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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Cornelius und das Weltgericht.

Gebiete; hat er aber ein solches gewählt, so hat er sich damit seine Grenzen
gesteckt und ist an die aus ihnen sich ergebenden Gesetze der Wahrscheinlichkeit
gebunden.

Cornelius gehört zu den fortschreitenden Künstlern. Den Mißgriff, den er
in der Ludwigskirche gethan hat und der diese Werke um ihre unmittelbare
künstlerische Wirkung bringt, während das Einzelstudium des Großen genug finden
läßt, hat er in seinem letzten großen Werke, den Camposantofresken, nicht wiederholt.
Auch hier hatte er das Weltgericht mit in den Kreis seiner Darstellungen zu
ziehen. Er mochte gelernt haben, daß er eine historische Auffassung des Vor¬
ganges, wenn er auch nur symbolische Bedeutung haben sollte, seiner Zeit nicht
zumuten durfte. Er hält sich daher streng an die symbolische Darstellung:
Christus als himmlischer Bräutigam erscheint den klugen und den thörichten
Jungfrauen. Hier wird dem Gedanken nicht nur die Härte genommen; es bleibt
auch der Phantasie des Beschauers überlassen, nach dem Maße seiner Geistes¬
und Herzensbildung sich mit dem Glaubenssätze auseinanderzusetzen, ohne daß
er durch den Künstler nach einer bestimmten Gestaltung der Erscheinungswelt
hingezwungen würde. Obgleich unendlich schlichter in der Erscheinung, einfacher
in der Auffassung, ist diese Schöpfung doch weit bedeutender: sie zeigt den
Weg, auf welchem in Übereinstimmung mit unsrer heutigen Denkweise in Religion
und Kunst der Künstler etwa das gestalten könnte, was sich ihm als undarstellbar
zu entziehen scheint: das Weltgericht. Denn das ist doch vor allen Dingen die
Aufgabe des Künstlers, die seine Zeit bewegende Anschauungsweise zur Geltung
zu bringen. Die großen Probleme des Menschenherzens bleiben stets dieselben,
aber die Überzeugung ihrer Lösung, die Sprache, in welcher sie uns zum Be¬
wußtsein kommen, ändert sich. Nur wer hier mit seiner Zeit und seiner Kultur
Schritt zu halten, ja ihr in der Ausdrucksweise den Weg zu zeigen vermag, ist
der unbedingt große Künstler. In seinen Ludwigsfresken hat Cornelius versucht,
die Kultur seiner Zeit, während er auf ihr baute, zugleich zurückzubewegen; er
mußte daran scheitern. In seinen andern Werken hat er versucht, seiner Zeit und
ihrer Kultur konform denkend, beiden einen bedeutsameren Inhalt, eine kräftigere
Formensprache zu schaffen; hierin liegt seine bleibende Größe und der wohl¬
thätige Einfluß begründet, welchen er auch jetzt noch auszuüben imstande wäre,
wenn sich die modernste Kunst nicht allzusehr in der Freude einer erhöhten
Technik gefiele und dieser einseitig huldigte.*)





Mit Rücksicht auf die Einleitung dieses Aufsatzes im vorvorigen Hefte bemerken wir
nachträglich berichtigend, daß in Düsseldorf Cornelius' hundertjähriger Geburtstag allerdings
festlich begangen worden ist.
Grenzboten III. 1884.7<>
Cornelius und das Weltgericht.

Gebiete; hat er aber ein solches gewählt, so hat er sich damit seine Grenzen
gesteckt und ist an die aus ihnen sich ergebenden Gesetze der Wahrscheinlichkeit
gebunden.

Cornelius gehört zu den fortschreitenden Künstlern. Den Mißgriff, den er
in der Ludwigskirche gethan hat und der diese Werke um ihre unmittelbare
künstlerische Wirkung bringt, während das Einzelstudium des Großen genug finden
läßt, hat er in seinem letzten großen Werke, den Camposantofresken, nicht wiederholt.
Auch hier hatte er das Weltgericht mit in den Kreis seiner Darstellungen zu
ziehen. Er mochte gelernt haben, daß er eine historische Auffassung des Vor¬
ganges, wenn er auch nur symbolische Bedeutung haben sollte, seiner Zeit nicht
zumuten durfte. Er hält sich daher streng an die symbolische Darstellung:
Christus als himmlischer Bräutigam erscheint den klugen und den thörichten
Jungfrauen. Hier wird dem Gedanken nicht nur die Härte genommen; es bleibt
auch der Phantasie des Beschauers überlassen, nach dem Maße seiner Geistes¬
und Herzensbildung sich mit dem Glaubenssätze auseinanderzusetzen, ohne daß
er durch den Künstler nach einer bestimmten Gestaltung der Erscheinungswelt
hingezwungen würde. Obgleich unendlich schlichter in der Erscheinung, einfacher
in der Auffassung, ist diese Schöpfung doch weit bedeutender: sie zeigt den
Weg, auf welchem in Übereinstimmung mit unsrer heutigen Denkweise in Religion
und Kunst der Künstler etwa das gestalten könnte, was sich ihm als undarstellbar
zu entziehen scheint: das Weltgericht. Denn das ist doch vor allen Dingen die
Aufgabe des Künstlers, die seine Zeit bewegende Anschauungsweise zur Geltung
zu bringen. Die großen Probleme des Menschenherzens bleiben stets dieselben,
aber die Überzeugung ihrer Lösung, die Sprache, in welcher sie uns zum Be¬
wußtsein kommen, ändert sich. Nur wer hier mit seiner Zeit und seiner Kultur
Schritt zu halten, ja ihr in der Ausdrucksweise den Weg zu zeigen vermag, ist
der unbedingt große Künstler. In seinen Ludwigsfresken hat Cornelius versucht,
die Kultur seiner Zeit, während er auf ihr baute, zugleich zurückzubewegen; er
mußte daran scheitern. In seinen andern Werken hat er versucht, seiner Zeit und
ihrer Kultur konform denkend, beiden einen bedeutsameren Inhalt, eine kräftigere
Formensprache zu schaffen; hierin liegt seine bleibende Größe und der wohl¬
thätige Einfluß begründet, welchen er auch jetzt noch auszuüben imstande wäre,
wenn sich die modernste Kunst nicht allzusehr in der Freude einer erhöhten
Technik gefiele und dieser einseitig huldigte.*)





