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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Das mündliche Verfahren im Zivilprozeß.

genötigt sind, die mündlichen Vorträge der Parteien so gut als möglich nach¬
zuschreiben, soweit sie nicht in den vorbereitenden Schriftsätzen enthalten sind
oder soweit sie von diesen abweichen. Eine solche Beschäftigung ist nun aber nicht
nur nicht die Aufgabe eines Richters, sondern auch der Sache selbst keineswegs
dienlich, denn infolge der körperlichen und geistigen, mit dem Nachschreiben
verbundenen Anstrengung wird die Konzentrirung der Aufmerksamkeit auf den
wesentlichen Inhalt der Vorträge erschwert oder ganz gehindert und gerade das
Gegenteil von dem erreicht, was man durch die Vorträge der Parteien in freier
Rede und Gegenrede hat erzielen wollen; nicht eine Belebung der Verhandlung,
sondern eine schädigende Abspannung der zum Urteilen berufenen Richter ist
die Folge.

Man hat die Mündlichkeit des Verfahrens gleichmäßig für Zivil- und
Strafprozeß eingeführt, und man kann sich der Erwägung nicht verschließen,
daß man die für den letzteren zweifellos vorliegenden Vorzüge der Unmittelbarkeit
der Verhandlung in zu hohem Maße auch dem ersteren vindizirt hat. Wenn
es im Strafprozesse von größter Wichtigkeit für den urteilenden Richter ist,
die Personen selbst zu sehen und zu hören, um deren Verschuldung oder Zeugnis
es sich handelt, weil der unmittelbare Eindruck der Person und Aussage zur
Bemessung ihrer Glaubwürdigkeit mit in betracht zu ziehen ist, so trifft dieser
Grund im Zivilverfahren nicht zu, da es hier in den seltensten Füllen überhaupt
die Partei selbst ist, welche ihre Behauptungen vorträgt, sondern deren Anwalt,
also der Gesichtspunkt der Möglichkeit der Prüfung der größeren oder geringeren,
aus dem persönlichen Eindrucke zu fvlgerndeu Glaubwürdigkeit der vortragenden
Person schon aus diesem Grnnde wegfüllt. Ebenso handelt es sich in Zivil¬
sachen häufig nicht um einfache geschehene oder nicht geschehene Thatsachen,
sondern um verwickelte Rechtsverhältnisse, nicht um die überraschende Beleuchtung
der subjektiven Momente einer That, sondern um die möglichst sachliche Dar¬
legung ganz trockener thatsächlicher und rechtlicher Fragen, welche nicht in freier,
glänzender Rede, sondern in sorgfältiger und pünktlicher Auseinandersetzung
ihre beste Vertretung finden. Diesem Erfordernisse wird aber sicherlich mehr
genügt durch eine gewissenhafte und genaue Vorbereitung als durch lebhaften
Vortrag, und die erstere ist nur möglich bei voraugeheuder schriftlicher Fixirung
des ganzen Streitverhältnisses.

Der Thatbestand des Urteils liefert rücksichtlich des mündlichen Partei-
Vorbringens einen Beweis, welcher mir durch das Sitzungsprotokoll entkräftet
werden kann. In das Sitzungsprotokvll sind aus dem Parteivorbringen auf¬
zunehmen nur die Parteianträge und die Anerkenntnisse, Verzichtleistungen nud
Vergleiche, durch welche der geltend gemachte Anspruch ganz oder teilweise erledigt
wird. Von dem übrigen Parteivorbringcn werden nur auf Antrag diejenigen
wesentlichen Erklärungen, welche in vorbereitenden Schriftsätzen nicht enthalten
sind, oder wesentliche Abweichungen von dem Inhalte solcher Schriftsätze durch


Das mündliche Verfahren im Zivilprozeß.

genötigt sind, die mündlichen Vorträge der Parteien so gut als möglich nach¬
zuschreiben, soweit sie nicht in den vorbereitenden Schriftsätzen enthalten sind
oder soweit sie von diesen abweichen. Eine solche Beschäftigung ist nun aber nicht
nur nicht die Aufgabe eines Richters, sondern auch der Sache selbst keineswegs
dienlich, denn infolge der körperlichen und geistigen, mit dem Nachschreiben
verbundenen Anstrengung wird die Konzentrirung der Aufmerksamkeit auf den
wesentlichen Inhalt der Vorträge erschwert oder ganz gehindert und gerade das
Gegenteil von dem erreicht, was man durch die Vorträge der Parteien in freier
Rede und Gegenrede hat erzielen wollen; nicht eine Belebung der Verhandlung,
sondern eine schädigende Abspannung der zum Urteilen berufenen Richter ist
die Folge.

