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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die große Kunstausstellung in Berlin.

gesichts dieser überaus schwachen und in der Farbe höchst unerfreulichen Kom¬
positionen, welche jedes genialen oder auch nur volkstümlichen Zuges völlig
bar sind, dürfte es am Ende denen, welche vor Jahren die Entscheidung zu
Gunsten des ausführenden Künstlers trotz andrer, bei weitem überlegener
Konkurrenz arbeiten herbeigeführt haben, doch unheimlich werden. Gerade an
dieser historischen, durch eine stolze Überlieferung geheiligten Stelle hätte
eine so kraftlose und unverständliche Allegorie, wie die des Mittelbildes
an der Längenwand, nicht zur Ausführung kommen dürfen. Die Kaiser-
Proklamation in Versailles in ihrer nüchternen, aber darum doppelt im-
Ponirenden Wirklichkeit wäre der einzige Akt gewesen, der über dem alten
Kaiserstuhle der salischen Herrscher hätte zur Darstellung kommen müssen. Auch
die Wandgemälde im Treppenhause des Kasseler Regierungsgebäudes werden
als durchaus verunglückt geschildert. Das kann garnicht Wunder nehmen, da
der Urheber derselben, Joseph Scheurenberg, ein tüchtiger, liebenswürdiger
Genremaler ist, dem gelegentlich wohl auch ein gutes Porträt gelingt, der aber
den Stilforderungen der monumentalen Malerei völlig fremd gegenübersteht.
Unsre Ausstellung hat von ihm ein vortreffliches Selbstporträt und ein hübsches
Genrebild aufzuweisen: ein ländliches Liebespaar, welches fest umschlungen zur
Sommerszeit durch den sonnenhellen Wald schreitet. Er war eine kurze Zeit
Lehrer an der Kunstakademie in Kassel; aber dieses Amt befähigte ihn, wie die
That bewiesen hat, noch nicht zu monumentalen Malereien.

Noch schlimmere Beispiele sind auf unsrer Ausstellung zu sehen. Paul
Thumann ist ein gewandter Zeichner, dessen anmutendes Formentalent besonders
den Neigungen der Damenwelt entgegenkommt. Seine Illustrationen zu
Chamisso, Robert Hamerling und Heine haben bei jungen und alten Damen
großes Glück gemacht, und seine in Öl ausgeführten Studientopfe und Genre¬
bilder mit hübschen Liebespaaren sind namentlich in photographischen Repro¬
duktionen sehr begehrt. Daß el" Künstler, dessen Begabung in diesen Grenzen
beschlossen ist, sich nicht zur Ausführung von Historienbildern mit lebensgroßen
Figuren eignet, war vorauszusehen. Da es aber das Prinzip der Kunstver¬
waltung zu sein scheint, daß ein jeder an dem gedeckten Tische Play nehmen
soll, so erhielt auch er seinen Staatsauftrag: zwei umfangreiche Gemälde für
die Aula des Gymnasiums zu Minden, die Heimkehr der Deutschen aus der
Schlacht am Teutoburger Walde und die Taufe Wittekinds. Jenes haben wir
im vorigen Jahre in München gesehen, die Bekanntschaft des andern machen
wir auf unsrer Ausstellung. Beide sind gleich verfehlt. Es sind große,
schwächlich kolorirte Illustrationen ohne Charakter und Leben. Männer und
Frauen sind von derselben süßlichen Eleganz umflossen. Ihre Gewänder sind
kokett arrangirt und glatt gebügelt, als kämen sie eben vom Schneider, und die
Haare sind gesalbt und frisirt, wie die der griechischen Jünglinge, welche ihren
schmachtenden Schönen sub rosa den Hof machen. Fade und flau, das ist in


Die große Kunstausstellung in Berlin.

gesichts dieser überaus schwachen und in der Farbe höchst unerfreulichen Kom¬
positionen, welche jedes genialen oder auch nur volkstümlichen Zuges völlig
bar sind, dürfte es am Ende denen, welche vor Jahren die Entscheidung zu
Gunsten des ausführenden Künstlers trotz andrer, bei weitem überlegener
Konkurrenz arbeiten herbeigeführt haben, doch unheimlich werden. Gerade an
dieser historischen, durch eine stolze Überlieferung geheiligten Stelle hätte
eine so kraftlose und unverständliche Allegorie, wie die des Mittelbildes
an der Längenwand, nicht zur Ausführung kommen dürfen. Die Kaiser-
Proklamation in Versailles in ihrer nüchternen, aber darum doppelt im-
Ponirenden Wirklichkeit wäre der einzige Akt gewesen, der über dem alten
Kaiserstuhle der salischen Herrscher hätte zur Darstellung kommen müssen. Auch
die Wandgemälde im Treppenhause des Kasseler Regierungsgebäudes werden
als durchaus verunglückt geschildert. Das kann garnicht Wunder nehmen, da
der Urheber derselben, Joseph Scheurenberg, ein tüchtiger, liebenswürdiger
Genremaler ist, dem gelegentlich wohl auch ein gutes Porträt gelingt, der aber
den Stilforderungen der monumentalen Malerei völlig fremd gegenübersteht.
Unsre Ausstellung hat von ihm ein vortreffliches Selbstporträt und ein hübsches
Genrebild aufzuweisen: ein ländliches Liebespaar, welches fest umschlungen zur
Sommerszeit durch den sonnenhellen Wald schreitet. Er war eine kurze Zeit
Lehrer an der Kunstakademie in Kassel; aber dieses Amt befähigte ihn, wie die
That bewiesen hat, noch nicht zu monumentalen Malereien.

