Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.Cornelius und das Weltgericht. er das Weltgericht so eigenartig, so sehr nach der nur ihm, nicht der Kirche Die herrschende Auffassung des großen Werkes lehrt uns, daß die Werk¬ Cornelius und das Weltgericht. er das Weltgericht so eigenartig, so sehr nach der nur ihm, nicht der Kirche Die herrschende Auffassung des großen Werkes lehrt uns, daß die Werk¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0602" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/156873"/> <fw type="header" place="top"> Cornelius und das Weltgericht.</fw><lb/> <p xml:id="ID_2780" prev="#ID_2779"> er das Weltgericht so eigenartig, so sehr nach der nur ihm, nicht der Kirche<lb/> eigentümlichen Auffassung, daß der Widerspruch der kirchlichen Partei kein<lb/> Wunder ist. Die Nacktheit der Gestalten war sicherlich nicht der Kernpunkt<lb/> des Widerspruches; hat doch selbst der fromme Fiesole die Auferstehenden nackt<lb/> gemalt, ebenso wie die andern Meister, wie vor allen Dingen Signorelli in<lb/> der Marienkapelle im Dom zu Orvieto, und weder in Italien noch in Deutsch¬<lb/> land hatte man Anstoß an solcher Darstellung genommen; die Maler aber er¬<lb/> griffen die Gelegenheit, den nackten Körper in das Bereich ihrer Schöpfungen<lb/> zu ziehen, umso lieber, als er hier durch die Natur der Sache ebenso gerechtfertigt<lb/> war, wie bei der Darstellung von Adam und Eva im Paradiese. Zudem hat<lb/> sich bei Michelangelos Werk auch nach der Thätigkeit des „Hvsenmachers"<lb/> der Eindruck der Unkirchlichkeit nicht verloren; er kann es auch nicht, da er weit<lb/> tiefer liegt.</p><lb/> <p xml:id="ID_2781" next="#ID_2782"> Die herrschende Auffassung des großen Werkes lehrt uns, daß die Werk¬<lb/> zeuge des Leidens Christi herbeigeschleppt werden als die „stummen Ankläger<lb/> der Verdammten, welche jetzt ihr Urteil empfangen. Und fo rufen denn auch<lb/> die Marterwerkzeuge, welche die einzelnen Heiligen vorweisen, zur Rache auf<lb/> und rechtfertigen das strenge Gericht" (Springer, Naffael und Michelangelo,<lb/> S. 427). Ebenso sagt Lübke in seiner „Geschichte der italienischen Malerei"<lb/> (II, S. 123): „daß rings der Kreis der Apostel fast drohend herandrängt, die<lb/> Zeichen ihres Martertums vorweisend, als wollten sie dadurch zu unbarm¬<lb/> herziger Rache auffordern." Wollte man es auch für möglich halten, daß<lb/> Heilige, zumal im Himmel, so unheilig empfinden sollten, daß sie statt an Ver¬<lb/> mittelung und Versöhnung vielmehr an Rache dächten, so fragt es sich doch,<lb/> wie eine solche Auffassung zu den thatsächlich vor uns stehenden Gestalten<lb/> stimmt. Da erblicken wir in der That nur scheues Zusammendrücken wie bei<lb/> Laurentius, furchtsames Zusammenfahren wie bei Petrus und Bartholomüus, ein<lb/> Hilihvrchen wie nach etwas Unglaublichen, Unfaßbarem, wie bei Adam, Angst<lb/> und Entsetzen bei der ihn wie ihre Stütze erfassender Eva, bei der sich in den<lb/> Schoß der Mutter flüchtenden Tochter — das Niobemotiv vor Auffindung der<lb/> Niobegrnppe —, wehevolles, verzweifelndes Sichabwenden und Sichvcrhnllen<lb/> bei der Maria. Der ganze Himmel scheint in Empörung — sollte das wirklich<lb/> eine Folge der Übereinstimmung mit dem Richterspruch sein und nicht vielmehr,<lb/> weil dieser Richterspruch mit seiner Verdammnis gegen die Erwartung, gegen<lb/> die Bestrebungen und Bemühungen der Heiligen und vor allem der Mutter<lb/> Gottes ausfällt? Und sollte das Entgegenhalten der Marterzeichen nicht die<lb/> Bedeutung haben: So haben wir gelitten, und das soll nun umsonst sein?<lb/> In stürmischer Eile werden Christi Marterwerkzeuge selbst herbeigeschleppt —<lb/> sollen sie nicht noch im letzten Augenblick den Richter mahnen, daß er ja selbst<lb/> den Versöhnnngstod erlitten hat, mit dem diese Verdammung so garnicht über¬<lb/> einstimmt? Maria kann das Schreckliche nicht sehen — sie wendet sich ab und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0602]
Cornelius und das Weltgericht.
