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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Literatur.

Monumentalbau der Residenz wieder den Malerpinsel schwingen sieht, und zwar
auch an solchen Stellen, wo man dieser Eventualität hätte vorbeugen können.
"

Die bekanntlich von Tieck entworfene "Befreiung der Eurydice in dem Tym-
panon an der Taubenstraße hätte verdient, in Sandstein verewigt zu werden,
schon um ihrer ästhetischen Bedeutung willen, welche hinsichtlich der Gruppirung
unsers Erachtens sogar die über der Vorhalle verwendete und glücklicherweise
gleich von Schinkel in Sandstein ausgeführte Niobidengruppe übertrifft. In der
Bewegung des Orpheus mit seinem Gefolge gegen den Herrscher der Unterwelt
und die mancherlei Bewohner seines Schattenreiches spricht sich ein durch die
architektonische Umrahmung geeinigter, d. h. gelöster Dualismus sehr prägnant
aus, und zugleich kommt das von Lessing geforderte "Transitorische" in dem ge¬
wählten Moment äußerst glücklich zur Geltung. Dabei zeigt die Behandlung der
einzelnen Figuren eine edle Formengebung, und sie ist namentlich mustergiltig in
betreff ihrer Wirkung auf deu Beschauer, welche an Klarheit und Deutlichkeit auch
bei entfernteren Standpunkte nichts zu wünschen übrig läßt.

Wenn übrigens die vier mittlern Kandelaber an dieser Front ihre Ver¬
wendung vor diesem Schinkelschen Bauwerk der gegenwärtigen Bauleitung ver¬
danken, so war das kein glücklicher Griff. Stilwidriger konnte wohl nicht leicht
verfahren werden. Es fehlt eigentlich nur noch auf all den von Schinkel so ge¬
liebten (!) Buckeln und Knäufen eine Inschrift, womöglich in Schwabacher Lettern:
"Den Manen Schinkels die Bauverwaltung"! Auch die den alten Barriercnpfostcn
in der Unterfahrt aufgepfropften Knndelaberstücke sind erstaunlich häßlich. Während
man sonst in Bankreihen häufig über zu viel Revision in höhern Instanzen klagt,
scheint hier zu wenig davon vorhanden gewesen zu sein.




Literatur.
Erlebtes und Erstrebtes. 1309 -- 1859. Von Dr. Georg Beseler. Mit Anlagen.
Berlin, W. Hertz, 1884.

Ein dankenswerter Beitrag zur Geschichte der Schleswig - holsteinischen Be¬
wegung, zum Verständnis des deutschen Professoreutums nach seiner Licht- und
seiner Schattenseite und zur Beurteilung der Absichten und Leistungen der Partei, die
in der Paulskirche eine Zeit lang die leitende Rolle spielte. Der Verfasser schöpft
hier fast durchweg aus eigner Erfahrung, er hat eine einflußreiche Stellung inne¬
gehabt und ist auf wissenschaftlichem wie auf politischem Gebiet vielfach mit inter¬
essanten und bedeutenden Persönlichkeiten im Verkehr gewesen. Wenn sein Urteil
nicht ohne Parteifarbe ist, so ist es doch immer die maßvolle Äußerung eines hoch¬
gebildeten Mannes, der in seiner Weise das Gute wollte. Sehr richtig führt er
u. c>. deu Militärkonflikt, d. h. den Konflikt, der unter den Ministern der neuen
Ära in Preußen über die vom Könige beabsichtigte Umgestaltung und Vermehrung
des Heeres entstand, ans "die unbegreifliche Verblendung Georgs von Vincke"
zurück. Nicht ganz können wir seine Charakteristik Manteuffels unterschreiben.
Er sagt hier, indem er vom Jahre 1349 spricht: "Die leitende Stellung im Mi-


Literatur.

Monumentalbau der Residenz wieder den Malerpinsel schwingen sieht, und zwar
auch an solchen Stellen, wo man dieser Eventualität hätte vorbeugen können.
"

Die bekanntlich von Tieck entworfene „Befreiung der Eurydice in dem Tym-
panon an der Taubenstraße hätte verdient, in Sandstein verewigt zu werden,
schon um ihrer ästhetischen Bedeutung willen, welche hinsichtlich der Gruppirung
unsers Erachtens sogar die über der Vorhalle verwendete und glücklicherweise
gleich von Schinkel in Sandstein ausgeführte Niobidengruppe übertrifft. In der
Bewegung des Orpheus mit seinem Gefolge gegen den Herrscher der Unterwelt
und die mancherlei Bewohner seines Schattenreiches spricht sich ein durch die
architektonische Umrahmung geeinigter, d. h. gelöster Dualismus sehr prägnant
aus, und zugleich kommt das von Lessing geforderte „Transitorische" in dem ge¬
wählten Moment äußerst glücklich zur Geltung. Dabei zeigt die Behandlung der
einzelnen Figuren eine edle Formengebung, und sie ist namentlich mustergiltig in
betreff ihrer Wirkung auf deu Beschauer, welche an Klarheit und Deutlichkeit auch
bei entfernteren Standpunkte nichts zu wünschen übrig läßt.

Wenn übrigens die vier mittlern Kandelaber an dieser Front ihre Ver¬
wendung vor diesem Schinkelschen Bauwerk der gegenwärtigen Bauleitung ver¬
danken, so war das kein glücklicher Griff. Stilwidriger konnte wohl nicht leicht
verfahren werden. Es fehlt eigentlich nur noch auf all den von Schinkel so ge¬
liebten (!) Buckeln und Knäufen eine Inschrift, womöglich in Schwabacher Lettern:
„Den Manen Schinkels die Bauverwaltung"! Auch die den alten Barriercnpfostcn
in der Unterfahrt aufgepfropften Knndelaberstücke sind erstaunlich häßlich. Während
man sonst in Bankreihen häufig über zu viel Revision in höhern Instanzen klagt,
scheint hier zu wenig davon vorhanden gewesen zu sein.




Literatur.
Erlebtes und Erstrebtes. 1309 — 1859. Von Dr. Georg Beseler. Mit Anlagen.
Berlin, W. Hertz, 1884.

Ein dankenswerter Beitrag zur Geschichte der Schleswig - holsteinischen Be¬
wegung, zum Verständnis des deutschen Professoreutums nach seiner Licht- und
seiner Schattenseite und zur Beurteilung der Absichten und Leistungen der Partei, die
in der Paulskirche eine Zeit lang die leitende Rolle spielte. Der Verfasser schöpft
hier fast durchweg aus eigner Erfahrung, er hat eine einflußreiche Stellung inne¬
gehabt und ist auf wissenschaftlichem wie auf politischem Gebiet vielfach mit inter¬
essanten und bedeutenden Persönlichkeiten im Verkehr gewesen. Wenn sein Urteil
nicht ohne Parteifarbe ist, so ist es doch immer die maßvolle Äußerung eines hoch¬
gebildeten Mannes, der in seiner Weise das Gute wollte. Sehr richtig führt er
u. c>. deu Militärkonflikt, d. h. den Konflikt, der unter den Ministern der neuen
Ära in Preußen über die vom Könige beabsichtigte Umgestaltung und Vermehrung
des Heeres entstand, ans „die unbegreifliche Verblendung Georgs von Vincke"
zurück. Nicht ganz können wir seine Charakteristik Manteuffels unterschreiben.
Er sagt hier, indem er vom Jahre 1349 spricht: „Die leitende Stellung im Mi-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/62>, abgerufen am 27.06.2024.