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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die große Kunstausstellung in Berlin.

ist der Staat damit noch nicht der Verpflichtung enthoben, solche Bilder an¬
zukaufen. Die Historienmalerei kann nur blühen, wenn der Staat sich ihrer
annimmt. Frankreich hat seit einem Jahrhundert unter allen Stantsformen
diese Verpflichtung wohl begriffen und die Historienmalerei oder, wie man in
Frankreich sagt, die ^rancls xsiuwrs durch regelmäßige Anläufe ohne Unterlaß
ermutigt. Was in Paris nicht untergebracht werden kann, wird den Provinzial-
museen überwiesen, wobei man keineswegs von dem Grundsatze ausgeht, daß
für die Provinzen das Schlechteste noch gut genug sei.

Woher sollen unsre jungen Künstler den Mut nehmen, sich in die großen
Unkosten zu stürzen, welche die Vorbereitung und Ausführung eines umfang¬
reichen Historienbildes erforderlich machen, wenn ihnen nicht die geringste Aussicht
blüht, ihre Arbeit auch nur so zu verwerten, daß sie auf ihre Kosten kommen?
Ab und zu werden Wohl die Radirungen eines jungen Künstlers angekauft, dessen
bizarre Genialität mehr Geschmackssache als über jede Kontroverse erhaben
ist, und gelegentlich wird auch die Ausführung eines Gypsmodells, das einem
begabten Kunstjünger in glücklicher Stunde gelungen ist, in Bronzeguß bestellt.
Aber die Versuche der jüngern Künstler auf dem Gebiete der Historienmalerei
werden nur sehr selten ermutigt, und selbst die ältern Künstler haben es nur
einem außergewöhnlichen Glücksfälle zu danken, wenn einmal ein großes
Historienbild für eine öffentliche Sammlung angekauft wird.

Wenn in Paris ein Künstler von dem Range unsers Julius Schrader seit
einer Reihe von Jahren an einem großen Gemälde arbeitet, welches gewissermaßen
die Quintessenz seines Könnens, den letzten Aufschwung seines Strebens repräsentirt,
so beeilt sich der Staat, die Hand darauf zu legen, damit eine derartige Schöpfung,
welche vielleicht über kurz oder laug zu einem teuern Vermächtnisse werden wird,
nicht ins Ausland kommt oder in die Hände der Privatspekulaiion gerät. Julius
Schrader hat vor einem Jahre etwa ein solches Bild vollendet, eine Anbetung
der Könige mit überlebensgroßen Figuren. Die Szene ist bei Nacht dargestellt,
und zwar in einer sternenhellen Nacht des Orients, welche den Vorgang noch
genugsam erkennen läßt. Das Licht, welches von dem göttlichen Kinde ausstrahlt,
erhellt überdies die nächste Umgebung dergestalt, daß die Farbenpracht der kost¬
baren Gewänder der drei Könige noch zur Geltung kommt. Aus einem Steinbau,
welcher an ägyptische Kunstformen erinnert, ist Maria, von dem sich bescheiden
im Hinteigrunde haltenden Josef begleitet, herausgetreten und hebt das Kind
den anbetenden Fremdlingen entgegen. Nicht bloß von dem kleinen Heiland der
Welt, auch von ihr geht ein milder Glanz aus, wie auf Correggios "Heiliger
Nacht" in Dresden. An Correggios Auffassung erinnern noch manche andre
Züge in der Gestaltung der Gottesmutter. Dem Kinde fehlt es leider an dem
naiven Reize, welchen der italienische Meister über seine Kinderfiguren auszu-
gießen weiß. Mit Absicht hat der moderne Künstler in die ernsten Züge des
Jesusknaben etwas von dem Vorgefühl seiner zukünftigen Mission und seines


Die große Kunstausstellung in Berlin.

ist der Staat damit noch nicht der Verpflichtung enthoben, solche Bilder an¬
zukaufen. Die Historienmalerei kann nur blühen, wenn der Staat sich ihrer
annimmt. Frankreich hat seit einem Jahrhundert unter allen Stantsformen
diese Verpflichtung wohl begriffen und die Historienmalerei oder, wie man in
Frankreich sagt, die ^rancls xsiuwrs durch regelmäßige Anläufe ohne Unterlaß
ermutigt. Was in Paris nicht untergebracht werden kann, wird den Provinzial-
museen überwiesen, wobei man keineswegs von dem Grundsatze ausgeht, daß
für die Provinzen das Schlechteste noch gut genug sei.

Woher sollen unsre jungen Künstler den Mut nehmen, sich in die großen
Unkosten zu stürzen, welche die Vorbereitung und Ausführung eines umfang¬
reichen Historienbildes erforderlich machen, wenn ihnen nicht die geringste Aussicht
blüht, ihre Arbeit auch nur so zu verwerten, daß sie auf ihre Kosten kommen?
Ab und zu werden Wohl die Radirungen eines jungen Künstlers angekauft, dessen
bizarre Genialität mehr Geschmackssache als über jede Kontroverse erhaben
ist, und gelegentlich wird auch die Ausführung eines Gypsmodells, das einem
begabten Kunstjünger in glücklicher Stunde gelungen ist, in Bronzeguß bestellt.
Aber die Versuche der jüngern Künstler auf dem Gebiete der Historienmalerei
werden nur sehr selten ermutigt, und selbst die ältern Künstler haben es nur
einem außergewöhnlichen Glücksfälle zu danken, wenn einmal ein großes
Historienbild für eine öffentliche Sammlung angekauft wird.

