Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
August von Jochmus' Schriften.

deutsche Bund. Sie sind mein Werk, und ich will sie nicht verleugnen. Der
deutsche Bund hat sich 1850 bewährt nach innen, im Jahre 1859 kann er sich
nach außen bewähren als die große ponderircnde Macht, ja als die größte Macht
Europas, die mit einer Million Bajonette für Aufrechtuug des Weltfriedens
auf der Wahlstatt erscheinen kann. . . Die Unverständigen haben beliebt, das
Metternichsche System als eine Reaktion oder als unbeweglichen Konservatismus
zu verschreien. Nichts ist leichter und oberflächlicher als diese Anschauung.
Die Stabilität der Prinzipien bedingt keineswegs den Stillstand der Formen;
die stete Verbesserung der letztern lag immer in meinen Ideen und in meiner
Regierungsweise. In diesem Sinne bin ich stets den Reformen hold gewesen,
aber nnr das langsam und naturgemäß sich Entwickelnde ist gedeihlich und dcuier-
haft. Der Hund gebraucht nur zwei Jahre zu seiner Entwicklung, das edlere
Pferd schon sechs Jahre, der noch höher begabte Mensch viernndzwnnzig. . .
Ohne die höchste Achtung vor dem Besitze und dem Rechte ist die Entfaltung
der einheitlichen Keime, die in der deutschen Bundesverfassung liegen, garnicht
denkbar. Der alte König von Baiern diskutirte einst mit mir die begrenzte
Stellung eines deutschen Bundesfürsten, aber ich überzeugte Se. Majestät von
den größern Vorteilen einer deutschen Konföderation gegenüber dem internatio¬
nalen einfachen Allianzshstcm, indem ich resümirte: Gnädigster Herr, Sie be¬
trachten sich als einen souveränen König minus den Bundesfürsten, mein
kaiserlicher Herr hingegen betrachtet sich als Kaiser von Osterreich xlus den
Bundesfürsten. Überhaupt, so fuhr Metternich fort, kenne ich nur zwei klar
verständliche Regierungsformen: Monarchie und Republik, jede an ihrem Orte.
Aber Monarchie mit republikanischen Institutionen oder Republik mit monarchi¬
schen sind unhaltbare Formen. Das .justs milisu Louis Philipps ist ein Pleo¬
nasmus. . . Ich schrieb in den dreißiger Jahren nach Paris: Nsttss vous
sur 1o miliLu et'uns e,Qg,is"z, mais no veins lustlos xg.s sur 1s rrülieu sntr"
clsux ellaisW. Wenn Sie das Werk des Herrn Guizot*) gelesen haben,
so halten Sie ihn gewiß für einen ehrlichen Mann, aber er ist ein Stock¬
doktrinär und kein Staatsmann. . . Tocqueville ist ein ehrlicher Republikaner,
den man verstehen kann. Mit solchen Leuten weiß man genau, woran man
ist. Man unterhandelt auch besser und sicherer mit ihnen als mit puren Theore¬
tikern und Phantasten."

Am 31. März 1859 hatte Jochmus eine Audienz beim Kaiser Franz Josef,
um demselben Vortrag "über die Kriegseventualitäten, wie sie England und den
deutschen Bund betreffen," zu halten. "Der Kaiser resümirte: In Deutschland
sind, dem Organismus gemäß, manche Schwierigkeiten nicht anßer Acht zu lassen,
hauptsächlich das ganz Eigentümliche in dem preußischen Armeewesen und die



*) Die ersten Bände der Nsmoirss xour sorvir Ä 1'tüswu'v av mon tsmxs sind most
gemeint.
August von Jochmus' Schriften.

