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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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August von Iochmus' Schriften.

namentlich bei dem jüngern Geschlechte nur geringer Kenntnis und Teilnahme
in betreff dieser Periode unsrer nationalen Geschichte begegnen. Und doch be¬
ruht unsre politische Gegenwart wenigstens zum Teil auf derselben mit ihren
Gedanken, ihren Kämpfen und ihrer Arbeit, genau so wie diese wieder auf die
Erhebung der Freiheitskriege zurückweisen.

Diese Wahrnehmung drängte sich uns wieder einmal recht deutlich auf,
als wir die soeben erschienenen Gesammelten Schriften des verstorbenen
Freiherrn von Jochmus*) zur Hand nahmen. Wer kennt ihn noch, der doch
einst deutscher Neichsminister und auch sonst ein bedeutender Mann war, ja wer
denkt noch viel an den Reichsverweser, den Erzherzog Johann, dem er als einer
einer letzten Räte zur Seite stand? Sie und ihre Mitarbeiter und Gegner
in der Paulskirche haben mancherlei gewollt, gesprochen, versucht und angeregt,
aber wenig Bleibendes geschaffen, und nur mit Schöpfungen und Thaten setzt
man sich Denksteine in der Geschichte. Damit ist aber nicht gesagt, daß sie
völlig vergessen zu werden verdienen. Der Geschichtschreiber wird, aus neuen
Quellen über sie schöpfend, ihre Zeit gründlicher beurteilen, und der Politiker
wird klarer sehen, wie es nicht gemacht werden durfte und jetzt so wie in Zu¬
kunft nicht gemacht werden darf.

Jochmus, ein Hamburger und 1808 geboren, machte zunächst als Phil¬
hellene einen Teil des Befreiungskampfes der Griechen mit und war dann bis
1835 Hauptmann im griechischen Generalstabe. Später diente er in der cmglo-
spanischen Legion im Kriege gegen die Karlisten, wo er allmählich zum Bri¬
gadier und Generalstabschef ausrückte. 1838 nach London zurückgekehrt, begab
er sich im Auftrage Palmerstons nach Konstantinopel, um mit dem dortigen
britischen Gesandten Lord Ponsonby einen Plan zur Vertreibung Ibrahim
Paschas und seiner Ägypter aus Syrien zu entwerfen, wohin er nach Unter¬
zeichnung der Quadrupelallianz vom Juli 1840 abging, um als Chef des Ge-
neralstabes des kombinirten englisch-österreichisch-türkischen Heeres im Libanon
thätig zu sein. Nachdem er zuerst bei den Operationen bei Beirut, dann bei
der Einnahme von Se. Jean d'Acre mitgewirkt, trat er als Divisionsgeneral
und Pascha von zwei Roßschweifen an die Spitze jenes Heeres, in welcher
Stellung er die Ägypter zu einem verhängnisvollen Rückzüge von Damaskus
durch die Wüste zwang und den Feldzug Mitte Februar 1840 mit deren gänz¬
licher Verdrängung aus Syrien für die verbündeten Mächte glücklich beendigte.
Von 1841 bis 1848 war er dem Kriegsministerium in Konstantinopel zugeteilt.
Im April des letztgenannten Jahres kehrte Jvchmus nach Deutschland zurück.
Beim Ausbruche der Krisis, welche im Mai 1849 durch die Auflösung des
Ministeriums Gagern entstand, ernannte ihn der Reichsverweser zum Minister



August von Jochmus' Gesammelte Schriften. Herausgegeben von Dr. Georg
Martin Thomas. 4 Bände. Berlin, A. Cohn, 1333 und 1884.
August von Iochmus' Schriften.

namentlich bei dem jüngern Geschlechte nur geringer Kenntnis und Teilnahme
in betreff dieser Periode unsrer nationalen Geschichte begegnen. Und doch be¬
ruht unsre politische Gegenwart wenigstens zum Teil auf derselben mit ihren
Gedanken, ihren Kämpfen und ihrer Arbeit, genau so wie diese wieder auf die
Erhebung der Freiheitskriege zurückweisen.

Diese Wahrnehmung drängte sich uns wieder einmal recht deutlich auf,
als wir die soeben erschienenen Gesammelten Schriften des verstorbenen
Freiherrn von Jochmus*) zur Hand nahmen. Wer kennt ihn noch, der doch
einst deutscher Neichsminister und auch sonst ein bedeutender Mann war, ja wer
denkt noch viel an den Reichsverweser, den Erzherzog Johann, dem er als einer
einer letzten Räte zur Seite stand? Sie und ihre Mitarbeiter und Gegner
in der Paulskirche haben mancherlei gewollt, gesprochen, versucht und angeregt,
aber wenig Bleibendes geschaffen, und nur mit Schöpfungen und Thaten setzt
man sich Denksteine in der Geschichte. Damit ist aber nicht gesagt, daß sie
völlig vergessen zu werden verdienen. Der Geschichtschreiber wird, aus neuen
Quellen über sie schöpfend, ihre Zeit gründlicher beurteilen, und der Politiker
wird klarer sehen, wie es nicht gemacht werden durfte und jetzt so wie in Zu¬
kunft nicht gemacht werden darf.

Jochmus, ein Hamburger und 1808 geboren, machte zunächst als Phil¬
hellene einen Teil des Befreiungskampfes der Griechen mit und war dann bis
1835 Hauptmann im griechischen Generalstabe. Später diente er in der cmglo-
spanischen Legion im Kriege gegen die Karlisten, wo er allmählich zum Bri¬
gadier und Generalstabschef ausrückte. 1838 nach London zurückgekehrt, begab
er sich im Auftrage Palmerstons nach Konstantinopel, um mit dem dortigen
britischen Gesandten Lord Ponsonby einen Plan zur Vertreibung Ibrahim
Paschas und seiner Ägypter aus Syrien zu entwerfen, wohin er nach Unter¬
zeichnung der Quadrupelallianz vom Juli 1840 abging, um als Chef des Ge-
neralstabes des kombinirten englisch-österreichisch-türkischen Heeres im Libanon
thätig zu sein. Nachdem er zuerst bei den Operationen bei Beirut, dann bei
der Einnahme von Se. Jean d'Acre mitgewirkt, trat er als Divisionsgeneral
und Pascha von zwei Roßschweifen an die Spitze jenes Heeres, in welcher
Stellung er die Ägypter zu einem verhängnisvollen Rückzüge von Damaskus
durch die Wüste zwang und den Feldzug Mitte Februar 1840 mit deren gänz¬
licher Verdrängung aus Syrien für die verbündeten Mächte glücklich beendigte.
Von 1841 bis 1848 war er dem Kriegsministerium in Konstantinopel zugeteilt.
Im April des letztgenannten Jahres kehrte Jvchmus nach Deutschland zurück.
Beim Ausbruche der Krisis, welche im Mai 1849 durch die Auflösung des
Ministeriums Gagern entstand, ernannte ihn der Reichsverweser zum Minister



August von Jochmus' Gesammelte Schriften. Herausgegeben von Dr. Georg
Martin Thomas. 4 Bände. Berlin, A. Cohn, 1333 und 1884.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/80>, abgerufen am 27.06.2024.