Mit Rücksicht auf die Einleitung dieses Aufsatzes im vorvorigen Hefte bemerken wir
nachträglich berichtigend, daß in Düsseldorf Cornelius' hundertjähriger Geburtstag allerdings
festlich begangen worden ist.
Grenzboten III. 1884.7<>
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[0609] Cornelius und das Weltgericht. Gebiete; hat er aber ein solches gewählt, so hat er sich damit seine Grenzen gesteckt und ist an die aus ihnen sich ergebenden Gesetze der Wahrscheinlichkeit gebunden. Cornelius gehört zu den fortschreitenden Künstlern. Den Mißgriff, den er in der Ludwigskirche gethan hat und der diese Werke um ihre unmittelbare künstlerische Wirkung bringt, während das Einzelstudium des Großen genug finden läßt, hat er in seinem letzten großen Werke, den Camposantofresken, nicht wiederholt. Auch hier hatte er das Weltgericht mit in den Kreis seiner Darstellungen zu ziehen. Er mochte gelernt haben, daß er eine historische Auffassung des Vor¬ ganges, wenn er auch nur symbolische Bedeutung haben sollte, seiner Zeit nicht zumuten durfte. Er hält sich daher streng an die symbolische Darstellung: Christus als himmlischer Bräutigam erscheint den klugen und den thörichten Jungfrauen. Hier wird dem Gedanken nicht nur die Härte genommen; es bleibt auch der Phantasie des Beschauers überlassen, nach dem Maße seiner Geistes¬ und Herzensbildung sich mit dem Glaubenssätze auseinanderzusetzen, ohne daß er durch den Künstler nach einer bestimmten Gestaltung der Erscheinungswelt hingezwungen würde. Obgleich unendlich schlichter in der Erscheinung, einfacher in der Auffassung, ist diese Schöpfung doch weit bedeutender: sie zeigt den Weg, auf welchem in Übereinstimmung mit unsrer heutigen Denkweise in Religion und Kunst der Künstler etwa das gestalten könnte, was sich ihm als undarstellbar zu entziehen scheint: das Weltgericht. Denn das ist doch vor allen Dingen die Aufgabe des Künstlers, die seine Zeit bewegende Anschauungsweise zur Geltung zu bringen. Die großen Probleme des Menschenherzens bleiben stets dieselben, aber die Überzeugung ihrer Lösung, die Sprache, in welcher sie uns zum Be¬ wußtsein kommen, ändert sich. Nur wer hier mit seiner Zeit und seiner Kultur Schritt zu halten, ja ihr in der Ausdrucksweise den Weg zu zeigen vermag, ist der unbedingt große Künstler. In seinen Ludwigsfresken hat Cornelius versucht, die Kultur seiner Zeit, während er auf ihr baute, zugleich zurückzubewegen; er mußte daran scheitern. In seinen andern Werken hat er versucht, seiner Zeit und ihrer Kultur konform denkend, beiden einen bedeutsameren Inhalt, eine kräftigere Formensprache zu schaffen; hierin liegt seine bleibende Größe und der wohl¬ thätige Einfluß begründet, welchen er auch jetzt noch auszuüben imstande wäre, wenn sich die modernste Kunst nicht allzusehr in der Freude einer erhöhten Technik gefiele und dieser einseitig huldigte.*) Mit Rücksicht auf die Einleitung dieses Aufsatzes im vorvorigen Hefte bemerken wir nachträglich berichtigend, daß in Düsseldorf Cornelius' hundertjähriger Geburtstag allerdings festlich begangen worden ist. Grenzboten III. 1884.7<>

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/609>, abgerufen am 27.06.2024.