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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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terminer berücksichtigt werden darf und jede nicht mündlich vorgetragene
Behauptung als nicht vorgetragen gilt, gleichviel ob sie in den der mündlichen
Verhandlung vorangehenden, diese vorbereitenden Schriftsätzen niedergelegt ist
oder nicht. Da nämlich sowohl der Gegner als das erkennende Gericht wenigstens
soweit vor der Verhandlung einer Sache orientirt sein sollen, daß sie wissen,
was verlangt wird, so ist der Schriftlichkeit die Konzession gemacht, daß in
Anwaltsprozessen (allen nicht vor den Amtsgerichten verhandelten Rechts-
streitigkeiten) die mündliche Verhandlung durch Schriftsätze vorbereitet werde,
welche die von der Partei in der Gerichtssitzung zu stellenden Anträge und die
Angabe der zu ihrer Begründung dienenden thatsächlichen Verhältnisse enthalten
sollen. Die Notwendigkeit, das der Entscheidung zugrunde liegende Sach¬
verhältnis fixirt zu haben, sowohl um den Parteien einen Beweis dafür zu
geben, daß ihr Sämtliches Vordringen berücksichtigt worden ist, als auch um dem
Richter höherer Instanz die Möglichkeit zu gewähren, beurteilen zu können, ob
das vorgebrachte thatsächliche Material richtig gewürdigt worden sei, führte
folgerichtig weiter dazu, eine schriftliche Darstellung des Sach- und Streitstandes
zwischen den Parteien zu verlangen und, da man sich dem System des
französischen, aus diesem in das frühere rheinische Recht übernommenen Ver¬
fahrens, nach welchem diesen Thatbestand die Partcianwälte anzufertigen haben,
als einer auf die Spitze getriebenen Konsequenz des Grundsatzes der reinen
Entscheidungsthätigkeit des Richters nicht anschließen wollte, weil es deutscheu
Rechtsanschauungen widerspreche, ein Urteil teilweise von Anwälten bearbeiten
zu lassen, zur Zuweisung dieser Arbeit an den Richter. Der Richter hat also,
da er, wie gesagt, nur das mündliche Anbringen der Parteien berücksichtigen
darf und ihm nicht wie im früheren rheinischen Verfahren gestattet ist, auch
das in den hinterlegten vorbereitenden Schriftsätzen vorgetragene thatsächliche
Material zu verwerten, den Thatbestand nach den mündlichen Vorträgen der
Parteien anzufertigen und ist, da die Nichtbeachtung der Vorschrift der Vor¬
bereitung der mündlichen Verhandlung durch einen die wesentlichsten Grundlagen
des Rechtsanspruchs enthaltenden Schriftsatz sachlich von keinem Nachteile be¬
gleitet ist und demgemäß völlig vom Belieben der betreffenden Partei ab¬
hängt, wie viel oder wie wenig sie in dieser Richtung in ihren vorbereitenden
Schriftsatz aufnehmen will, bei der Anfertigung des ihm obliegenden That>
bestandes entweder auf die Notizen, welche er sich während des mündlichen
Vortrags gemacht hat oder, wenn ihm die Nachschrift aus irgendeinem Grnnde
nicht möglich ist, lediglich auf sein Gedächtnis angewiesen.

Man wird nun wohl behaupten dürfen, daß es sehr wenige Richter geben
wird, welche bei einer größern Zahl verhandelter Rechtssachen und einem mehr¬
stündigen Vortrage das ganze vorgetragene, oft sehr verwickelte Material im
Gedächtnisse behalten können, daß sie vielmehr durchaus nötig haben, ihr
Gedächtnis durch schriftliche Fixirungen zu unterstützen, und daß sie deshalb


terminer berücksichtigt werden darf und jede nicht mündlich vorgetragene
Behauptung als nicht vorgetragen gilt, gleichviel ob sie in den der mündlichen
Verhandlung vorangehenden, diese vorbereitenden Schriftsätzen niedergelegt ist
oder nicht. Da nämlich sowohl der Gegner als das erkennende Gericht wenigstens
soweit vor der Verhandlung einer Sache orientirt sein sollen, daß sie wissen,
was verlangt wird, so ist der Schriftlichkeit die Konzession gemacht, daß in
Anwaltsprozessen (allen nicht vor den Amtsgerichten verhandelten Rechts-
streitigkeiten) die mündliche Verhandlung durch Schriftsätze vorbereitet werde,
welche die von der Partei in der Gerichtssitzung zu stellenden Anträge und die
Angabe der zu ihrer Begründung dienenden thatsächlichen Verhältnisse enthalten
sollen. Die Notwendigkeit, das der Entscheidung zugrunde liegende Sach¬
verhältnis fixirt zu haben, sowohl um den Parteien einen Beweis dafür zu
geben, daß ihr Sämtliches Vordringen berücksichtigt worden ist, als auch um dem
Richter höherer Instanz die Möglichkeit zu gewähren, beurteilen zu können, ob
das vorgebrachte thatsächliche Material richtig gewürdigt worden sei, führte
folgerichtig weiter dazu, eine schriftliche Darstellung des Sach- und Streitstandes
zwischen den Parteien zu verlangen und, da man sich dem System des
französischen, aus diesem in das frühere rheinische Recht übernommenen Ver¬
fahrens, nach welchem diesen Thatbestand die Partcianwälte anzufertigen haben,
als einer auf die Spitze getriebenen Konsequenz des Grundsatzes der reinen
Entscheidungsthätigkeit des Richters nicht anschließen wollte, weil es deutscheu
Rechtsanschauungen widerspreche, ein Urteil teilweise von Anwälten bearbeiten
zu lassen, zur Zuweisung dieser Arbeit an den Richter. Der Richter hat also,
da er, wie gesagt, nur das mündliche Anbringen der Parteien berücksichtigen
darf und ihm nicht wie im früheren rheinischen Verfahren gestattet ist, auch
das in den hinterlegten vorbereitenden Schriftsätzen vorgetragene thatsächliche
Material zu verwerten, den Thatbestand nach den mündlichen Vorträgen der
Parteien anzufertigen und ist, da die Nichtbeachtung der Vorschrift der Vor¬
bereitung der mündlichen Verhandlung durch einen die wesentlichsten Grundlagen
des Rechtsanspruchs enthaltenden Schriftsatz sachlich von keinem Nachteile be¬
gleitet ist und demgemäß völlig vom Belieben der betreffenden Partei ab¬
hängt, wie viel oder wie wenig sie in dieser Richtung in ihren vorbereitenden
Schriftsatz aufnehmen will, bei der Anfertigung des ihm obliegenden That>
bestandes entweder auf die Notizen, welche er sich während des mündlichen
Vortrags gemacht hat oder, wenn ihm die Nachschrift aus irgendeinem Grnnde
nicht möglich ist, lediglich auf sein Gedächtnis angewiesen.

