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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die große Kunstausstellung in Berlin,

klassische Vorbild für jeden, welcher, denselben Gegenstand behandelnd, in idealem
Stile weitermalen will, unüberwindlich ist und alle Nachfolger unwiderstehlich
in seinen Bannkreis zieht. Leider hat sich Heyden beikommen lassen, die ruhige
Wirkung seiner Komposition durch die Einführung eines realistischen Motivs
aufs Spiel zu setzen. Die Vorderansicht der langen Tafel war ihm offenbar
unbehaglich, und so ist er auf den Gedanken gekommen, vor der rechten Seite
des Tisches auf dem Erdboden einen Berg der kostbarsten Früchte und Gemüse,
ein förmliches "Stillleben" von verlockender Farbenpracht, aufzuhäufen. So
hoch ists bei dem letzten Mahle des Heilands nicht hergegangen. Auch leben
wir nicht in den naiven Anschauungen der Venezianer der Renaissancezeit, welche
auf ihren Gemälden die Hochzeit zu Cana und die Gastmähler bei Simon und
Levi in prächtigen Marmorhallen mit dem ganzen Aufwand patrizischer Prunk¬
liebe vor sich gehen ließen. Wir wollen uns die geistige und symbolische Be¬
deutung der Abendmahlsfeier nicht durch solche Nebendinge verkümmern lassen,
auch wenn sie noch so virtuos gemalt sind und noch so sehr zur Verstärkung
der koloristischen Wirkung beitragen. Cornicelius, ein schon bejahrter, aus der
belgischen Schule erwachsener, in Heman thätiger Maler, hat sich an Gebhardts
Vorbild gehalten. In unmittelbarer Folge der Worte des Heilands hat sich
Judas erhoben und schreitet der Thür zu. Um nicht in den Verdacht des
Plagiats zu geraten, hat Cornicelius die feierliche Tafelrunde ganz aufgelöst
und die Figur des Verräters in den Vordergrund geschoben. Die That des
letztern, nicht die Abendmahlsfeier ist ihm die Hauptsache bei seiner Darstellung
gewesen, und deshalb hat er auch seinem Bilde den Titel gegeben: "Judas
geht, um Christus zu verraten." In der Charakteristik der Figuren ist er in
den wesentlichen Zügen, in Tracht und Gesichtsbildung, Gebhardt gefolgt.

Daß man noch weit über den Realismus des letztern hinausgehen kann,
hat zum allgemeinen Schrecken des Publikums der Münchener Fritz von Abbe
bewiesen, der die Stelle aus dem Markusevangelium: "Lasset die Kindlein zu
mir kommen!" behandelt hat. Er hat dabei keineswegs an Gebhardt angeknüpft,
vielleicht auch nie etwas von Gebhardt gesehen, was seine Richtung hätte be¬
einflussen können. Er hat auch keineswegs die religiöse Malerei zu seinem
Spezialfach erkoren, sondern den biblischen Stoff nur gewählt, um auch an
ihm sein koloristisches System zu erproben. Abbe ist ein durch und durch fran¬
zösisches Gewächs. Er war bis zum Jahre 1877 sächsischer Kavallericoffizier
gewesen und widmete sich dann der Malerei. Nach kurzem Aufenthalt in München
ging er nach Paris zu Munkacsy, dessen Einfluß in dem bläulich-schwärzlichen
Gesamttvn eines "Holländischen Familienkonzerts" zur Geltung kam. Derselbe war
nicht so stark, als daß er die Wirkung des Gemäldes beeinträchtigt hätte. Denn die
Figuren waren vortrefflich gezeichnet und ebenso vortrefflich charakterisirt und
natürlich aufgefaßt. Nach dieser Richtung trug die Pariser Schule bei Abbe
sogleich ihre besten Früchte, und diesen Vorzug hat sich der Künstler auch be-


Die große Kunstausstellung in Berlin,

klassische Vorbild für jeden, welcher, denselben Gegenstand behandelnd, in idealem
Stile weitermalen will, unüberwindlich ist und alle Nachfolger unwiderstehlich
in seinen Bannkreis zieht. Leider hat sich Heyden beikommen lassen, die ruhige
Wirkung seiner Komposition durch die Einführung eines realistischen Motivs
aufs Spiel zu setzen. Die Vorderansicht der langen Tafel war ihm offenbar
unbehaglich, und so ist er auf den Gedanken gekommen, vor der rechten Seite
des Tisches auf dem Erdboden einen Berg der kostbarsten Früchte und Gemüse,
ein förmliches „Stillleben" von verlockender Farbenpracht, aufzuhäufen. So
hoch ists bei dem letzten Mahle des Heilands nicht hergegangen. Auch leben
wir nicht in den naiven Anschauungen der Venezianer der Renaissancezeit, welche
auf ihren Gemälden die Hochzeit zu Cana und die Gastmähler bei Simon und
Levi in prächtigen Marmorhallen mit dem ganzen Aufwand patrizischer Prunk¬
liebe vor sich gehen ließen. Wir wollen uns die geistige und symbolische Be¬
deutung der Abendmahlsfeier nicht durch solche Nebendinge verkümmern lassen,
auch wenn sie noch so virtuos gemalt sind und noch so sehr zur Verstärkung
der koloristischen Wirkung beitragen. Cornicelius, ein schon bejahrter, aus der
belgischen Schule erwachsener, in Heman thätiger Maler, hat sich an Gebhardts
Vorbild gehalten. In unmittelbarer Folge der Worte des Heilands hat sich
Judas erhoben und schreitet der Thür zu. Um nicht in den Verdacht des
Plagiats zu geraten, hat Cornicelius die feierliche Tafelrunde ganz aufgelöst
und die Figur des Verräters in den Vordergrund geschoben. Die That des
letztern, nicht die Abendmahlsfeier ist ihm die Hauptsache bei seiner Darstellung
gewesen, und deshalb hat er auch seinem Bilde den Titel gegeben: „Judas
geht, um Christus zu verraten." In der Charakteristik der Figuren ist er in
den wesentlichen Zügen, in Tracht und Gesichtsbildung, Gebhardt gefolgt.