deutsche Bund. Sie sind mein Werk, und ich will sie nicht verleugnen. Der
deutsche Bund hat sich 1850 bewährt nach innen, im Jahre 1859 kann er sich
nach außen bewähren als die große ponderircnde Macht, ja als die größte Macht
Europas, die mit einer Million Bajonette für Aufrechtuug des Weltfriedens
auf der Wahlstatt erscheinen kann. . . Die Unverständigen haben beliebt, das
Metternichsche System als eine Reaktion oder als unbeweglichen Konservatismus
zu verschreien. Nichts ist leichter und oberflächlicher als diese Anschauung.
Die Stabilität der Prinzipien bedingt keineswegs den Stillstand der Formen;
die stete Verbesserung der letztern lag immer in meinen Ideen und in meiner
Regierungsweise. In diesem Sinne bin ich stets den Reformen hold gewesen,
aber nnr das langsam und naturgemäß sich Entwickelnde ist gedeihlich und dcuier-
haft. Der Hund gebraucht nur zwei Jahre zu seiner Entwicklung, das edlere
Pferd schon sechs Jahre, der noch höher begabte Mensch viernndzwnnzig. . .
Ohne die höchste Achtung vor dem Besitze und dem Rechte ist die Entfaltung
der einheitlichen Keime, die in der deutschen Bundesverfassung liegen, garnicht
denkbar. Der alte König von Baiern diskutirte einst mit mir die begrenzte
Stellung eines deutschen Bundesfürsten, aber ich überzeugte Se. Majestät von
den größern Vorteilen einer deutschen Konföderation gegenüber dem internatio¬
nalen einfachen Allianzshstcm, indem ich resümirte: Gnädigster Herr, Sie be¬
trachten sich als einen souveränen König minus den Bundesfürsten, mein
kaiserlicher Herr hingegen betrachtet sich als Kaiser von Osterreich xlus den
Bundesfürsten. Überhaupt, so fuhr Metternich fort, kenne ich nur zwei klar
verständliche Regierungsformen: Monarchie und Republik, jede an ihrem Orte.
Aber Monarchie mit republikanischen Institutionen oder Republik mit monarchi¬
schen sind unhaltbare Formen. Das .justs milisu Louis Philipps ist ein Pleo¬
nasmus. . . Ich schrieb in den dreißiger Jahren nach Paris: Nsttss vous
sur 1o miliLu et'uns e,Qg,is«z, mais no veins lustlos xg.s sur 1s rrülieu sntr«
clsux ellaisW. Wenn Sie das Werk des Herrn Guizot*) gelesen haben,
so halten Sie ihn gewiß für einen ehrlichen Mann, aber er ist ein Stock¬
doktrinär und kein Staatsmann. . . Tocqueville ist ein ehrlicher Republikaner,
den man verstehen kann. Mit solchen Leuten weiß man genau, woran man
ist. Man unterhandelt auch besser und sicherer mit ihnen als mit puren Theore¬
tikern und Phantasten."

Am 31. März 1859 hatte Jochmus eine Audienz beim Kaiser Franz Josef,
um demselben Vortrag „über die Kriegseventualitäten, wie sie England und den
deutschen Bund betreffen," zu halten. „Der Kaiser resümirte: In Deutschland
sind, dem Organismus gemäß, manche Schwierigkeiten nicht anßer Acht zu lassen,
hauptsächlich das ganz Eigentümliche in dem preußischen Armeewesen und die



