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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Der Lisztunfug in Weimar.

es einem Virtuosen nicht zu verargen, wenn er den Duft des Weihrauchs, den
man ihm in seiner Jugend in so verschwenderischer Menge gestreut hat, auch
im Alter nicht missen mag. Aber die Narren, die einen sterblichen Menschen
für einen Halbgott, einen Propheten erklären, die in ihrer Verehrung weder
Maß noch Ziel kennen, schonungslos zu geißeln, ist nicht nur das Recht, sondern
sogar die Pflicht jedes Vernünftigen.

Als eine harmlose Huldigung kann man es wohl betrachten, daß Liszts Pho¬
tographie in soundsoviel Läden, oft in mehreren Exemplaren, aushängt-- während
der Tonkünstlervcrsammlung zählte ich in einem einzigen Schaufenster vierzehn
Stück, und eine Dame besitzt nach glaubwürdiger Aussage die sämtlichen 84 Auf¬
nahmen, die das "ewig teure und geliebte Antlitz" darstellen! Auch das mag hin¬
gehen, daß sein Bildnis zwar nicht "Pfeifenköpfe und Tassen," aber doch Arbeits¬
kästchen u. tgi. als Porzellanmedaillon ziert. Ebensowenig wird es jemand tadeln,
wenn die Orchesterschule sich bei ihrem Gönner Liszt dadurch bedankt, daß sie
seine Terrakottabüste in ihrer Aula aufstellt. Ohne Wehr und Waffen aber
steht mau dem Gesalbader der Presse gegenüber. Freilich hat sich die auch
sonst vortrefflich redigirte "Weimarische Zeitung" von dem überspannten Treiben
nicht anstecken lassen und sich ein verständiges Urteil bewahrt. Dagegen schlägt
das weit verbreitetere Kühe- und Wurstblatt "Deutschland" förmliche Purzel¬
bäume des Entzückens, sobald der geweihte Name "Liszt" erklingt. Besagtes
"Deutschland" hat zum musikalischen Berater einen Herrn Gg., dem unzweifel¬
haft unter allen Lisztschwärmern die Palme gebührt. Liszt selbst hat ihn
"legendarischen Kantor" getauft, und wahrlich es grenzt ans Märchenhafte,
was er als Kritikus leistet: seine Renzensionen, die durch ihren geschraubten
Stil, ihren frostigen Witz und die verschwenderische Anwendung von Gänse¬
füßchen beinahe wie Brechmittel wirken, gehören fast ausnahmslos unter die
Rubrik des gedruckten Unsinns. Das Volk hat denn auch an die Chiffre
A. W. G., mit der unser Freund früher zeichnete, einen sehr groben, aber über¬
aus treffenden Witz geknüpft, der offenbar dem Gekränkten kein Geheimnis ge¬
blieben ist -- er begnügt sich jetzt mit dem einfachen Gg. Dabei ist dieser
merkwürdige Kauz wirtlich ein Musikkenner und auch sonst ein ganz unter¬
richteter Mann! Erst der ununterbrochene Verkehr mit Liszt hat ihm offenbar
sein schrullenhaftes Wesen nach und nach eingeimpft; jedenfalls braucht er jetzt
nur von Musik überhaupt und von Liszt insbesondre zu sprechen, so löst sich
in der Maschinerie seines Kopfes eine Schraube. Um meine Behauptungen zu
bekräftigen, teile ich auszugsweise eine Rede mit, mit welcher dieser Hanslick
Weimars am "Letzten des Monats Juni" 1883 in Jena den akademischen
Gesangverein erquickt hat. (Vergl. "Neue Zeitschrift für Musik" 1883, Ur. 29.)
Man höre!