Daß man noch weit über den Realismus des letztern hinausgehen kann,
hat zum allgemeinen Schrecken des Publikums der Münchener Fritz von Abbe
bewiesen, der die Stelle aus dem Markusevangelium: „Lasset die Kindlein zu
mir kommen!" behandelt hat. Er hat dabei keineswegs an Gebhardt angeknüpft,
vielleicht auch nie etwas von Gebhardt gesehen, was seine Richtung hätte be¬
einflussen können. Er hat auch keineswegs die religiöse Malerei zu seinem
Spezialfach erkoren, sondern den biblischen Stoff nur gewählt, um auch an
ihm sein koloristisches System zu erproben. Abbe ist ein durch und durch fran¬
zösisches Gewächs. Er war bis zum Jahre 1877 sächsischer Kavallericoffizier
gewesen und widmete sich dann der Malerei. Nach kurzem Aufenthalt in München
ging er nach Paris zu Munkacsy, dessen Einfluß in dem bläulich-schwärzlichen
Gesamttvn eines „Holländischen Familienkonzerts" zur Geltung kam. Derselbe war
nicht so stark, als daß er die Wirkung des Gemäldes beeinträchtigt hätte. Denn die
Figuren waren vortrefflich gezeichnet und ebenso vortrefflich charakterisirt und
natürlich aufgefaßt. Nach dieser Richtung trug die Pariser Schule bei Abbe
sogleich ihre besten Früchte, und diesen Vorzug hat sich der Künstler auch be-


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[0622] Die große Kunstausstellung in Berlin, klassische Vorbild für jeden, welcher, denselben Gegenstand behandelnd, in idealem Stile weitermalen will, unüberwindlich ist und alle Nachfolger unwiderstehlich in seinen Bannkreis zieht. Leider hat sich Heyden beikommen lassen, die ruhige Wirkung seiner Komposition durch die Einführung eines realistischen Motivs aufs Spiel zu setzen. Die Vorderansicht der langen Tafel war ihm offenbar unbehaglich, und so ist er auf den Gedanken gekommen, vor der rechten Seite des Tisches auf dem Erdboden einen Berg der kostbarsten Früchte und Gemüse, ein förmliches „Stillleben" von verlockender Farbenpracht, aufzuhäufen. So hoch ists bei dem letzten Mahle des Heilands nicht hergegangen. Auch leben wir nicht in den naiven Anschauungen der Venezianer der Renaissancezeit, welche auf ihren Gemälden die Hochzeit zu Cana und die Gastmähler bei Simon und Levi in prächtigen Marmorhallen mit dem ganzen Aufwand patrizischer Prunk¬ liebe vor sich gehen ließen. Wir wollen uns die geistige und symbolische Be¬ deutung der Abendmahlsfeier nicht durch solche Nebendinge verkümmern lassen, auch wenn sie noch so virtuos gemalt sind und noch so sehr zur Verstärkung der koloristischen Wirkung beitragen. Cornicelius, ein schon bejahrter, aus der belgischen Schule erwachsener, in Heman thätiger Maler, hat sich an Gebhardts Vorbild gehalten. In unmittelbarer Folge der Worte des Heilands hat sich Judas erhoben und schreitet der Thür zu. Um nicht in den Verdacht des Plagiats zu geraten, hat Cornicelius die feierliche Tafelrunde ganz aufgelöst und die Figur des Verräters in den Vordergrund geschoben. Die That des letztern, nicht die Abendmahlsfeier ist ihm die Hauptsache bei seiner Darstellung gewesen, und deshalb hat er auch seinem Bilde den Titel gegeben: „Judas geht, um Christus zu verraten." In der Charakteristik der Figuren ist er in den wesentlichen Zügen, in Tracht und Gesichtsbildung, Gebhardt gefolgt. Daß man noch weit über den Realismus des letztern hinausgehen kann, hat zum allgemeinen Schrecken des Publikums der Münchener Fritz von Abbe bewiesen, der die Stelle aus dem Markusevangelium: „Lasset die Kindlein zu mir kommen!" behandelt hat. Er hat dabei keineswegs an Gebhardt angeknüpft, vielleicht auch nie etwas von Gebhardt gesehen, was seine Richtung hätte be¬ einflussen können. Er hat auch keineswegs die religiöse Malerei zu seinem Spezialfach erkoren, sondern den biblischen Stoff nur gewählt, um auch an ihm sein koloristisches System zu erproben. Abbe ist ein durch und durch fran¬ zösisches Gewächs. Er war bis zum Jahre 1877 sächsischer Kavallericoffizier gewesen und widmete sich dann der Malerei. Nach kurzem Aufenthalt in München ging er nach Paris zu Munkacsy, dessen Einfluß in dem bläulich-schwärzlichen Gesamttvn eines „Holländischen Familienkonzerts" zur Geltung kam. Derselbe war nicht so stark, als daß er die Wirkung des Gemäldes beeinträchtigt hätte. Denn die Figuren waren vortrefflich gezeichnet und ebenso vortrefflich charakterisirt und natürlich aufgefaßt. Nach dieser Richtung trug die Pariser Schule bei Abbe sogleich ihre besten Früchte, und diesen Vorzug hat sich der Künstler auch be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/622>, abgerufen am 27.06.2024.