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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Das mündliche Verfahren im Zivilprozeß.

Die hartgesottenen Reaktionäre auf beiden Seiten und die schwarze, die
rote und die goldne Internationale müssen wir aufgeben. Alle übrigen werden
sich um das nationale, das Kaiserbanner scharen, ohne daß sie deshalb ihre
besondern Fähnlein zu verleugnen brauchen. Nachher bei der Arbeit mögen die
verschiednen Standpunkte zur Geltung gebracht werden, sür die Schlacht ordnen
sich alle kleinen Feldzeichen unter, gilt kein Vorbehalt und keine Ausflucht.
"National" heißt die Parole!




Das mündliche Verfahren im Zivilprozeß.

as mit den Bestrebungen nach politischer Einigung zugleich sich
geltend machende Bedürfnis, eine Einheit des Rechtes zu erlangen,
hat bekanntlich dazu geführt, die von einer Reihe einzelner Staaten
vor Gründung des Reiches an Stelle des gemeinen Prozesses
eingeführten Prozeßordnungen durch Gesetze, die für das ganze
Reich giltig sind, zu ersetzen und damit den Erfordernissen des Verkehrs, welcher
in einer vielgestaltigen Rechtsordnung ein schädigendes Hemmnis findet, gerecht
zu werden. Der von den Einzelstaaten schon früher erlassene, aus Italien zu
uns verpflanzte kanonisch-römische, sogenannte gemeine Prozeß konnte wegen
seiner Schwerfälligkeit, seiner Verschleppbarkeit und seiner bei dreifachem Jn-
stanzenzuge unausbleiblichen Langsamkeit nicht mehr die Grundlage des anzu¬
strebenden Verfahrens bilden; man hatte sich daher entschlossen, auf andrer,
teilweise dem französischen Rechte entnommener Basis einen Prozeß zu konstruiren,
welcher dem Streben nach Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens
gebührend Rechnung tragen und hierbei der seit längerer Zeit im deutschen Pro¬
zesse erkennbaren Bewegung auf Beseitigung hemmender Formen Folge geben sollte.
Als Hauptübel wurde die Schriftlichkeit des Verfahrens angesehen und demgemäß
an Stelle dieser Prozedur die Mündlichkeit, d. h. die Unmittelbarkeit der Ver¬
handlung des anhängigen Rechtsstreits durch die Parteien vor dem erkennenden
Gerichte eingeführt. Die Schriftlichkeit des Verfahrens, d. h. die Vorschrift,
daß alle von den Parteien geltend zu machenden Thatsachen und Rechtsbehelfe
in Schriftsätzen niedergelegt sein mußten, welche zu den Gcrichtsakten kamen
und die Grundlage der schließlich ergehenden Entscheidung bildeten, wurde dadurch
ersetzt, daß nunmehr im gleichzeitigen Parteiverfahren -- die einseitigen Partei¬
anträge und die richterlichen Verfügungen in mehr administrativer als prozessua-
lischer Thätigkeit (Arreste, Zwangsvollstreckung u. s. w.) kommen hier nicht in
betracht -- nur das mündliche Vordringen der Parteien in den Verhandlungs-


Das mündliche Verfahren im Zivilprozeß.

Die hartgesottenen Reaktionäre auf beiden Seiten und die schwarze, die
rote und die goldne Internationale müssen wir aufgeben. Alle übrigen werden
sich um das nationale, das Kaiserbanner scharen, ohne daß sie deshalb ihre
besondern Fähnlein zu verleugnen brauchen. Nachher bei der Arbeit mögen die
verschiednen Standpunkte zur Geltung gebracht werden, sür die Schlacht ordnen
sich alle kleinen Feldzeichen unter, gilt kein Vorbehalt und keine Ausflucht.
„National" heißt die Parole!




Das mündliche Verfahren im Zivilprozeß.

