> Du möchtest gerne wissen, lieber Leser, wie es in der Walpurgisnacht zu¬<lb/>
geht? Nun wohl, so besuche mit mir den musikalischen Blocksberg von Weimar.<lb/>
Sieh, wie alle die Hexen und Teufel vor ihrem Herrn und Gebieter auf den<lb/>
Knien liegen, wie sie ihm die Füße und den Saum des Gewandes küssen!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_303" next="#ID_304"> Um Mißdeutungen vorzubeugen, will ich gleich vorausschicken, daß mein<lb/>
Angriff sich keineswegs gegen Liszts Person richtet. Liszt wird allgemein als<lb/>
freundlich, mildthätig, freigebig und überaus liebenswürdig gerühmt.  Auch ist</p><lb/>
          <note xml:id="FID_7" place="foot"> *) Unserm Berichte über das Weimarer Musikfest lassen wir den vorliegenden, uns<lb/>
gleichzeitig zugegangenen Aufsatz auf dem Fuße folgen. Erzählte jener von einem einzelnen<lb/>
Ungliicksfall, von dem sich die Weimarer hoffentlich bald wieder erholen werden so beschäftigt<lb/><note type="byline"> ,D. Red.</note> sich der vorstehende mit einer, wie es scheint, andauernden Kalamität. </note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0099] ?er Lisztunfug in Weimar. entschieden größeres Gewicht auf die streitenden Talente, welche unerschrocken den hoffnungslosen Kampf um die Alleinherrschaft der alten Kirche auf denk' schein Boden aufnahmen und, ihre Waffen von allen Seiten her entlehnend, auch die tendenziöse Poesie als eine gute Waffe erachteten. Der Lisztunfug in Weimar. er Name Weimar hat einen guten Klang. Unwillkürlich denkt jeder Deutsche dabei an die Tage Goethes und Schillers, da noch die kleine thüringische Stadt ein Wallfahrtsort war für alle Literaturfreunde. Aber heute? „Weh dir, daß du ein Enkel bist!" Dem Epigonengeschlechte, welches jetzt am Ufer der Ilm haust, ist seine große Vergangenheit zum Fluche geworden: sie hat ihm den Kopf ver¬ rückt und einen unermeßlichen Dünkel in ihm erzeugt, der darauf schwört, daß Weimar noch immer das „deutsche Athen" sei."') Freilich, das sieht auch der aufgeblasenste „Jlmathener" ein, daß er mit seinen Schriftstellern nicht viel Staat machen kann. Julius Grosse und Robert Keil haben bequem in den Westentaschen Goethes und Schillers Platz, und ein kürzlich aufgetauchter, mit Jlmwasser getaufter Blaustrumpf wird durch die Lobhudelei einer gedankenlosen Presse noch lange nicht zu einer Karoline von Wolzogen gestempelt. Indessen wer, gern anbetet, ist nie um einen Götzen ver¬ legen: die Weimaraner schütten darum das Füllhorn ihres begeisterungswütigen Herzens über die Musik aus. Am Himmel dieser Kunst funkelt nach ihrer Meinung Weimar als die strahlende Sonne, vor der alle andern Sterne er¬ bleichen müssen. Der Schöpfer dieser neuen Herrlichkeit aber ist — Franz Liszt. Du möchtest gerne wissen, lieber Leser, wie es in der Walpurgisnacht zu¬ geht? Nun wohl, so besuche mit mir den musikalischen Blocksberg von Weimar. Sieh, wie alle die Hexen und Teufel vor ihrem Herrn und Gebieter auf den Knien liegen, wie sie ihm die Füße und den Saum des Gewandes küssen! Um Mißdeutungen vorzubeugen, will ich gleich vorausschicken, daß mein Angriff sich keineswegs gegen Liszts Person richtet. Liszt wird allgemein als freundlich, mildthätig, freigebig und überaus liebenswürdig gerühmt. Auch ist *) Unserm Berichte über das Weimarer Musikfest lassen wir den vorliegenden, uns gleichzeitig zugegangenen Aufsatz auf dem Fuße folgen. Erzählte jener von einem einzelnen Ungliicksfall, von dem sich die Weimarer hoffentlich bald wieder erholen werden so beschäftigt ,D. Red. sich der vorstehende mit einer, wie es scheint, andauernden Kalamität.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/99
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/99>, abgerufen am 27.06.2024.