Hochansehnliche Versammlung, verehrte Anwesende! Bekanntlich waren Göthe's
letzte Worte: "Licht, mehr Licht!" Ich bin zwar kein Göthe, will auch keiner


Der Lisztunfug in Weimar.

es einem Virtuosen nicht zu verargen, wenn er den Duft des Weihrauchs, den
man ihm in seiner Jugend in so verschwenderischer Menge gestreut hat, auch
im Alter nicht missen mag. Aber die Narren, die einen sterblichen Menschen
für einen Halbgott, einen Propheten erklären, die in ihrer Verehrung weder
Maß noch Ziel kennen, schonungslos zu geißeln, ist nicht nur das Recht, sondern
sogar die Pflicht jedes Vernünftigen.

Als eine harmlose Huldigung kann man es wohl betrachten, daß Liszts Pho¬
tographie in soundsoviel Läden, oft in mehreren Exemplaren, aushängt— während
der Tonkünstlervcrsammlung zählte ich in einem einzigen Schaufenster vierzehn
Stück, und eine Dame besitzt nach glaubwürdiger Aussage die sämtlichen 84 Auf¬
nahmen, die das „ewig teure und geliebte Antlitz" darstellen! Auch das mag hin¬
gehen, daß sein Bildnis zwar nicht „Pfeifenköpfe und Tassen," aber doch Arbeits¬
kästchen u. tgi. als Porzellanmedaillon ziert. Ebensowenig wird es jemand tadeln,
wenn die Orchesterschule sich bei ihrem Gönner Liszt dadurch bedankt, daß sie
seine Terrakottabüste in ihrer Aula aufstellt. Ohne Wehr und Waffen aber
steht mau dem Gesalbader der Presse gegenüber. Freilich hat sich die auch
sonst vortrefflich redigirte „Weimarische Zeitung" von dem überspannten Treiben
nicht anstecken lassen und sich ein verständiges Urteil bewahrt. Dagegen schlägt
das weit verbreitetere Kühe- und Wurstblatt „Deutschland" förmliche Purzel¬
bäume des Entzückens, sobald der geweihte Name „Liszt" erklingt. Besagtes
„Deutschland" hat zum musikalischen Berater einen Herrn Gg., dem unzweifel¬
haft unter allen Lisztschwärmern die Palme gebührt. Liszt selbst hat ihn
„legendarischen Kantor" getauft, und wahrlich es grenzt ans Märchenhafte,
was er als Kritikus leistet: seine Renzensionen, die durch ihren geschraubten
Stil, ihren frostigen Witz und die verschwenderische Anwendung von Gänse¬
füßchen beinahe wie Brechmittel wirken, gehören fast ausnahmslos unter die
Rubrik des gedruckten Unsinns. Das Volk hat denn auch an die Chiffre
A. W. G., mit der unser Freund früher zeichnete, einen sehr groben, aber über¬
aus treffenden Witz geknüpft, der offenbar dem Gekränkten kein Geheimnis ge¬
blieben ist — er begnügt sich jetzt mit dem einfachen Gg. Dabei ist dieser
merkwürdige Kauz wirtlich ein Musikkenner und auch sonst ein ganz unter¬
richteter Mann! Erst der ununterbrochene Verkehr mit Liszt hat ihm offenbar
sein schrullenhaftes Wesen nach und nach eingeimpft; jedenfalls braucht er jetzt
nur von Musik überhaupt und von Liszt insbesondre zu sprechen, so löst sich
in der Maschinerie seines Kopfes eine Schraube. Um meine Behauptungen zu
bekräftigen, teile ich auszugsweise eine Rede mit, mit welcher dieser Hanslick
Weimars am „Letzten des Monats Juni" 1883 in Jena den akademischen
Gesangverein erquickt hat. (Vergl. „Neue Zeitschrift für Musik" 1883, Ur. 29.)
Man höre!

Hochansehnliche Versammlung, verehrte Anwesende! Bekanntlich waren Göthe's
letzte Worte: „Licht, mehr Licht!" Ich bin zwar kein Göthe, will auch keiner


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/100>, abgerufen am 27.06.2024.