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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Cornelius und tels Weltgericht.

besondrer Vorliebe und mit der dem Mittelalter eigentümlichen Erfindungsgabe
für die ein angenehm-schauerliches Gruseln erweckende Grausamkeit geschilderten
Kreise der um ihn sich gruppirenden Gemarterten. So sehen wir es in offenbarem
Anschluß an Dante bei Giotto in der Arena zu Padua, bei Orcagna in Sta. Maria
Novelle,, bei dem Meister des Weltgerichts im Ccunpo Santo zu Pisal, so selbst
bei dem milden Fiesole, der sich freilich bei der Schilderung des Neigentanzes
und des Einzuges in das Paradies offenbar heimischer gefühlt hat. Deutsche
Werke begnügen sich lieber mit der Andeutung der beiden Behausungen und
schildern das Hineinführen, ohne den Satan selbst in Mitleidenschaft zu ziehen:
so auf dem Kölner Bild im Wallraff-Museum, auf dem berühmten Danziger
Bilde in der Marienkirche, so auf dem neuerdings wieder freigelegten gro߬
artigen Wandbilde über dem Triumphbogen des Ulmer Domes (Vgl. Zeitschrift
für bildende Kunst 1833, S. 20ö). Hier ist es überall gleichmäßig die gewaltige
Predigt, welche mit der ganzen Kraft der Eindringlichkeit, wie sie nur die An¬
schauung zu gewähren vermag, sich an die Gläubigen wendet, um Praktisch in
ihre Lebensführung einzugreifen. Hier ist aber auch zugleich überall von seiten
des Künstlers das Bestreben, diese Predigt im einzelnen künstlerisch -ergreifend
zu gestalten, sodaß das Auge zugleich gern bei dem Anblick verweilen und die
Sprache des Bildes dadurch nur umso ergreifender, eindringlicher, haftender
werden möchte. Dabei blieb die Tradition bei der Darstellung des Weltrichters
mächtig, sodaß sein Ausdruck der "bürgerlichen Ehrbarkeit" (Schnaase VIII,
S. 258), wie auf dem Danziger Bilde, sich erhielt, während die dichterische
Schöpferkraft des Künstlers in bezug auf die Motive sowohl wie die Darstel¬
lung selbst sich in den Nebenfiguren frei bewegt und ebensowohl tief Ergreifendes
wie durch seine Schönheit Überraschendes hervorbrachte.

Ganz anders wurde es in der Renaissancezeit, als das Individuum mit
seiner beherrschenden Größe sich vordrängte und gegen die Tradition Front
machte, als zugleich durch den hnmanisirenden Einfluß der antiken Weltan¬
schauung die Schärfe der mittelalterlichen Auffassungsweise des unerbittlichen
Weltrichters eine erhebliche Abschwächung erhielt und in den gebildeteren Seelen
eine Opposition entstand gegen die Verdammungssucht und die ewige Ver¬
derbnis trotz des Erlösungstodes. Wir wissen, daß die Lehre von der Recht¬
fertigung durch den Glauben und die dadurch ermöglichte Erlösung auch in
Italien lebhaft ergriffen wurde, und daß gerade der Kreis, in welchem sich der
große Meister individuellster Auffassung bewegte, von solchen Gedanken erfüllt
war. (Springer, Naffael und Michelangelo, S. 449.) Und gerade ihm wurde
der Auftrag zu teil, ein Weltgericht zu schaffen. Michelangelo sträubte sich
lange dagegen; seine Abwendung von der Malerei mag indessen wohl nur ein
Vorwand gewesen sein. Der Gegenstand konnte ihm nicht zusagen: er sollte
die Verurteilung zu ewiger Verdammung malen, an die er selbst kaum glauben
mochte. Und als er sich der Ausführung nicht entziehen konnte, so gestaltete


Grenzboten III. 1384. 7S
Cornelius und tels Weltgericht.

besondrer Vorliebe und mit der dem Mittelalter eigentümlichen Erfindungsgabe
für die ein angenehm-schauerliches Gruseln erweckende Grausamkeit geschilderten
Kreise der um ihn sich gruppirenden Gemarterten. So sehen wir es in offenbarem
Anschluß an Dante bei Giotto in der Arena zu Padua, bei Orcagna in Sta. Maria
Novelle,, bei dem Meister des Weltgerichts im Ccunpo Santo zu Pisal, so selbst
bei dem milden Fiesole, der sich freilich bei der Schilderung des Neigentanzes
und des Einzuges in das Paradies offenbar heimischer gefühlt hat. Deutsche
Werke begnügen sich lieber mit der Andeutung der beiden Behausungen und
schildern das Hineinführen, ohne den Satan selbst in Mitleidenschaft zu ziehen:
so auf dem Kölner Bild im Wallraff-Museum, auf dem berühmten Danziger
Bilde in der Marienkirche, so auf dem neuerdings wieder freigelegten gro߬
artigen Wandbilde über dem Triumphbogen des Ulmer Domes (Vgl. Zeitschrift
für bildende Kunst 1833, S. 20ö). Hier ist es überall gleichmäßig die gewaltige
Predigt, welche mit der ganzen Kraft der Eindringlichkeit, wie sie nur die An¬
schauung zu gewähren vermag, sich an die Gläubigen wendet, um Praktisch in
ihre Lebensführung einzugreifen. Hier ist aber auch zugleich überall von seiten
des Künstlers das Bestreben, diese Predigt im einzelnen künstlerisch -ergreifend
zu gestalten, sodaß das Auge zugleich gern bei dem Anblick verweilen und die
Sprache des Bildes dadurch nur umso ergreifender, eindringlicher, haftender
werden möchte. Dabei blieb die Tradition bei der Darstellung des Weltrichters
mächtig, sodaß sein Ausdruck der „bürgerlichen Ehrbarkeit" (Schnaase VIII,
S. 258), wie auf dem Danziger Bilde, sich erhielt, während die dichterische
Schöpferkraft des Künstlers in bezug auf die Motive sowohl wie die Darstel¬
lung selbst sich in den Nebenfiguren frei bewegt und ebensowohl tief Ergreifendes
wie durch seine Schönheit Überraschendes hervorbrachte.

Ganz anders wurde es in der Renaissancezeit, als das Individuum mit
seiner beherrschenden Größe sich vordrängte und gegen die Tradition Front
machte, als zugleich durch den hnmanisirenden Einfluß der antiken Weltan¬
schauung die Schärfe der mittelalterlichen Auffassungsweise des unerbittlichen
Weltrichters eine erhebliche Abschwächung erhielt und in den gebildeteren Seelen
eine Opposition entstand gegen die Verdammungssucht und die ewige Ver¬
derbnis trotz des Erlösungstodes. Wir wissen, daß die Lehre von der Recht¬
fertigung durch den Glauben und die dadurch ermöglichte Erlösung auch in
Italien lebhaft ergriffen wurde, und daß gerade der Kreis, in welchem sich der
große Meister individuellster Auffassung bewegte, von solchen Gedanken erfüllt
war. (Springer, Naffael und Michelangelo, S. 449.) Und gerade ihm wurde
der Auftrag zu teil, ein Weltgericht zu schaffen. Michelangelo sträubte sich
lange dagegen; seine Abwendung von der Malerei mag indessen wohl nur ein
Vorwand gewesen sein. Der Gegenstand konnte ihm nicht zusagen: er sollte
die Verurteilung zu ewiger Verdammung malen, an die er selbst kaum glauben
mochte. Und als er sich der Ausführung nicht entziehen konnte, so gestaltete


Grenzboten III. 1384. 7S
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/601>, abgerufen am 27.06.2024.