as mit den Bestrebungen nach politischer Einigung zugleich sich
geltend machende Bedürfnis, eine Einheit des Rechtes zu erlangen,
hat bekanntlich dazu geführt, die von einer Reihe einzelner Staaten
vor Gründung des Reiches an Stelle des gemeinen Prozesses
eingeführten Prozeßordnungen durch Gesetze, die für das ganze
Reich giltig sind, zu ersetzen und damit den Erfordernissen des Verkehrs, welcher
in einer vielgestaltigen Rechtsordnung ein schädigendes Hemmnis findet, gerecht
zu werden. Der von den Einzelstaaten schon früher erlassene, aus Italien zu
uns verpflanzte kanonisch-römische, sogenannte gemeine Prozeß konnte wegen
seiner Schwerfälligkeit, seiner Verschleppbarkeit und seiner bei dreifachem Jn-
stanzenzuge unausbleiblichen Langsamkeit nicht mehr die Grundlage des anzu¬
strebenden Verfahrens bilden; man hatte sich daher entschlossen, auf andrer,
teilweise dem französischen Rechte entnommener Basis einen Prozeß zu konstruiren,
welcher dem Streben nach Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens
gebührend Rechnung tragen und hierbei der seit längerer Zeit im deutschen Pro¬
zesse erkennbaren Bewegung auf Beseitigung hemmender Formen Folge geben sollte.
Als Hauptübel wurde die Schriftlichkeit des Verfahrens angesehen und demgemäß
an Stelle dieser Prozedur die Mündlichkeit, d. h. die Unmittelbarkeit der Ver¬
handlung des anhängigen Rechtsstreits durch die Parteien vor dem erkennenden
Gerichte eingeführt. Die Schriftlichkeit des Verfahrens, d. h. die Vorschrift,
daß alle von den Parteien geltend zu machenden Thatsachen und Rechtsbehelfe
in Schriftsätzen niedergelegt sein mußten, welche zu den Gcrichtsakten kamen
und die Grundlage der schließlich ergehenden Entscheidung bildeten, wurde dadurch
ersetzt, daß nunmehr im gleichzeitigen Parteiverfahren — die einseitigen Partei¬
anträge und die richterlichen Verfügungen in mehr administrativer als prozessua-
lischer Thätigkeit (Arreste, Zwangsvollstreckung u. s. w.) kommen hier nicht in
betracht — nur das mündliche Vordringen der Parteien in den Verhandlungs-


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[0596] Das mündliche Verfahren im Zivilprozeß. Die hartgesottenen Reaktionäre auf beiden Seiten und die schwarze, die rote und die goldne Internationale müssen wir aufgeben. Alle übrigen werden sich um das nationale, das Kaiserbanner scharen, ohne daß sie deshalb ihre besondern Fähnlein zu verleugnen brauchen. Nachher bei der Arbeit mögen die verschiednen Standpunkte zur Geltung gebracht werden, sür die Schlacht ordnen sich alle kleinen Feldzeichen unter, gilt kein Vorbehalt und keine Ausflucht. „National" heißt die Parole! Das mündliche Verfahren im Zivilprozeß. as mit den Bestrebungen nach politischer Einigung zugleich sich geltend machende Bedürfnis, eine Einheit des Rechtes zu erlangen, hat bekanntlich dazu geführt, die von einer Reihe einzelner Staaten vor Gründung des Reiches an Stelle des gemeinen Prozesses eingeführten Prozeßordnungen durch Gesetze, die für das ganze Reich giltig sind, zu ersetzen und damit den Erfordernissen des Verkehrs, welcher in einer vielgestaltigen Rechtsordnung ein schädigendes Hemmnis findet, gerecht zu werden. Der von den Einzelstaaten schon früher erlassene, aus Italien zu uns verpflanzte kanonisch-römische, sogenannte gemeine Prozeß konnte wegen seiner Schwerfälligkeit, seiner Verschleppbarkeit und seiner bei dreifachem Jn- stanzenzuge unausbleiblichen Langsamkeit nicht mehr die Grundlage des anzu¬ strebenden Verfahrens bilden; man hatte sich daher entschlossen, auf andrer, teilweise dem französischen Rechte entnommener Basis einen Prozeß zu konstruiren, welcher dem Streben nach Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens gebührend Rechnung tragen und hierbei der seit längerer Zeit im deutschen Pro¬ zesse erkennbaren Bewegung auf Beseitigung hemmender Formen Folge geben sollte. Als Hauptübel wurde die Schriftlichkeit des Verfahrens angesehen und demgemäß an Stelle dieser Prozedur die Mündlichkeit, d. h. die Unmittelbarkeit der Ver¬ handlung des anhängigen Rechtsstreits durch die Parteien vor dem erkennenden Gerichte eingeführt. Die Schriftlichkeit des Verfahrens, d. h. die Vorschrift, daß alle von den Parteien geltend zu machenden Thatsachen und Rechtsbehelfe in Schriftsätzen niedergelegt sein mußten, welche zu den Gcrichtsakten kamen und die Grundlage der schließlich ergehenden Entscheidung bildeten, wurde dadurch ersetzt, daß nunmehr im gleichzeitigen Parteiverfahren — die einseitigen Partei¬ anträge und die richterlichen Verfügungen in mehr administrativer als prozessua- lischer Thätigkeit (Arreste, Zwangsvollstreckung u. s. w.) kommen hier nicht in betracht — nur das mündliche Vordringen der Parteien in den Verhandlungs-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/596>, abgerufen am 27.06.2024.