Man wird nun wohl behaupten dürfen, daß es sehr wenige Richter geben
wird, welche bei einer größern Zahl verhandelter Rechtssachen und einem mehr¬
stündigen Vortrage das ganze vorgetragene, oft sehr verwickelte Material im
Gedächtnisse behalten können, daß sie vielmehr durchaus nötig haben, ihr
Gedächtnis durch schriftliche Fixirungen zu unterstützen, und daß sie deshalb


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[0597] terminer berücksichtigt werden darf und jede nicht mündlich vorgetragene Behauptung als nicht vorgetragen gilt, gleichviel ob sie in den der mündlichen Verhandlung vorangehenden, diese vorbereitenden Schriftsätzen niedergelegt ist oder nicht. Da nämlich sowohl der Gegner als das erkennende Gericht wenigstens soweit vor der Verhandlung einer Sache orientirt sein sollen, daß sie wissen, was verlangt wird, so ist der Schriftlichkeit die Konzession gemacht, daß in Anwaltsprozessen (allen nicht vor den Amtsgerichten verhandelten Rechts- streitigkeiten) die mündliche Verhandlung durch Schriftsätze vorbereitet werde, welche die von der Partei in der Gerichtssitzung zu stellenden Anträge und die Angabe der zu ihrer Begründung dienenden thatsächlichen Verhältnisse enthalten sollen. Die Notwendigkeit, das der Entscheidung zugrunde liegende Sach¬ verhältnis fixirt zu haben, sowohl um den Parteien einen Beweis dafür zu geben, daß ihr Sämtliches Vordringen berücksichtigt worden ist, als auch um dem Richter höherer Instanz die Möglichkeit zu gewähren, beurteilen zu können, ob das vorgebrachte thatsächliche Material richtig gewürdigt worden sei, führte folgerichtig weiter dazu, eine schriftliche Darstellung des Sach- und Streitstandes zwischen den Parteien zu verlangen und, da man sich dem System des französischen, aus diesem in das frühere rheinische Recht übernommenen Ver¬ fahrens, nach welchem diesen Thatbestand die Partcianwälte anzufertigen haben, als einer auf die Spitze getriebenen Konsequenz des Grundsatzes der reinen Entscheidungsthätigkeit des Richters nicht anschließen wollte, weil es deutscheu Rechtsanschauungen widerspreche, ein Urteil teilweise von Anwälten bearbeiten zu lassen, zur Zuweisung dieser Arbeit an den Richter. Der Richter hat also, da er, wie gesagt, nur das mündliche Anbringen der Parteien berücksichtigen darf und ihm nicht wie im früheren rheinischen Verfahren gestattet ist, auch das in den hinterlegten vorbereitenden Schriftsätzen vorgetragene thatsächliche Material zu verwerten, den Thatbestand nach den mündlichen Vorträgen der Parteien anzufertigen und ist, da die Nichtbeachtung der Vorschrift der Vor¬ bereitung der mündlichen Verhandlung durch einen die wesentlichsten Grundlagen des Rechtsanspruchs enthaltenden Schriftsatz sachlich von keinem Nachteile be¬ gleitet ist und demgemäß völlig vom Belieben der betreffenden Partei ab¬ hängt, wie viel oder wie wenig sie in dieser Richtung in ihren vorbereitenden Schriftsatz aufnehmen will, bei der Anfertigung des ihm obliegenden That> bestandes entweder auf die Notizen, welche er sich während des mündlichen Vortrags gemacht hat oder, wenn ihm die Nachschrift aus irgendeinem Grnnde nicht möglich ist, lediglich auf sein Gedächtnis angewiesen. Man wird nun wohl behaupten dürfen, daß es sehr wenige Richter geben wird, welche bei einer größern Zahl verhandelter Rechtssachen und einem mehr¬ stündigen Vortrage das ganze vorgetragene, oft sehr verwickelte Material im Gedächtnisse behalten können, daß sie vielmehr durchaus nötig haben, ihr Gedächtnis durch schriftliche Fixirungen zu unterstützen, und daß sie deshalb

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/597>, abgerufen am 27.09.2024.