Man hat die Mündlichkeit des Verfahrens gleichmäßig für Zivil- und
Strafprozeß eingeführt, und man kann sich der Erwägung nicht verschließen,
daß man die für den letzteren zweifellos vorliegenden Vorzüge der Unmittelbarkeit
der Verhandlung in zu hohem Maße auch dem ersteren vindizirt hat. Wenn
es im Strafprozesse von größter Wichtigkeit für den urteilenden Richter ist,
die Personen selbst zu sehen und zu hören, um deren Verschuldung oder Zeugnis
es sich handelt, weil der unmittelbare Eindruck der Person und Aussage zur
Bemessung ihrer Glaubwürdigkeit mit in betracht zu ziehen ist, so trifft dieser
Grund im Zivilverfahren nicht zu, da es hier in den seltensten Füllen überhaupt
die Partei selbst ist, welche ihre Behauptungen vorträgt, sondern deren Anwalt,
also der Gesichtspunkt der Möglichkeit der Prüfung der größeren oder geringeren,
aus dem persönlichen Eindrucke zu fvlgerndeu Glaubwürdigkeit der vortragenden
Person schon aus diesem Grnnde wegfüllt. Ebenso handelt es sich in Zivil¬
sachen häufig nicht um einfache geschehene oder nicht geschehene Thatsachen,
sondern um verwickelte Rechtsverhältnisse, nicht um die überraschende Beleuchtung
der subjektiven Momente einer That, sondern um die möglichst sachliche Dar¬
legung ganz trockener thatsächlicher und rechtlicher Fragen, welche nicht in freier,
glänzender Rede, sondern in sorgfältiger und pünktlicher Auseinandersetzung
ihre beste Vertretung finden. Diesem Erfordernisse wird aber sicherlich mehr
genügt durch eine gewissenhafte und genaue Vorbereitung als durch lebhaften
Vortrag, und die erstere ist nur möglich bei voraugeheuder schriftlicher Fixirung
des ganzen Streitverhältnisses.

Der Thatbestand des Urteils liefert rücksichtlich des mündlichen Partei-
Vorbringens einen Beweis, welcher mir durch das Sitzungsprotokoll entkräftet
werden kann. In das Sitzungsprotokvll sind aus dem Parteivorbringen auf¬
zunehmen nur die Parteianträge und die Anerkenntnisse, Verzichtleistungen nud
Vergleiche, durch welche der geltend gemachte Anspruch ganz oder teilweise erledigt
wird. Von dem übrigen Parteivorbringcn werden nur auf Antrag diejenigen
wesentlichen Erklärungen, welche in vorbereitenden Schriftsätzen nicht enthalten
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[0598] Das mündliche Verfahren im Zivilprozeß. genötigt sind, die mündlichen Vorträge der Parteien so gut als möglich nach¬ zuschreiben, soweit sie nicht in den vorbereitenden Schriftsätzen enthalten sind oder soweit sie von diesen abweichen. Eine solche Beschäftigung ist nun aber nicht nur nicht die Aufgabe eines Richters, sondern auch der Sache selbst keineswegs dienlich, denn infolge der körperlichen und geistigen, mit dem Nachschreiben verbundenen Anstrengung wird die Konzentrirung der Aufmerksamkeit auf den wesentlichen Inhalt der Vorträge erschwert oder ganz gehindert und gerade das Gegenteil von dem erreicht, was man durch die Vorträge der Parteien in freier Rede und Gegenrede hat erzielen wollen; nicht eine Belebung der Verhandlung, sondern eine schädigende Abspannung der zum Urteilen berufenen Richter ist die Folge. Man hat die Mündlichkeit des Verfahrens gleichmäßig für Zivil- und Strafprozeß eingeführt, und man kann sich der Erwägung nicht verschließen, daß man die für den letzteren zweifellos vorliegenden Vorzüge der Unmittelbarkeit der Verhandlung in zu hohem Maße auch dem ersteren vindizirt hat. Wenn es im Strafprozesse von größter Wichtigkeit für den urteilenden Richter ist, die Personen selbst zu sehen und zu hören, um deren Verschuldung oder Zeugnis es sich handelt, weil der unmittelbare Eindruck der Person und Aussage zur Bemessung ihrer Glaubwürdigkeit mit in betracht zu ziehen ist, so trifft dieser Grund im Zivilverfahren nicht zu, da es hier in den seltensten Füllen überhaupt die Partei selbst ist, welche ihre Behauptungen vorträgt, sondern deren Anwalt, also der Gesichtspunkt der Möglichkeit der Prüfung der größeren oder geringeren, aus dem persönlichen Eindrucke zu fvlgerndeu Glaubwürdigkeit der vortragenden Person schon aus diesem Grnnde wegfüllt. Ebenso handelt es sich in Zivil¬ sachen häufig nicht um einfache geschehene oder nicht geschehene Thatsachen, sondern um verwickelte Rechtsverhältnisse, nicht um die überraschende Beleuchtung der subjektiven Momente einer That, sondern um die möglichst sachliche Dar¬ legung ganz trockener thatsächlicher und rechtlicher Fragen, welche nicht in freier, glänzender Rede, sondern in sorgfältiger und pünktlicher Auseinandersetzung ihre beste Vertretung finden. Diesem Erfordernisse wird aber sicherlich mehr genügt durch eine gewissenhafte und genaue Vorbereitung als durch lebhaften Vortrag, und die erstere ist nur möglich bei voraugeheuder schriftlicher Fixirung des ganzen Streitverhältnisses. Der Thatbestand des Urteils liefert rücksichtlich des mündlichen Partei- Vorbringens einen Beweis, welcher mir durch das Sitzungsprotokoll entkräftet werden kann. In das Sitzungsprotokvll sind aus dem Parteivorbringen auf¬ zunehmen nur die Parteianträge und die Anerkenntnisse, Verzichtleistungen nud Vergleiche, durch welche der geltend gemachte Anspruch ganz oder teilweise erledigt wird. Von dem übrigen Parteivorbringcn werden nur auf Antrag diejenigen wesentlichen Erklärungen, welche in vorbereitenden Schriftsätzen nicht enthalten sind, oder wesentliche Abweichungen von dem Inhalte solcher Schriftsätze durch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/598>, abgerufen am 27.06.2024.