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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die katholischen Elemente in der deutschen Literatur.

30. März 1798 geboren (ihr älterer Bruder war der bekannte Historie"- und
Porträtmaler Wilhelm Hensel, der Schwager Felix Mendelsohns), zeigte als
sechzehn- und siebzehnjähriges Mädchen jene Neigung zum Marienkultus und
jene Abneigung gegen die "unpoetische" lutherische Kirche, die tausenden von
Backfischen gemeinsam ist und in der Regel keinen tieferen Grund hat. Bei
Luise Hensel war wohl ein solcher vorhanden, jedenfalls wurde die Begegnung
mit Clemens Brentano, als er 1816 nach Berlin kam, für ihr Leben ent¬
scheidend. Der damals noch nicht vierzigjährige Dichter erglühte in neuer
Leidenschaft für das liebliche Mädchen, sie erwiederte seine Leidenschaft nicht,
empfand aber schwesterliche Zuneigung für ihn, war bereit, ihn unter der bei
Brentanos Natur allerdings schwerglaublichcn Voraussetzung zu heiraten, daß
ihre Ehe "kinderlos und keusch" bleibe, drängte einstweilen Brentano, der trotz
der "Romanzen vom Rosenkranz" damals noch stark weltlich gesinnt war, aus
dem lauen in den eifrigen Katholizismus, wendete sich aber bereits im nächst¬
folgenden Jahre durch Vermittlung des Propstes Taube an der Hedwigskirche
der alten Kirche zu. Ihre religiösen Lieder, ihre Briefe und Tagebücher be¬
legen, daß sie unablässig nach Frieden rang, Frieden suchte, ihn jedoch auch in
der katholischen Kirche nicht fand. In ihr flammte jene mystische verzehrende
Sehnsucht nach dem Anschauen Gottes, der Vereinigung mit Gott, jene leiden¬
schaftliche Verachtung der Welt, welche sich nicht genug thun kann und um
jeden Preis zur Gewißheit der Seligkeit gelangen will. Man möchte in der
That sagen, daß dieser Natur durch ein achtnndsiebzigjähriges Leben das Schwerste
auferlegt ward, das ihr zuteil werden konnte. So geringes Gewicht sie auf
ihre Lieder, "die kleinen Dinger," legte, so gleichgültig sie sich gegen irdischen Namen,
irdisches Lob verhielt, so wurden die Lieder doch in der That höchst wirksam,
und wenn die neuere katholische Lyrik, die Muster der poetischen Jesuiten wie
Spec und Bälde beiseite schiebend, sich einer größern Einfachheit befleißigt, so
darf den Liedern der brandenburgischen Konvertit!" daran ein gewisser Anteil
zugeschrieben werden.

Die Gerechtigkeit erfordert es übrigens, zu sagen, daß sowohl Luise Hensel
als eine kleine Zahl späterer Konvertiten sich wenigstens in ihren poetischen
Erzeugnissen von der leidenschaftlichen Verdammung der Andersgläubigen und
von der erhitzten Propaganda für die kaum selbst gewonnene Überzeugung frei
hielten. Auch Eichendorffs poetischer Schüler, derHambnrger Lehrende Dreves,
welcher 1846 in Wien dnrch den Nuntius Viale-Prela in den Schoß der alten
Kirche aufgenommen ward und 1870 zu Feldkirch starb, zeigt in seinen "Ge¬
dichten," soweit dieselben die Empfindungen durchscheinen lassen, die ihn vom
Protestantismus zum Katholizismus geführt, durchaus eine ruhige Milde, eine
lautere Einfachheit, welche nicht bei Stolberg, Schlegel und Zacharias Werner
in die Schule gegangen ist. Aber maßgebend und tonangebend wurden diese
Dichter nicht, man ließ sich ihre Natur und Artung gefallen, aber mau legte


Die katholischen Elemente in der deutschen Literatur.

30. März 1798 geboren (ihr älterer Bruder war der bekannte Historie»- und
Porträtmaler Wilhelm Hensel, der Schwager Felix Mendelsohns), zeigte als
sechzehn- und siebzehnjähriges Mädchen jene Neigung zum Marienkultus und
jene Abneigung gegen die „unpoetische" lutherische Kirche, die tausenden von
Backfischen gemeinsam ist und in der Regel keinen tieferen Grund hat. Bei
Luise Hensel war wohl ein solcher vorhanden, jedenfalls wurde die Begegnung
mit Clemens Brentano, als er 1816 nach Berlin kam, für ihr Leben ent¬
scheidend. Der damals noch nicht vierzigjährige Dichter erglühte in neuer
Leidenschaft für das liebliche Mädchen, sie erwiederte seine Leidenschaft nicht,
empfand aber schwesterliche Zuneigung für ihn, war bereit, ihn unter der bei
Brentanos Natur allerdings schwerglaublichcn Voraussetzung zu heiraten, daß
ihre Ehe „kinderlos und keusch" bleibe, drängte einstweilen Brentano, der trotz
der „Romanzen vom Rosenkranz" damals noch stark weltlich gesinnt war, aus
dem lauen in den eifrigen Katholizismus, wendete sich aber bereits im nächst¬
folgenden Jahre durch Vermittlung des Propstes Taube an der Hedwigskirche
der alten Kirche zu. Ihre religiösen Lieder, ihre Briefe und Tagebücher be¬
legen, daß sie unablässig nach Frieden rang, Frieden suchte, ihn jedoch auch in
der katholischen Kirche nicht fand. In ihr flammte jene mystische verzehrende
Sehnsucht nach dem Anschauen Gottes, der Vereinigung mit Gott, jene leiden¬
schaftliche Verachtung der Welt, welche sich nicht genug thun kann und um
jeden Preis zur Gewißheit der Seligkeit gelangen will. Man möchte in der
That sagen, daß dieser Natur durch ein achtnndsiebzigjähriges Leben das Schwerste
auferlegt ward, das ihr zuteil werden konnte. So geringes Gewicht sie auf
ihre Lieder, „die kleinen Dinger," legte, so gleichgültig sie sich gegen irdischen Namen,
irdisches Lob verhielt, so wurden die Lieder doch in der That höchst wirksam,
und wenn die neuere katholische Lyrik, die Muster der poetischen Jesuiten wie
Spec und Bälde beiseite schiebend, sich einer größern Einfachheit befleißigt, so
darf den Liedern der brandenburgischen Konvertit!» daran ein gewisser Anteil
zugeschrieben werden.