er das Weltgericht so eigenartig, so sehr nach der nur ihm, nicht der Kirche
eigentümlichen Auffassung, daß der Widerspruch der kirchlichen Partei kein
Wunder ist. Die Nacktheit der Gestalten war sicherlich nicht der Kernpunkt
des Widerspruches; hat doch selbst der fromme Fiesole die Auferstehenden nackt
gemalt, ebenso wie die andern Meister, wie vor allen Dingen Signorelli in
der Marienkapelle im Dom zu Orvieto, und weder in Italien noch in Deutsch¬
land hatte man Anstoß an solcher Darstellung genommen; die Maler aber er¬
griffen die Gelegenheit, den nackten Körper in das Bereich ihrer Schöpfungen
zu ziehen, umso lieber, als er hier durch die Natur der Sache ebenso gerechtfertigt
war, wie bei der Darstellung von Adam und Eva im Paradiese. Zudem hat
sich bei Michelangelos Werk auch nach der Thätigkeit des „Hvsenmachers"
der Eindruck der Unkirchlichkeit nicht verloren; er kann es auch nicht, da er weit
tiefer liegt.
Die herrschende Auffassung des großen Werkes lehrt uns, daß die Werk¬
zeuge des Leidens Christi herbeigeschleppt werden als die „stummen Ankläger
der Verdammten, welche jetzt ihr Urteil empfangen. Und fo rufen denn auch
die Marterwerkzeuge, welche die einzelnen Heiligen vorweisen, zur Rache auf
und rechtfertigen das strenge Gericht" (Springer, Naffael und Michelangelo,
S. 427). Ebenso sagt Lübke in seiner „Geschichte der italienischen Malerei"
(II, S. 123): „daß rings der Kreis der Apostel fast drohend herandrängt, die
Zeichen ihres Martertums vorweisend, als wollten sie dadurch zu unbarm¬
herziger Rache auffordern." Wollte man es auch für möglich halten, daß
Heilige, zumal im Himmel, so unheilig empfinden sollten, daß sie statt an Ver¬
mittelung und Versöhnung vielmehr an Rache dächten, so fragt es sich doch,
wie eine solche Auffassung zu den thatsächlich vor uns stehenden Gestalten
stimmt. Da erblicken wir in der That nur scheues Zusammendrücken wie bei
Laurentius, furchtsames Zusammenfahren wie bei Petrus und Bartholomüus, ein
Hilihvrchen wie nach etwas Unglaublichen, Unfaßbarem, wie bei Adam, Angst
und Entsetzen bei der ihn wie ihre Stütze erfassender Eva, bei der sich in den
Schoß der Mutter flüchtenden Tochter — das Niobemotiv vor Auffindung der
Niobegrnppe —, wehevolles, verzweifelndes Sichabwenden und Sichvcrhnllen
bei der Maria. Der ganze Himmel scheint in Empörung — sollte das wirklich
eine Folge der Übereinstimmung mit dem Richterspruch sein und nicht vielmehr,
weil dieser Richterspruch mit seiner Verdammnis gegen die Erwartung, gegen
die Bestrebungen und Bemühungen der Heiligen und vor allem der Mutter
Gottes ausfällt? Und sollte das Entgegenhalten der Marterzeichen nicht die
Bedeutung haben: So haben wir gelitten, und das soll nun umsonst sein?
In stürmischer Eile werden Christi Marterwerkzeuge selbst herbeigeschleppt —
sollen sie nicht noch im letzten Augenblick den Richter mahnen, daß er ja selbst
den Versöhnnngstod erlitten hat, mit dem diese Verdammung so garnicht über¬
einstimmt? Maria kann das Schreckliche nicht sehen — sie wendet sich ab und
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