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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Lügen Richter und seine Leute.

Berlin zur Weltstadt gemacht hat, und Mommsen, welcher mit seinen Injurien
niemand hat treffen wollen, an uns haben vorübergehen lassen, so hiuterlüßt
diese Schau allerdings einen recht niederschlagenden Eindruck. Diese von
Wiermann fast ausschließlich durch ihre eignen Aussprüche charakterisirten
Männer sind die Führer einer großen Partei in dem Parlamente dös deut¬
schen Reiches, dreizehn Jahre nach dessen Wiederaufrichtung! Aber eben
diese Betrachtung hat auch wieder etwas beruhigendes. Sie sind die Re¬
präsentanten einer absterbenden Generation. Sie sind noch in einer Zeit auf¬
gewachsen, in welcher das dnrch die Fremdherrschaft und die Befreiungskriege
erstarkte Nationalbewußtsein längst erschlafft war, der Glaube sich eingenistet
hatte, die Größe und Macht Englands und Frankreichs sei auf die Reden im
Unterhause und in der Deputirtenkammer begründet, aus denen man sich po¬
litische Bildung anzueignen suchte. Jetzt ist das Reich geschaffen, diejenigen,
welche es, ohne Reden, machten, haben ihre Schuldigkeit gethan, nun beginnt
die Zeit der Redner. Sollte wiederum eine Zeit der Not kommen, so wird
man sich gern der Staatsmänner und der Soldaten erinnern, aber vorläufig
haben die nichts dareinzureden. Der Zweck der Gründung des deutschen Reiches
ist die Möglichkeit eines deutschen Parlaments, dessen Existenz allein schon
dem Volke Größe, Freiheit, Wohlfahrt gewährleistet, und daher ist, wer dies
uicht ungestört schalten und walten lassen will, ein Feind des Vaterlandes, der
aufs äußerste bekämpft werden muß. Daß ein Reich, eine Großmacht noch
andre Existenzbedingungen habe, geht diesen Überresten der ruhmlosen Ver¬
gangenheit nicht ein. Läßt sich etwas armseligeres denken, als die Behandlung
der Samoa- und der Postdampferfrage? Meint man nicht einen jener ver¬
schollenen Weisen zu hören, welche einst genau berechneten, daß Eisenbahnen
sich nie rentiren könnten und nur dazu dienen würden, das ehrsame Gewerbe
der Frachtfuhrleute zu ruiniren, oder den aus Chrestomathien erinnerlichen
Scholcistikos, der nicht baden wollte, bevor er schwimmen gelernt habe? Und
nachdem der Reichskanzler sich herabgelassen hat, Herrn Bamberger zu belehren,
daß man solche Dinge nicht nach Kleinkrämerart vorausberechnen und den
Gewinn auf Heller und Pfennig garantiren könne, sondern Glauben an die
Sache haben müsse, darf Herr Richter es wieder einmal wagen, dem Kanzler
die Worte im Munde zu verdrehen, vom Glauben an den Kanzler zu sprechen!
Denn so beschränkt ist ja der Mann nicht, um seinen Schluß für logisch zu
halten; für wie beschränkt muß er daher die Volksvertretung halten, auf welche
er mit dergleichen Taschenspielerkünsten Eindruck zu machen hofft! Ein
Staat, welchem von der ganzen Welt die Führung zuerkannt wird, und
das Parlament martlet um ein paar Millionen Mark für eine Verbindung
mit andern Weltteilen! Und das thun dieselben Leute, welche stets die
Sache des Handels zu verfechten vorgeben. Freilich sind sie nicht die Enkel
jener deutschen Kaufleute, welche dereinst ihre Flagge zur herrschenden auf


Lügen Richter und seine Leute.

Berlin zur Weltstadt gemacht hat, und Mommsen, welcher mit seinen Injurien
niemand hat treffen wollen, an uns haben vorübergehen lassen, so hiuterlüßt
diese Schau allerdings einen recht niederschlagenden Eindruck. Diese von
Wiermann fast ausschließlich durch ihre eignen Aussprüche charakterisirten
Männer sind die Führer einer großen Partei in dem Parlamente dös deut¬
schen Reiches, dreizehn Jahre nach dessen Wiederaufrichtung! Aber eben
diese Betrachtung hat auch wieder etwas beruhigendes. Sie sind die Re¬
präsentanten einer absterbenden Generation. Sie sind noch in einer Zeit auf¬
gewachsen, in welcher das dnrch die Fremdherrschaft und die Befreiungskriege
erstarkte Nationalbewußtsein längst erschlafft war, der Glaube sich eingenistet
hatte, die Größe und Macht Englands und Frankreichs sei auf die Reden im
Unterhause und in der Deputirtenkammer begründet, aus denen man sich po¬
litische Bildung anzueignen suchte. Jetzt ist das Reich geschaffen, diejenigen,
welche es, ohne Reden, machten, haben ihre Schuldigkeit gethan, nun beginnt
die Zeit der Redner. Sollte wiederum eine Zeit der Not kommen, so wird
man sich gern der Staatsmänner und der Soldaten erinnern, aber vorläufig
haben die nichts dareinzureden. Der Zweck der Gründung des deutschen Reiches
ist die Möglichkeit eines deutschen Parlaments, dessen Existenz allein schon
dem Volke Größe, Freiheit, Wohlfahrt gewährleistet, und daher ist, wer dies
uicht ungestört schalten und walten lassen will, ein Feind des Vaterlandes, der
aufs äußerste bekämpft werden muß. Daß ein Reich, eine Großmacht noch
andre Existenzbedingungen habe, geht diesen Überresten der ruhmlosen Ver¬
gangenheit nicht ein. Läßt sich etwas armseligeres denken, als die Behandlung
der Samoa- und der Postdampferfrage? Meint man nicht einen jener ver¬
schollenen Weisen zu hören, welche einst genau berechneten, daß Eisenbahnen
sich nie rentiren könnten und nur dazu dienen würden, das ehrsame Gewerbe
der Frachtfuhrleute zu ruiniren, oder den aus Chrestomathien erinnerlichen
Scholcistikos, der nicht baden wollte, bevor er schwimmen gelernt habe? Und
nachdem der Reichskanzler sich herabgelassen hat, Herrn Bamberger zu belehren,
daß man solche Dinge nicht nach Kleinkrämerart vorausberechnen und den
Gewinn auf Heller und Pfennig garantiren könne, sondern Glauben an die
Sache haben müsse, darf Herr Richter es wieder einmal wagen, dem Kanzler
die Worte im Munde zu verdrehen, vom Glauben an den Kanzler zu sprechen!
Denn so beschränkt ist ja der Mann nicht, um seinen Schluß für logisch zu
halten; für wie beschränkt muß er daher die Volksvertretung halten, auf welche
er mit dergleichen Taschenspielerkünsten Eindruck zu machen hofft! Ein
Staat, welchem von der ganzen Welt die Führung zuerkannt wird, und
das Parlament martlet um ein paar Millionen Mark für eine Verbindung
mit andern Weltteilen! Und das thun dieselben Leute, welche stets die
Sache des Handels zu verfechten vorgeben. Freilich sind sie nicht die Enkel
jener deutschen Kaufleute, welche dereinst ihre Flagge zur herrschenden auf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/68>, abgerufen am 27.06.2024.