Noch schlimmere Beispiele sind auf unsrer Ausstellung zu sehen. Paul
Thumann ist ein gewandter Zeichner, dessen anmutendes Formentalent besonders
den Neigungen der Damenwelt entgegenkommt. Seine Illustrationen zu
Chamisso, Robert Hamerling und Heine haben bei jungen und alten Damen
großes Glück gemacht, und seine in Öl ausgeführten Studientopfe und Genre¬
bilder mit hübschen Liebespaaren sind namentlich in photographischen Repro¬
duktionen sehr begehrt. Daß el» Künstler, dessen Begabung in diesen Grenzen
beschlossen ist, sich nicht zur Ausführung von Historienbildern mit lebensgroßen
Figuren eignet, war vorauszusehen. Da es aber das Prinzip der Kunstver¬
waltung zu sein scheint, daß ein jeder an dem gedeckten Tische Play nehmen
soll, so erhielt auch er seinen Staatsauftrag: zwei umfangreiche Gemälde für
die Aula des Gymnasiums zu Minden, die Heimkehr der Deutschen aus der
Schlacht am Teutoburger Walde und die Taufe Wittekinds. Jenes haben wir
im vorigen Jahre in München gesehen, die Bekanntschaft des andern machen
wir auf unsrer Ausstellung. Beide sind gleich verfehlt. Es sind große,
schwächlich kolorirte Illustrationen ohne Charakter und Leben. Männer und
Frauen sind von derselben süßlichen Eleganz umflossen. Ihre Gewänder sind
kokett arrangirt und glatt gebügelt, als kämen sie eben vom Schneider, und die
Haare sind gesalbt und frisirt, wie die der griechischen Jünglinge, welche ihren
schmachtenden Schönen sub rosa den Hof machen. Fade und flau, das ist in


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[0575] Die große Kunstausstellung in Berlin. gesichts dieser überaus schwachen und in der Farbe höchst unerfreulichen Kom¬ positionen, welche jedes genialen oder auch nur volkstümlichen Zuges völlig bar sind, dürfte es am Ende denen, welche vor Jahren die Entscheidung zu Gunsten des ausführenden Künstlers trotz andrer, bei weitem überlegener Konkurrenz arbeiten herbeigeführt haben, doch unheimlich werden. Gerade an dieser historischen, durch eine stolze Überlieferung geheiligten Stelle hätte eine so kraftlose und unverständliche Allegorie, wie die des Mittelbildes an der Längenwand, nicht zur Ausführung kommen dürfen. Die Kaiser- Proklamation in Versailles in ihrer nüchternen, aber darum doppelt im- Ponirenden Wirklichkeit wäre der einzige Akt gewesen, der über dem alten Kaiserstuhle der salischen Herrscher hätte zur Darstellung kommen müssen. Auch die Wandgemälde im Treppenhause des Kasseler Regierungsgebäudes werden als durchaus verunglückt geschildert. Das kann garnicht Wunder nehmen, da der Urheber derselben, Joseph Scheurenberg, ein tüchtiger, liebenswürdiger Genremaler ist, dem gelegentlich wohl auch ein gutes Porträt gelingt, der aber den Stilforderungen der monumentalen Malerei völlig fremd gegenübersteht. Unsre Ausstellung hat von ihm ein vortreffliches Selbstporträt und ein hübsches Genrebild aufzuweisen: ein ländliches Liebespaar, welches fest umschlungen zur Sommerszeit durch den sonnenhellen Wald schreitet. Er war eine kurze Zeit Lehrer an der Kunstakademie in Kassel; aber dieses Amt befähigte ihn, wie die That bewiesen hat, noch nicht zu monumentalen Malereien. Noch schlimmere Beispiele sind auf unsrer Ausstellung zu sehen. Paul Thumann ist ein gewandter Zeichner, dessen anmutendes Formentalent besonders den Neigungen der Damenwelt entgegenkommt. Seine Illustrationen zu Chamisso, Robert Hamerling und Heine haben bei jungen und alten Damen großes Glück gemacht, und seine in Öl ausgeführten Studientopfe und Genre¬ bilder mit hübschen Liebespaaren sind namentlich in photographischen Repro¬ duktionen sehr begehrt. Daß el» Künstler, dessen Begabung in diesen Grenzen beschlossen ist, sich nicht zur Ausführung von Historienbildern mit lebensgroßen Figuren eignet, war vorauszusehen. Da es aber das Prinzip der Kunstver¬ waltung zu sein scheint, daß ein jeder an dem gedeckten Tische Play nehmen soll, so erhielt auch er seinen Staatsauftrag: zwei umfangreiche Gemälde für die Aula des Gymnasiums zu Minden, die Heimkehr der Deutschen aus der Schlacht am Teutoburger Walde und die Taufe Wittekinds. Jenes haben wir im vorigen Jahre in München gesehen, die Bekanntschaft des andern machen wir auf unsrer Ausstellung. Beide sind gleich verfehlt. Es sind große, schwächlich kolorirte Illustrationen ohne Charakter und Leben. Männer und Frauen sind von derselben süßlichen Eleganz umflossen. Ihre Gewänder sind kokett arrangirt und glatt gebügelt, als kämen sie eben vom Schneider, und die Haare sind gesalbt und frisirt, wie die der griechischen Jünglinge, welche ihren schmachtenden Schönen sub rosa den Hof machen. Fade und flau, das ist in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/575>, abgerufen am 27.06.2024.