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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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August von Iochmns' Schriften.

1789. Wie ich jedoch in meinem Leben eine Tugendhcldin aus einer Bordell¬
erziehung habe hervorgehen sehen, so kann ich sagen, daß mich die Lehren und
das Treiben der Revolution von Jugend auf angeekelt haben. Deshalb
bin ich auch kein Kapitulare in Bezug auf Grundsätze. Es giebt drei soziale
Formen: den Konservatismus, den Liberalismus und den Radikalismus. Die
erste und die letzte Form sind positiv, die mittlere negativ. Darum weiß man,
woran man sich bei den Konservativen und den Radikalen zu halten hat, bei
dem Liberalismus aber weiß man das nicht, denn seine Theorie ist die Negation,
und seine Praxis fällt in das Vacuum. Liberale siud gewöhnlich Gemüts¬
menschen, und das sind gerade -die gefährlichsten in der Politik. Unter hundert
Leuten giebt es vielleicht nur einen oder zwei wirklich schlechte Menschen, aber
ein Dutzend solcher Gemütsmenschen; den Nest bildet ein kaum zurechnungs¬
fähiger Troß. Darin liegt die Gefahr, die sogenannte öffentliche Meinung zu
hoch in Anschlag zu bringen; denn sie existirt kaum in dauernder Form, sie ist
unfaßbar. . . . Ich habe auch Gemüt, und glauben Sie mir, ein sehr warmes
Gemüt, aber ich danke Gott, daß er mich gleichzeitig mit einem kalten Verstände
begabt hat. . . . Soziale Zustände können Veränderungen erheischen, und diese
sind sogar oft mit dem Rechte vereinbar, ja eins und dasselbe mit dem Rechte
selbst. Konzessionen der Revolution gegenüber sind aber Eingriffe in Grund¬
prinzipien, die unwandelbar sind wie mathematische Axiome. Diese Art von
Transaktionen verwerfe ich. Sie bringen der Gesellschaft keine Ruhe. Eine
Wunde ist nicht geheilt, bloß weil sie äußerlich übernarbt ist. . . . In Deutsch¬
land und Österreich kann man der äußern und innern Revolution gegenüber
jetzt mehr leisten als vor 1848, vorausgesetzt, daß der gute Wille da ist. In
der Bundesakte selbst liegen die Keime der Entwicklung in einheitlicher Richtung,
und durch den Bund als zu Recht bestehendes Organ kann man segensreich
und viel wirken, besonders auf dem Gebiete der positiven und materiellen Inter¬
essen. . . . Der deutsche Bund ist nach harter Probe wieder zur Geltung ge¬
kommen, nicht als das absolut beste, jedoch als das einzig mögliche und ent¬
wicklungsfähige in einer gegebenen Lage. Die österreichische Auffassung von
181ö hat sich als die praktische Lösung erwiesen gegenüber den andern Systemen,
welche mit Geist und Geschick von so bedeutenden Männern wie Stein, Münster,
Humboldt, Hardenberg u. s. w. ^der Rechte kam erst einige Jahre später zur
Geltung! aufgestellt wurden."

Ähnliches äußerte Metternich in einer Abendunterhaltung am 26. März 1859,
über welche Jochmus seinem Erzherzoge ebenfalls Bericht erstattete. Der Fürst
bemerkte bei dieser Gelegenheit u. a.: "Der Wiener Kongreß hat in fünf kurzen
Monaten ein dauerndes ^ System der Weltregierung festgestellt. Auf die drei
großen Schöpfungen des Kongresses sehe ich mit gewissenhafter Befriedigung,
ja mit stolzer Genugthuung Inoch 1859 !j zurück: 1. Die Kongreßakte selbst,
2. das Friedeussystem von nunmehr vierundvierzigjühriger s?j Dauer, 3. der


Grmzlwtm III. 1884. 11
August von Iochmns' Schriften.

1789. Wie ich jedoch in meinem Leben eine Tugendhcldin aus einer Bordell¬
erziehung habe hervorgehen sehen, so kann ich sagen, daß mich die Lehren und
das Treiben der Revolution von Jugend auf angeekelt haben. Deshalb
bin ich auch kein Kapitulare in Bezug auf Grundsätze. Es giebt drei soziale
Formen: den Konservatismus, den Liberalismus und den Radikalismus. Die
erste und die letzte Form sind positiv, die mittlere negativ. Darum weiß man,
woran man sich bei den Konservativen und den Radikalen zu halten hat, bei
dem Liberalismus aber weiß man das nicht, denn seine Theorie ist die Negation,
und seine Praxis fällt in das Vacuum. Liberale siud gewöhnlich Gemüts¬
menschen, und das sind gerade -die gefährlichsten in der Politik. Unter hundert
Leuten giebt es vielleicht nur einen oder zwei wirklich schlechte Menschen, aber
ein Dutzend solcher Gemütsmenschen; den Nest bildet ein kaum zurechnungs¬
fähiger Troß. Darin liegt die Gefahr, die sogenannte öffentliche Meinung zu
hoch in Anschlag zu bringen; denn sie existirt kaum in dauernder Form, sie ist
unfaßbar. . . . Ich habe auch Gemüt, und glauben Sie mir, ein sehr warmes
Gemüt, aber ich danke Gott, daß er mich gleichzeitig mit einem kalten Verstände
begabt hat. . . . Soziale Zustände können Veränderungen erheischen, und diese
sind sogar oft mit dem Rechte vereinbar, ja eins und dasselbe mit dem Rechte
selbst. Konzessionen der Revolution gegenüber sind aber Eingriffe in Grund¬
prinzipien, die unwandelbar sind wie mathematische Axiome. Diese Art von
Transaktionen verwerfe ich. Sie bringen der Gesellschaft keine Ruhe. Eine
Wunde ist nicht geheilt, bloß weil sie äußerlich übernarbt ist. . . . In Deutsch¬
land und Österreich kann man der äußern und innern Revolution gegenüber
jetzt mehr leisten als vor 1848, vorausgesetzt, daß der gute Wille da ist. In
der Bundesakte selbst liegen die Keime der Entwicklung in einheitlicher Richtung,
und durch den Bund als zu Recht bestehendes Organ kann man segensreich
und viel wirken, besonders auf dem Gebiete der positiven und materiellen Inter¬
essen. . . . Der deutsche Bund ist nach harter Probe wieder zur Geltung ge¬
kommen, nicht als das absolut beste, jedoch als das einzig mögliche und ent¬
wicklungsfähige in einer gegebenen Lage. Die österreichische Auffassung von
181ö hat sich als die praktische Lösung erwiesen gegenüber den andern Systemen,
welche mit Geist und Geschick von so bedeutenden Männern wie Stein, Münster,
Humboldt, Hardenberg u. s. w. ^der Rechte kam erst einige Jahre später zur
Geltung! aufgestellt wurden."

Ähnliches äußerte Metternich in einer Abendunterhaltung am 26. März 1859,
über welche Jochmus seinem Erzherzoge ebenfalls Bericht erstattete. Der Fürst
bemerkte bei dieser Gelegenheit u. a.: „Der Wiener Kongreß hat in fünf kurzen
Monaten ein dauerndes ^ System der Weltregierung festgestellt. Auf die drei
großen Schöpfungen des Kongresses sehe ich mit gewissenhafter Befriedigung,
ja mit stolzer Genugthuung Inoch 1859 !j zurück: 1. Die Kongreßakte selbst,
2. das Friedeussystem von nunmehr vierundvierzigjühriger s?j Dauer, 3. der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/89>, abgerufen am 27.06.2024.