Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.Cornelius und das Weltgericht. Wird die Vorschrift der Prozeßordnung, daß die mündliche Verhandlung (Lornelius und das Weltgericht. Von Veit Valentin. (Schluß.) n frühern Zeiten war das anders. Wenn im vierzehnten und Cornelius und das Weltgericht. Wird die Vorschrift der Prozeßordnung, daß die mündliche Verhandlung (Lornelius und das Weltgericht. Von Veit Valentin. (Schluß.) n frühern Zeiten war das anders. Wenn im vierzehnten und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0600" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/156871"/> <fw type="header" place="top"> Cornelius und das Weltgericht.</fw><lb/> <p xml:id="ID_2776"> Wird die Vorschrift der Prozeßordnung, daß die mündliche Verhandlung<lb/> durch Schriftsätze vorbereitet werden solle und daß diese die Angabe der zur<lb/> Begründung der Anträge dienenden thatsächlichen Verhältnisse enthalten sollen,<lb/> in der Weise befolgt, daß sich die Anwälte nicht der möglichsten Kürze in ihren<lb/> Begründungen befleißigen, selbst wenn diese der Sache offenbar schädlich ist,<lb/> sondern daß sie dem Gerichte eine wohl vorbereitete vollständige Darstellung<lb/> rechtzeitig an die Hemd zu geben suchen, so wird man sagen können, daß sich<lb/> die deutsche Zivilprozeßordnung in der erörterten Richtung als ein praktisch<lb/> brauchbarer und zweckmäßiger Fortschritt vom gemeinen Prozesse bewährt hat,<lb/> indem sie den Rechtsstreit auf einfachem, kurzem und sicherem Wege seiner Ent¬<lb/> scheidung zuführt; wird aber der entgegengesetzte Weg eingeschlagen, so könnte<lb/> bei mancher Partei leicht der Wunsch entstehen, an die Stelle der raschen, aber<lb/> oberflächlichen mündlichen Behandlung ihrer Rechtssache lieber wieder die etwas<lb/> langsamere, aber gründliche schriftliche Behandlung treten zu sehen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> (Lornelius und das Weltgericht.<lb/><note type="byline"> Von Veit Valentin.</note> (Schluß.)</head><lb/> <p xml:id="ID_2777" next="#ID_2778"> n frühern Zeiten war das anders. Wenn im vierzehnten und<lb/> fünfzehnten Jahrhundert deutsche und italienische Künstler „Welt¬<lb/> gerichte" schufen, so standen sie samt den Beschauern auf dem<lb/> gleichen Standpunkte, welcher die reale Wahrheit des Vorganges<lb/> in keiner Weise bezweifelt. Demgemäß gab es auch ganz be¬<lb/> stimmte Punkte, an welchen in keiner Weise gerüttelt werden durfte, und welche<lb/> die Grenze für die individuelle Freiheit des zugleich auch auf ästhetische Wir¬<lb/> kung ausgehenden Künstlers bildeten. Da war unter dem als Weltrichter er¬<lb/> scheinenden Christus der Ort der Auferstehung mit möglichst deutlicher Betonung<lb/> dieser Handlung; da schieden sich die Guten und die Bösen: jene wurden von<lb/> den Engeln, diese von den Teufeln in Empfang genommen und nach ihren<lb/> neuen Wohnstätten geleitet. Paradies und Hölle bildeten gesonderte Räume,<lb/> durch Architektur der Felsenmassen klar von der Erde, dem Schauplatz des Ge¬<lb/> richts und der Auferstehung, geschieden, in vollster Übereinstimmung mit der<lb/> damals herrschenden kosmischen Weltanschauung. In dem strenge gesonderten<lb/> Raume konnte sich nun auch Satan selbst präsentiren als Mittelpunkt der mit</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0600]
Cornelius und das Weltgericht.
Wird die Vorschrift der Prozeßordnung, daß die mündliche Verhandlung
durch Schriftsätze vorbereitet werden solle und daß diese die Angabe der zur
Begründung der Anträge dienenden thatsächlichen Verhältnisse enthalten sollen,
in der Weise befolgt, daß sich die Anwälte nicht der möglichsten Kürze in ihren
Begründungen befleißigen, selbst wenn diese der Sache offenbar schädlich ist,
sondern daß sie dem Gerichte eine wohl vorbereitete vollständige Darstellung
rechtzeitig an die Hemd zu geben suchen, so wird man sagen können, daß sich
die deutsche Zivilprozeßordnung in der erörterten Richtung als ein praktisch
brauchbarer und zweckmäßiger Fortschritt vom gemeinen Prozesse bewährt hat,
indem sie den Rechtsstreit auf einfachem, kurzem und sicherem Wege seiner Ent¬
scheidung zuführt; wird aber der entgegengesetzte Weg eingeschlagen, so könnte
bei mancher Partei leicht der Wunsch entstehen, an die Stelle der raschen, aber
oberflächlichen mündlichen Behandlung ihrer Rechtssache lieber wieder die etwas
langsamere, aber gründliche schriftliche Behandlung treten zu sehen.
(Lornelius und das Weltgericht.
Von Veit Valentin. (Schluß.)
n frühern Zeiten war das anders. Wenn im vierzehnten und
fünfzehnten Jahrhundert deutsche und italienische Künstler „Welt¬
gerichte" schufen, so standen sie samt den Beschauern auf dem
gleichen Standpunkte, welcher die reale Wahrheit des Vorganges
in keiner Weise bezweifelt. Demgemäß gab es auch ganz be¬
stimmte Punkte, an welchen in keiner Weise gerüttelt werden durfte, und welche
die Grenze für die individuelle Freiheit des zugleich auch auf ästhetische Wir¬
kung ausgehenden Künstlers bildeten. Da war unter dem als Weltrichter er¬
scheinenden Christus der Ort der Auferstehung mit möglichst deutlicher Betonung
dieser Handlung; da schieden sich die Guten und die Bösen: jene wurden von
den Engeln, diese von den Teufeln in Empfang genommen und nach ihren
neuen Wohnstätten geleitet. Paradies und Hölle bildeten gesonderte Räume,
durch Architektur der Felsenmassen klar von der Erde, dem Schauplatz des Ge¬
richts und der Auferstehung, geschieden, in vollster Übereinstimmung mit der
damals herrschenden kosmischen Weltanschauung. In dem strenge gesonderten
Raume konnte sich nun auch Satan selbst präsentiren als Mittelpunkt der mit
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