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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die große Kunstausstellung in Berlin,

Leidens hineingelegt und dadurch allerdings in das phantastisch-märchenhafte Ge¬
präge seiner Komposition ein disharmonirendcs Element eingeführt. Indessen
kann er sich dabei auf das Beispiel der alten umbrischen Schule und ihres be¬
rühmtesten Sprößlings, auf Raffael, berufen, dessen Christusknaben, auch wenn
sie noch von den Armen der Mutter getragen werden, bereits das Gepräge
eines sinnigen, weit über die dargestellte Altersstufe hinausreichenden Ernstes
zeigen. Der Aufzug der Könige und ihrer Begleiter bringt die festliche Pracht
eines Paul Veronese in Erinnerung, während uns die ausdrucksvollen Köpfe
in ihrer großartigen, typischen Auffassung die geniale Kraft eines Rubens ins
Gedächtnis rufen. Im Hintergrunde wird der von Sternen erhellte Nachthimmel
sichtbar. Man bemerkt außerdem noch einige Gestalten, die zu einem besonders
hell leuchtenden Sterne emporblicken, demselben, der die Könige aus Morgenland
nach Bethlehem geführt hat. Es ist schwer, gerade dieser Szene aus der heiligen
Geschichte, an welcher die größten Koloristen der Vergangenheit ihre Kräfte er¬
probt haben, eine neue Seite abzugewinnen, wenn sich der Künstler nicht etwa
der Manier Eduard von Gebhardts oder der grobmaterialistischen Auffassung
der modernen Franzosen anschließen will. Wir haben in Schröters Arbeit,
wenn man sie nur auf ihre formale Seite hin betrachtet, allerdings nur das
Produkt eines geschickten Eklektizismus vor uns. Aber durch die verschiedenen
Formenelemcnte geht doch ein einheitlicher Zug schwungvoller Begeisterung.
Man empfindet, daß der Künstler nicht bloß dnrch einen reichen Aufwand
äußerlicher Mittel blenden wollte, sondern daß er auch mit dem Herzen dabei
gewesen ist und den Moment in seiner Art ganz durchempfunden hat. In einer
Zeit, wo man große Historien so wenig als möglich und biblische Historien am
allerwenigsten malt, verdient ein solches Wagnis doppelte Anerkennung und Auf¬
munterung. Aber die Vertreter derjenigen kraß-realistischen, man möchte fast
sagen banausischen Richtung, welche gegenwärtig in Berlin das große Wort
sichren, gehen achselzuckend an dieser ernsten Schöpfung vorüber und fragen
einander mit vielsagendem Fingerhinweis auf die Stirn: "Wie eener soweit
malen kaun!"

Einen noch schwierigern Stand haben zwei Künstler, Otto Heyden in Berlin
und Georg Cornicelius in Harem, mit einer Darstellung des Abendmahls ge¬
habt. Jener hat den Moment der Einsetzung desselben, dieser den Augenblick
gewählt, wo Judas zur Thür hinansschleichen will, um sein schwarzes Werk
auszuführen. Beide sind also vorsichtig dem Vergleich mit Leonardo da Vinci
aus dem Wege gegangen, dessen Fresko bekanntlich die Bewegung schildert,
welche unter den Jüngern bei den Worten des Heilands: "Einer unter Euch
wird mich verraten!" ausgebrochen ist. Heydens Bild ist nur der in kleinem
Maßstabe gehaltene Entwurf zu einem in der Dankeskirche in Berlin ausgeführten
Wandgemälde. In der Bildung der Gruppen, die immer je drei Figuren um¬
fassen, hat sich Heyden an Leonardo angeschlossen. Mit vollem Rechte, da dieses


Die große Kunstausstellung in Berlin,

Leidens hineingelegt und dadurch allerdings in das phantastisch-märchenhafte Ge¬
präge seiner Komposition ein disharmonirendcs Element eingeführt. Indessen
kann er sich dabei auf das Beispiel der alten umbrischen Schule und ihres be¬
rühmtesten Sprößlings, auf Raffael, berufen, dessen Christusknaben, auch wenn
sie noch von den Armen der Mutter getragen werden, bereits das Gepräge
eines sinnigen, weit über die dargestellte Altersstufe hinausreichenden Ernstes
zeigen. Der Aufzug der Könige und ihrer Begleiter bringt die festliche Pracht
eines Paul Veronese in Erinnerung, während uns die ausdrucksvollen Köpfe
in ihrer großartigen, typischen Auffassung die geniale Kraft eines Rubens ins
Gedächtnis rufen. Im Hintergrunde wird der von Sternen erhellte Nachthimmel
sichtbar. Man bemerkt außerdem noch einige Gestalten, die zu einem besonders
hell leuchtenden Sterne emporblicken, demselben, der die Könige aus Morgenland
nach Bethlehem geführt hat. Es ist schwer, gerade dieser Szene aus der heiligen
Geschichte, an welcher die größten Koloristen der Vergangenheit ihre Kräfte er¬
probt haben, eine neue Seite abzugewinnen, wenn sich der Künstler nicht etwa
der Manier Eduard von Gebhardts oder der grobmaterialistischen Auffassung
der modernen Franzosen anschließen will. Wir haben in Schröters Arbeit,
wenn man sie nur auf ihre formale Seite hin betrachtet, allerdings nur das
Produkt eines geschickten Eklektizismus vor uns. Aber durch die verschiedenen
Formenelemcnte geht doch ein einheitlicher Zug schwungvoller Begeisterung.
Man empfindet, daß der Künstler nicht bloß dnrch einen reichen Aufwand
äußerlicher Mittel blenden wollte, sondern daß er auch mit dem Herzen dabei
gewesen ist und den Moment in seiner Art ganz durchempfunden hat. In einer
Zeit, wo man große Historien so wenig als möglich und biblische Historien am
allerwenigsten malt, verdient ein solches Wagnis doppelte Anerkennung und Auf¬
munterung. Aber die Vertreter derjenigen kraß-realistischen, man möchte fast
sagen banausischen Richtung, welche gegenwärtig in Berlin das große Wort
sichren, gehen achselzuckend an dieser ernsten Schöpfung vorüber und fragen
einander mit vielsagendem Fingerhinweis auf die Stirn: „Wie eener soweit
malen kaun!"