Die Gerechtigkeit erfordert es übrigens, zu sagen, daß sowohl Luise Hensel
als eine kleine Zahl späterer Konvertiten sich wenigstens in ihren poetischen
Erzeugnissen von der leidenschaftlichen Verdammung der Andersgläubigen und
von der erhitzten Propaganda für die kaum selbst gewonnene Überzeugung frei
hielten. Auch Eichendorffs poetischer Schüler, derHambnrger Lehrende Dreves,
welcher 1846 in Wien dnrch den Nuntius Viale-Prela in den Schoß der alten
Kirche aufgenommen ward und 1870 zu Feldkirch starb, zeigt in seinen „Ge¬
dichten," soweit dieselben die Empfindungen durchscheinen lassen, die ihn vom
Protestantismus zum Katholizismus geführt, durchaus eine ruhige Milde, eine
lautere Einfachheit, welche nicht bei Stolberg, Schlegel und Zacharias Werner
in die Schule gegangen ist. Aber maßgebend und tonangebend wurden diese
Dichter nicht, man ließ sich ihre Natur und Artung gefallen, aber mau legte


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[0098] Die katholischen Elemente in der deutschen Literatur. 30. März 1798 geboren (ihr älterer Bruder war der bekannte Historie»- und Porträtmaler Wilhelm Hensel, der Schwager Felix Mendelsohns), zeigte als sechzehn- und siebzehnjähriges Mädchen jene Neigung zum Marienkultus und jene Abneigung gegen die „unpoetische" lutherische Kirche, die tausenden von Backfischen gemeinsam ist und in der Regel keinen tieferen Grund hat. Bei Luise Hensel war wohl ein solcher vorhanden, jedenfalls wurde die Begegnung mit Clemens Brentano, als er 1816 nach Berlin kam, für ihr Leben ent¬ scheidend. Der damals noch nicht vierzigjährige Dichter erglühte in neuer Leidenschaft für das liebliche Mädchen, sie erwiederte seine Leidenschaft nicht, empfand aber schwesterliche Zuneigung für ihn, war bereit, ihn unter der bei Brentanos Natur allerdings schwerglaublichcn Voraussetzung zu heiraten, daß ihre Ehe „kinderlos und keusch" bleibe, drängte einstweilen Brentano, der trotz der „Romanzen vom Rosenkranz" damals noch stark weltlich gesinnt war, aus dem lauen in den eifrigen Katholizismus, wendete sich aber bereits im nächst¬ folgenden Jahre durch Vermittlung des Propstes Taube an der Hedwigskirche der alten Kirche zu. Ihre religiösen Lieder, ihre Briefe und Tagebücher be¬ legen, daß sie unablässig nach Frieden rang, Frieden suchte, ihn jedoch auch in der katholischen Kirche nicht fand. In ihr flammte jene mystische verzehrende Sehnsucht nach dem Anschauen Gottes, der Vereinigung mit Gott, jene leiden¬ schaftliche Verachtung der Welt, welche sich nicht genug thun kann und um jeden Preis zur Gewißheit der Seligkeit gelangen will. Man möchte in der That sagen, daß dieser Natur durch ein achtnndsiebzigjähriges Leben das Schwerste auferlegt ward, das ihr zuteil werden konnte. So geringes Gewicht sie auf ihre Lieder, „die kleinen Dinger," legte, so gleichgültig sie sich gegen irdischen Namen, irdisches Lob verhielt, so wurden die Lieder doch in der That höchst wirksam, und wenn die neuere katholische Lyrik, die Muster der poetischen Jesuiten wie Spec und Bälde beiseite schiebend, sich einer größern Einfachheit befleißigt, so darf den Liedern der brandenburgischen Konvertit!» daran ein gewisser Anteil zugeschrieben werden. Die Gerechtigkeit erfordert es übrigens, zu sagen, daß sowohl Luise Hensel als eine kleine Zahl späterer Konvertiten sich wenigstens in ihren poetischen Erzeugnissen von der leidenschaftlichen Verdammung der Andersgläubigen und von der erhitzten Propaganda für die kaum selbst gewonnene Überzeugung frei hielten. Auch Eichendorffs poetischer Schüler, derHambnrger Lehrende Dreves, welcher 1846 in Wien dnrch den Nuntius Viale-Prela in den Schoß der alten Kirche aufgenommen ward und 1870 zu Feldkirch starb, zeigt in seinen „Ge¬ dichten," soweit dieselben die Empfindungen durchscheinen lassen, die ihn vom Protestantismus zum Katholizismus geführt, durchaus eine ruhige Milde, eine lautere Einfachheit, welche nicht bei Stolberg, Schlegel und Zacharias Werner in die Schule gegangen ist. Aber maßgebend und tonangebend wurden diese Dichter nicht, man ließ sich ihre Natur und Artung gefallen, aber mau legte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/98>, abgerufen am 27.06.2024.