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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Gugen Richter und seine Leute.

kann kein Zweifel ".bwalten, der Lepidus verbleibt jedenfalls Herrn Hänel, dem
Abbilde jener hoffnungsvollen, vielversprechenden Jünglinge, von welchen man
so lange etwas erwartet, bis sie alt geworden find und nichts geleistet haben.
Sein politischer Horizont geht nicht über die Fraktion hinaus, und die viel,
zu viel besprochene Krisis in der Fortschrittspartei dürfte auch seinen Anhang
aufgeklärt haben: zu schwach, um den Rivalen zu stürzen, zu schwächlich, um
sich von ihm loszusagen, spielt er nur noch die Rolle des Geduldeten.

"Aber er ist doch ein ausgezeichneter Patholog," sagte jemand schließlich,
der sich verzweifelte Mühe gegeben hatte, Virchow als Abgeordneten und Stadt¬
verordneten reinzuwaschen. Ja, wollte er sich mit diesem unbestrittenen Ruhme
nnr begnügen, seine Schcidelmessnngen und seine archäologischen Entdeckungen
könnte man mit hingehen lassen. Aber daß ihm nach einer solchen Kette glän¬
zender Niederlagen die Politik noch nicht verleidet ist, macht ihn zu einem
Musterexemplar jener Gattung von Menschen, welche am liebsten das thun, was
sie nicht können. Wiermann hält ihm unerbittlich seine Leistungen in der hohen
Politik vor. Köstlich ist die Schilderung der Berliner Volksversammlung im
November 1869, welche den im Reichstage verunglückten, so zeitgemäßen Antrag
Virchows auf Abrüstung retten sollte, aber sich nicht einmal über die Wahl
eines Vorsitzenden zu einigen vermochte. Dergleichen Reminiscenzen sind natürlich
sehr uncingcnchm, umso dankenswerter die Mühe, so charakteristische Episoden
nicht mit den Tagesblättern in Vergessenheit geraten zu lassen!

Bei den Herren von Forckenbcck und von Stauffenbcrg hat der Verfasser einen
Umstand übersehen, welcher ihre Bundesgenossenschaft den Politikern vom Schlage
Richters besonders schätzbar macht. Wohl wird berührt, daß Freiherr von Stauffen¬
bcrg dazu dienen mußte, die neue Firma präsentabel zu machen, denn er gilt
für einen Mann von den feinsten Formen und vielseitiger Bildung. Aber man
darf bezweifeln, daß Herr Richter gerade auf diese Eigenschaften besondern Wert
lege. Hingegen fühlen sich unsre Demokraten stets äußerst glücklich, wenn sie
einen "Herrn von" in ihren Reihen ausweisen können -- und nun gar einen
echten Reichsfreiherrn, welcher sein Geschlecht angeblich dnrch neun Jahrhunderte
zurückverfolgen kann und einen Namen führt, welcher jedem Ritterstück Ehre
machen würde: Schenk von Stauffenberg! Ganz so schön lautet der Name des
Herrn Oberbürgermeisters von Berlin freilich nicht, aber den Blättern seiner
Partei gefällt derselbe doch ausnehmend, da sie ihn in der Regel mit Weg-
lassung aller Titel und Würden zitiren; Max von Forckcnbeck muß für sie einen
Klang haben etwa wie Götz von Berlichingen für die aufständischen Bauern,
und die betreffenden Verträge mögen auch manches ähnliche haben. An einem
Metzler, welcher dem Gentleman einen "Fürstendiener" an den Kopf würfe,
würde es im entscheidenden Moment nicht fehlen.

Wenn wir nun noch die Herren Bamberger, den Anwalt der Krämer¬
politik, Löwe, den muntern verabschiedeten Sozialdemokraten, welcher das Dorf


Gugen Richter und seine Leute.

kann kein Zweifel ».bwalten, der Lepidus verbleibt jedenfalls Herrn Hänel, dem
Abbilde jener hoffnungsvollen, vielversprechenden Jünglinge, von welchen man
so lange etwas erwartet, bis sie alt geworden find und nichts geleistet haben.
Sein politischer Horizont geht nicht über die Fraktion hinaus, und die viel,
zu viel besprochene Krisis in der Fortschrittspartei dürfte auch seinen Anhang
aufgeklärt haben: zu schwach, um den Rivalen zu stürzen, zu schwächlich, um
sich von ihm loszusagen, spielt er nur noch die Rolle des Geduldeten.

„Aber er ist doch ein ausgezeichneter Patholog," sagte jemand schließlich,
der sich verzweifelte Mühe gegeben hatte, Virchow als Abgeordneten und Stadt¬
verordneten reinzuwaschen. Ja, wollte er sich mit diesem unbestrittenen Ruhme
nnr begnügen, seine Schcidelmessnngen und seine archäologischen Entdeckungen
könnte man mit hingehen lassen. Aber daß ihm nach einer solchen Kette glän¬
zender Niederlagen die Politik noch nicht verleidet ist, macht ihn zu einem
Musterexemplar jener Gattung von Menschen, welche am liebsten das thun, was
sie nicht können. Wiermann hält ihm unerbittlich seine Leistungen in der hohen
Politik vor. Köstlich ist die Schilderung der Berliner Volksversammlung im
November 1869, welche den im Reichstage verunglückten, so zeitgemäßen Antrag
Virchows auf Abrüstung retten sollte, aber sich nicht einmal über die Wahl
eines Vorsitzenden zu einigen vermochte. Dergleichen Reminiscenzen sind natürlich
sehr uncingcnchm, umso dankenswerter die Mühe, so charakteristische Episoden
nicht mit den Tagesblättern in Vergessenheit geraten zu lassen!

Bei den Herren von Forckenbcck und von Stauffenbcrg hat der Verfasser einen
Umstand übersehen, welcher ihre Bundesgenossenschaft den Politikern vom Schlage
Richters besonders schätzbar macht. Wohl wird berührt, daß Freiherr von Stauffen¬
bcrg dazu dienen mußte, die neue Firma präsentabel zu machen, denn er gilt
für einen Mann von den feinsten Formen und vielseitiger Bildung. Aber man
darf bezweifeln, daß Herr Richter gerade auf diese Eigenschaften besondern Wert
lege. Hingegen fühlen sich unsre Demokraten stets äußerst glücklich, wenn sie
einen „Herrn von" in ihren Reihen ausweisen können — und nun gar einen
echten Reichsfreiherrn, welcher sein Geschlecht angeblich dnrch neun Jahrhunderte
zurückverfolgen kann und einen Namen führt, welcher jedem Ritterstück Ehre
machen würde: Schenk von Stauffenberg! Ganz so schön lautet der Name des
Herrn Oberbürgermeisters von Berlin freilich nicht, aber den Blättern seiner
Partei gefällt derselbe doch ausnehmend, da sie ihn in der Regel mit Weg-
lassung aller Titel und Würden zitiren; Max von Forckcnbeck muß für sie einen
Klang haben etwa wie Götz von Berlichingen für die aufständischen Bauern,
und die betreffenden Verträge mögen auch manches ähnliche haben. An einem
Metzler, welcher dem Gentleman einen „Fürstendiener" an den Kopf würfe,
würde es im entscheidenden Moment nicht fehlen.

Wenn wir nun noch die Herren Bamberger, den Anwalt der Krämer¬
politik, Löwe, den muntern verabschiedeten Sozialdemokraten, welcher das Dorf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/67>, abgerufen am 27.06.2024.