Einen noch schwierigern Stand haben zwei Künstler, Otto Heyden in Berlin
und Georg Cornicelius in Harem, mit einer Darstellung des Abendmahls ge¬
habt. Jener hat den Moment der Einsetzung desselben, dieser den Augenblick
gewählt, wo Judas zur Thür hinansschleichen will, um sein schwarzes Werk
auszuführen. Beide sind also vorsichtig dem Vergleich mit Leonardo da Vinci
aus dem Wege gegangen, dessen Fresko bekanntlich die Bewegung schildert,
welche unter den Jüngern bei den Worten des Heilands: „Einer unter Euch
wird mich verraten!" ausgebrochen ist. Heydens Bild ist nur der in kleinem
Maßstabe gehaltene Entwurf zu einem in der Dankeskirche in Berlin ausgeführten
Wandgemälde. In der Bildung der Gruppen, die immer je drei Figuren um¬
fassen, hat sich Heyden an Leonardo angeschlossen. Mit vollem Rechte, da dieses


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[0621] Die große Kunstausstellung in Berlin, Leidens hineingelegt und dadurch allerdings in das phantastisch-märchenhafte Ge¬ präge seiner Komposition ein disharmonirendcs Element eingeführt. Indessen kann er sich dabei auf das Beispiel der alten umbrischen Schule und ihres be¬ rühmtesten Sprößlings, auf Raffael, berufen, dessen Christusknaben, auch wenn sie noch von den Armen der Mutter getragen werden, bereits das Gepräge eines sinnigen, weit über die dargestellte Altersstufe hinausreichenden Ernstes zeigen. Der Aufzug der Könige und ihrer Begleiter bringt die festliche Pracht eines Paul Veronese in Erinnerung, während uns die ausdrucksvollen Köpfe in ihrer großartigen, typischen Auffassung die geniale Kraft eines Rubens ins Gedächtnis rufen. Im Hintergrunde wird der von Sternen erhellte Nachthimmel sichtbar. Man bemerkt außerdem noch einige Gestalten, die zu einem besonders hell leuchtenden Sterne emporblicken, demselben, der die Könige aus Morgenland nach Bethlehem geführt hat. Es ist schwer, gerade dieser Szene aus der heiligen Geschichte, an welcher die größten Koloristen der Vergangenheit ihre Kräfte er¬ probt haben, eine neue Seite abzugewinnen, wenn sich der Künstler nicht etwa der Manier Eduard von Gebhardts oder der grobmaterialistischen Auffassung der modernen Franzosen anschließen will. Wir haben in Schröters Arbeit, wenn man sie nur auf ihre formale Seite hin betrachtet, allerdings nur das Produkt eines geschickten Eklektizismus vor uns. Aber durch die verschiedenen Formenelemcnte geht doch ein einheitlicher Zug schwungvoller Begeisterung. Man empfindet, daß der Künstler nicht bloß dnrch einen reichen Aufwand äußerlicher Mittel blenden wollte, sondern daß er auch mit dem Herzen dabei gewesen ist und den Moment in seiner Art ganz durchempfunden hat. In einer Zeit, wo man große Historien so wenig als möglich und biblische Historien am allerwenigsten malt, verdient ein solches Wagnis doppelte Anerkennung und Auf¬ munterung. Aber die Vertreter derjenigen kraß-realistischen, man möchte fast sagen banausischen Richtung, welche gegenwärtig in Berlin das große Wort sichren, gehen achselzuckend an dieser ernsten Schöpfung vorüber und fragen einander mit vielsagendem Fingerhinweis auf die Stirn: „Wie eener soweit malen kaun!" Einen noch schwierigern Stand haben zwei Künstler, Otto Heyden in Berlin und Georg Cornicelius in Harem, mit einer Darstellung des Abendmahls ge¬ habt. Jener hat den Moment der Einsetzung desselben, dieser den Augenblick gewählt, wo Judas zur Thür hinansschleichen will, um sein schwarzes Werk auszuführen. Beide sind also vorsichtig dem Vergleich mit Leonardo da Vinci aus dem Wege gegangen, dessen Fresko bekanntlich die Bewegung schildert, welche unter den Jüngern bei den Worten des Heilands: „Einer unter Euch wird mich verraten!" ausgebrochen ist. Heydens Bild ist nur der in kleinem Maßstabe gehaltene Entwurf zu einem in der Dankeskirche in Berlin ausgeführten Wandgemälde. In der Bildung der Gruppen, die immer je drei Figuren um¬ fassen, hat sich Heyden an Leonardo angeschlossen. Mit vollem Rechte, da dieses

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/621>, abgerufen am 27.06.2024.