*) Die ersten Bände der Nsmoirss xour sorvir Ä 1'tüswu'v av mon tsmxs sind most
gemeint.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0090" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/156361"/>
          <fw type="header" place="top"> August von Jochmus' Schriften.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_281" prev="#ID_280"> deutsche Bund. Sie sind mein Werk, und ich will sie nicht verleugnen. Der<lb/>
deutsche Bund hat sich 1850 bewährt nach innen, im Jahre 1859 kann er sich<lb/>
nach außen bewähren als die große ponderircnde Macht, ja als die größte Macht<lb/>
Europas, die mit einer Million Bajonette für Aufrechtuug des Weltfriedens<lb/>
auf der Wahlstatt erscheinen kann. . . Die Unverständigen haben beliebt, das<lb/>
Metternichsche System als eine Reaktion oder als unbeweglichen Konservatismus<lb/>
zu verschreien. Nichts ist leichter und oberflächlicher als diese Anschauung.<lb/>
Die Stabilität der Prinzipien bedingt keineswegs den Stillstand der Formen;<lb/>
die stete Verbesserung der letztern lag immer in meinen Ideen und in meiner<lb/>
Regierungsweise. In diesem Sinne bin ich stets den Reformen hold gewesen,<lb/>
aber nnr das langsam und naturgemäß sich Entwickelnde ist gedeihlich und dcuier-<lb/>
haft. Der Hund gebraucht nur zwei Jahre zu seiner Entwicklung, das edlere<lb/>
Pferd schon sechs Jahre, der noch höher begabte Mensch viernndzwnnzig. . .<lb/>
Ohne die höchste Achtung vor dem Besitze und dem Rechte ist die Entfaltung<lb/>
der einheitlichen Keime, die in der deutschen Bundesverfassung liegen, garnicht<lb/>
denkbar. Der alte König von Baiern diskutirte einst mit mir die begrenzte<lb/>
Stellung eines deutschen Bundesfürsten, aber ich überzeugte Se. Majestät von<lb/>
den größern Vorteilen einer deutschen Konföderation gegenüber dem internatio¬<lb/>
nalen einfachen Allianzshstcm, indem ich resümirte: Gnädigster Herr, Sie be¬<lb/>
trachten sich als einen souveränen König minus den Bundesfürsten, mein<lb/>
kaiserlicher Herr hingegen betrachtet sich als Kaiser von Osterreich xlus den<lb/>
Bundesfürsten. Überhaupt, so fuhr Metternich fort, kenne ich nur zwei klar<lb/>
verständliche Regierungsformen: Monarchie und Republik, jede an ihrem Orte.<lb/>
Aber Monarchie mit republikanischen Institutionen oder Republik mit monarchi¬<lb/>
schen sind unhaltbare Formen. Das .justs milisu Louis Philipps ist ein Pleo¬<lb/>
nasmus. . . Ich schrieb in den dreißiger Jahren nach Paris: Nsttss vous<lb/>
sur 1o miliLu et'uns e,Qg,is«z, mais no veins lustlos xg.s sur 1s rrülieu sntr«<lb/>
clsux ellaisW. Wenn Sie das Werk des Herrn Guizot*) gelesen haben,<lb/>
so halten Sie ihn gewiß für einen ehrlichen Mann, aber er ist ein Stock¬<lb/>
doktrinär und kein Staatsmann. . . Tocqueville ist ein ehrlicher Republikaner,<lb/>
den man verstehen kann. Mit solchen Leuten weiß man genau, woran man<lb/>
ist. Man unterhandelt auch besser und sicherer mit ihnen als mit puren Theore¬<lb/>
tikern und Phantasten."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_282" next="#ID_283"> Am 31. März 1859 hatte Jochmus eine Audienz beim Kaiser Franz Josef,<lb/>
um demselben Vortrag &#x201E;über die Kriegseventualitäten, wie sie England und den<lb/>
deutschen Bund betreffen," zu halten. &#x201E;Der Kaiser resümirte: In Deutschland<lb/>
sind, dem Organismus gemäß, manche Schwierigkeiten nicht anßer Acht zu lassen,<lb/>
hauptsächlich das ganz Eigentümliche in dem preußischen Armeewesen und die</p><lb/>
          <note xml:id="FID_6" place="foot"> *) Die ersten Bände der Nsmoirss xour sorvir Ä 1'tüswu'v av mon tsmxs sind most<lb/>
gemeint.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0090] August von Jochmus' Schriften. deutsche Bund. Sie sind mein Werk, und ich will sie nicht verleugnen. Der deutsche Bund hat sich 1850 bewährt nach innen, im Jahre 1859 kann er sich nach außen bewähren als die große ponderircnde Macht, ja als die größte Macht Europas, die mit einer Million Bajonette für Aufrechtuug des Weltfriedens auf der Wahlstatt erscheinen kann. . . Die Unverständigen haben beliebt, das Metternichsche System als eine Reaktion oder als unbeweglichen Konservatismus zu verschreien. Nichts ist leichter und oberflächlicher als diese Anschauung. Die Stabilität der Prinzipien bedingt keineswegs den Stillstand der Formen; die stete Verbesserung der letztern lag immer in meinen Ideen und in meiner Regierungsweise. In diesem Sinne bin ich stets den Reformen hold gewesen, aber nnr das langsam und naturgemäß sich Entwickelnde ist gedeihlich und dcuier- haft. Der Hund gebraucht nur zwei Jahre zu seiner Entwicklung, das edlere Pferd schon sechs Jahre, der noch höher begabte Mensch viernndzwnnzig. . . Ohne die höchste Achtung vor dem Besitze und dem Rechte ist die Entfaltung der einheitlichen Keime, die in der deutschen Bundesverfassung liegen, garnicht denkbar. Der alte König von Baiern diskutirte einst mit mir die begrenzte Stellung eines deutschen Bundesfürsten, aber ich überzeugte Se. Majestät von den größern Vorteilen einer deutschen Konföderation gegenüber dem internatio¬ nalen einfachen Allianzshstcm, indem ich resümirte: Gnädigster Herr, Sie be¬ trachten sich als einen souveränen König minus den Bundesfürsten, mein kaiserlicher Herr hingegen betrachtet sich als Kaiser von Osterreich xlus den Bundesfürsten. Überhaupt, so fuhr Metternich fort, kenne ich nur zwei klar verständliche Regierungsformen: Monarchie und Republik, jede an ihrem Orte. Aber Monarchie mit republikanischen Institutionen oder Republik mit monarchi¬ schen sind unhaltbare Formen. Das .justs milisu Louis Philipps ist ein Pleo¬ nasmus. . . Ich schrieb in den dreißiger Jahren nach Paris: Nsttss vous sur 1o miliLu et'uns e,Qg,is«z, mais no veins lustlos xg.s sur 1s rrülieu sntr« clsux ellaisW. Wenn Sie das Werk des Herrn Guizot*) gelesen haben, so halten Sie ihn gewiß für einen ehrlichen Mann, aber er ist ein Stock¬ doktrinär und kein Staatsmann. . . Tocqueville ist ein ehrlicher Republikaner, den man verstehen kann. Mit solchen Leuten weiß man genau, woran man ist. Man unterhandelt auch besser und sicherer mit ihnen als mit puren Theore¬ tikern und Phantasten." Am 31. März 1859 hatte Jochmus eine Audienz beim Kaiser Franz Josef, um demselben Vortrag „über die Kriegseventualitäten, wie sie England und den deutschen Bund betreffen," zu halten. „Der Kaiser resümirte: In Deutschland sind, dem Organismus gemäß, manche Schwierigkeiten nicht anßer Acht zu lassen, hauptsächlich das ganz Eigentümliche in dem preußischen Armeewesen und die *) Die ersten Bände der Nsmoirss xour sorvir Ä 1'tüswu'v av mon tsmxs sind most gemeint.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/90
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/90>, abgerufen am 27.06.2024.