Wenn in Paris ein Künstler von dem Range unsers Julius Schrader seit
einer Reihe von Jahren an einem großen Gemälde arbeitet, welches gewissermaßen
die Quintessenz seines Könnens, den letzten Aufschwung seines Strebens repräsentirt,
so beeilt sich der Staat, die Hand darauf zu legen, damit eine derartige Schöpfung,
welche vielleicht über kurz oder laug zu einem teuern Vermächtnisse werden wird,
nicht ins Ausland kommt oder in die Hände der Privatspekulaiion gerät. Julius
Schrader hat vor einem Jahre etwa ein solches Bild vollendet, eine Anbetung
der Könige mit überlebensgroßen Figuren. Die Szene ist bei Nacht dargestellt,
und zwar in einer sternenhellen Nacht des Orients, welche den Vorgang noch
genugsam erkennen läßt. Das Licht, welches von dem göttlichen Kinde ausstrahlt,
erhellt überdies die nächste Umgebung dergestalt, daß die Farbenpracht der kost¬
baren Gewänder der drei Könige noch zur Geltung kommt. Aus einem Steinbau,
welcher an ägyptische Kunstformen erinnert, ist Maria, von dem sich bescheiden
im Hinteigrunde haltenden Josef begleitet, herausgetreten und hebt das Kind
den anbetenden Fremdlingen entgegen. Nicht bloß von dem kleinen Heiland der
Welt, auch von ihr geht ein milder Glanz aus, wie auf Correggios „Heiliger
Nacht" in Dresden. An Correggios Auffassung erinnern noch manche andre
Züge in der Gestaltung der Gottesmutter. Dem Kinde fehlt es leider an dem
naiven Reize, welchen der italienische Meister über seine Kinderfiguren auszu-
gießen weiß. Mit Absicht hat der moderne Künstler in die ernsten Züge des
Jesusknaben etwas von dem Vorgefühl seiner zukünftigen Mission und seines


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[0620] Die große Kunstausstellung in Berlin. ist der Staat damit noch nicht der Verpflichtung enthoben, solche Bilder an¬ zukaufen. Die Historienmalerei kann nur blühen, wenn der Staat sich ihrer annimmt. Frankreich hat seit einem Jahrhundert unter allen Stantsformen diese Verpflichtung wohl begriffen und die Historienmalerei oder, wie man in Frankreich sagt, die ^rancls xsiuwrs durch regelmäßige Anläufe ohne Unterlaß ermutigt. Was in Paris nicht untergebracht werden kann, wird den Provinzial- museen überwiesen, wobei man keineswegs von dem Grundsatze ausgeht, daß für die Provinzen das Schlechteste noch gut genug sei. Woher sollen unsre jungen Künstler den Mut nehmen, sich in die großen Unkosten zu stürzen, welche die Vorbereitung und Ausführung eines umfang¬ reichen Historienbildes erforderlich machen, wenn ihnen nicht die geringste Aussicht blüht, ihre Arbeit auch nur so zu verwerten, daß sie auf ihre Kosten kommen? Ab und zu werden Wohl die Radirungen eines jungen Künstlers angekauft, dessen bizarre Genialität mehr Geschmackssache als über jede Kontroverse erhaben ist, und gelegentlich wird auch die Ausführung eines Gypsmodells, das einem begabten Kunstjünger in glücklicher Stunde gelungen ist, in Bronzeguß bestellt. Aber die Versuche der jüngern Künstler auf dem Gebiete der Historienmalerei werden nur sehr selten ermutigt, und selbst die ältern Künstler haben es nur einem außergewöhnlichen Glücksfälle zu danken, wenn einmal ein großes Historienbild für eine öffentliche Sammlung angekauft wird. Wenn in Paris ein Künstler von dem Range unsers Julius Schrader seit einer Reihe von Jahren an einem großen Gemälde arbeitet, welches gewissermaßen die Quintessenz seines Könnens, den letzten Aufschwung seines Strebens repräsentirt, so beeilt sich der Staat, die Hand darauf zu legen, damit eine derartige Schöpfung, welche vielleicht über kurz oder laug zu einem teuern Vermächtnisse werden wird, nicht ins Ausland kommt oder in die Hände der Privatspekulaiion gerät. Julius Schrader hat vor einem Jahre etwa ein solches Bild vollendet, eine Anbetung der Könige mit überlebensgroßen Figuren. Die Szene ist bei Nacht dargestellt, und zwar in einer sternenhellen Nacht des Orients, welche den Vorgang noch genugsam erkennen läßt. Das Licht, welches von dem göttlichen Kinde ausstrahlt, erhellt überdies die nächste Umgebung dergestalt, daß die Farbenpracht der kost¬ baren Gewänder der drei Könige noch zur Geltung kommt. Aus einem Steinbau, welcher an ägyptische Kunstformen erinnert, ist Maria, von dem sich bescheiden im Hinteigrunde haltenden Josef begleitet, herausgetreten und hebt das Kind den anbetenden Fremdlingen entgegen. Nicht bloß von dem kleinen Heiland der Welt, auch von ihr geht ein milder Glanz aus, wie auf Correggios „Heiliger Nacht" in Dresden. An Correggios Auffassung erinnern noch manche andre Züge in der Gestaltung der Gottesmutter. Dem Kinde fehlt es leider an dem naiven Reize, welchen der italienische Meister über seine Kinderfiguren auszu- gießen weiß. Mit Absicht hat der moderne Künstler in die ernsten Züge des Jesusknaben etwas von dem Vorgefühl seiner zukünftigen Mission und seines

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/620>, abgerufen am 27.06.2024.