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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die große Kunstausstellung in Berlin.

zwei Worten die Signatur dieser großen Malereien, deren Auftrag ganz und
gar an den Unrechten gekommen ist.

Nicht viel besser scheint es mit dem sür die Aula des Gymnasiums in
Bromberg bestimmten Friese von Otto Brausewetter zu stehen, soweit sich nach
dem einen auf der Ausstellung befindlichen Teile urteilen läßt. In der Mitte
sind gymnastische Übungen antiker Jünglinge und Männer dargestellt und an
den Ecken stehen Alexander der Große und Julius Cäsar, wie es im Kataloge
heißt, "als Repräsentanten der Thatkraft." In Wahrheit aber sehen diese Helden
des Altertums wie Kartenkönige aus. Otto Vrausewetter ist ein Genremaler
und Illustrator, welcher bisher fast ausschließlich Stoffe aus dem romantischen
Mittelalter behandelt hatte. Mit besonderm Eifer hat er Kostümftudien ge¬
macht, und dadurch weiß er seine Bilder mit malerischen Reizen zu erfüllen.
Jetzt wird er mit einemmale vor eine Aufgabe gestellt, die ihn nicht nur in
eine gänzlich neue Ideen- und Gestaltenwelt führt, sondern die auch von ihm
verlangt, nackte Figuren in großem Stile zu schaffen und sich über sein Ver¬
mögen hinaus auszudehnen. Man sieht seiner Arbeit in jeder Linie das red¬
lichste Bemühen an; aber nichtsdestoweniger ist sie verfehlt, weil dem Künstler
der Begriff des Stils fehlt. Er hat seine Modelle mit großem Fleiß nach¬
gebildet; von dem Geiste der Antike ist jedoch keine Spur in seiner Komposition
vorhanden.

Auch Otto Kullich vierter Fries für die Berliner Universitätsbibliothek,
auf welchen man nach den drei vorausgegangenen gewisse Hoffnungen bauen
durfte, hat diesen Erwartungen nicht entsprochen. Der erste Fries schilderte
die Blüte Griechenlands und zwar in zwei Abteilungen, indem einerseits die
gymnastischen Übungen der Männer und Jünglinge, andrerseits der Unterricht
in der Philosophie als die Grundlagen jener Blüte auf dem Boden Athens
hingestellt wurden. Der zweite Fries war der mittelalterlichen Kultur gewidmet:
in einer Disputation von Lehrern der Sorbonne vor Ludwig dem Heiligen,
zu welchen sich Dante gesellt, war der Niedergang scholastischer Gelehrsamkeit
und das Aufdämmern des Humanismus symbolisirt. Den beiden mächtigsten
Faktoren der geistigen Bewegung im sechzehnten Jahrhundert, der Reformation
und der humanistischen Wissenschaft, galt der dritte Fries, für welchen Witten-
berg der historische Nahmen war, in dem sich Reformatoren und Humanisten
um die Gestalt Luthers gruppirten. Für das letzte Friesgemälde war die
Glanzepoche Weimars als Thema angegeben, und der Künstler wählte das Jahr
1803, vermutlich um Herder, der Ende dieses Jahres starb, noch in seine Dar¬
stellung einreihen zu können. Wir können dem Künstler sehr wohl nachfühlen,
wie unbehaglich ihm diese Aufgabe war. Goethe als Mittelpunkt eines Kreises
erlesener Geister war von vornherein gegeben. Aber wer sollte der Ehre teil¬
haftig werden, mit ihm vereinigt zu sein? Der Künstler hat folgende Auswahl
getroffen: zur Rechten Goethes, welcher seinen rechten Arm auf das Postament


Die große Kunstausstellung in Berlin.

zwei Worten die Signatur dieser großen Malereien, deren Auftrag ganz und
gar an den Unrechten gekommen ist.

Nicht viel besser scheint es mit dem sür die Aula des Gymnasiums in
Bromberg bestimmten Friese von Otto Brausewetter zu stehen, soweit sich nach
dem einen auf der Ausstellung befindlichen Teile urteilen läßt. In der Mitte
sind gymnastische Übungen antiker Jünglinge und Männer dargestellt und an
den Ecken stehen Alexander der Große und Julius Cäsar, wie es im Kataloge
heißt, „als Repräsentanten der Thatkraft." In Wahrheit aber sehen diese Helden
des Altertums wie Kartenkönige aus. Otto Vrausewetter ist ein Genremaler
und Illustrator, welcher bisher fast ausschließlich Stoffe aus dem romantischen
Mittelalter behandelt hatte. Mit besonderm Eifer hat er Kostümftudien ge¬
macht, und dadurch weiß er seine Bilder mit malerischen Reizen zu erfüllen.
Jetzt wird er mit einemmale vor eine Aufgabe gestellt, die ihn nicht nur in
eine gänzlich neue Ideen- und Gestaltenwelt führt, sondern die auch von ihm
verlangt, nackte Figuren in großem Stile zu schaffen und sich über sein Ver¬
mögen hinaus auszudehnen. Man sieht seiner Arbeit in jeder Linie das red¬
lichste Bemühen an; aber nichtsdestoweniger ist sie verfehlt, weil dem Künstler
der Begriff des Stils fehlt. Er hat seine Modelle mit großem Fleiß nach¬
gebildet; von dem Geiste der Antike ist jedoch keine Spur in seiner Komposition
vorhanden.

Auch Otto Kullich vierter Fries für die Berliner Universitätsbibliothek,
auf welchen man nach den drei vorausgegangenen gewisse Hoffnungen bauen
durfte, hat diesen Erwartungen nicht entsprochen. Der erste Fries schilderte
die Blüte Griechenlands und zwar in zwei Abteilungen, indem einerseits die
gymnastischen Übungen der Männer und Jünglinge, andrerseits der Unterricht
in der Philosophie als die Grundlagen jener Blüte auf dem Boden Athens
hingestellt wurden. Der zweite Fries war der mittelalterlichen Kultur gewidmet:
in einer Disputation von Lehrern der Sorbonne vor Ludwig dem Heiligen,
zu welchen sich Dante gesellt, war der Niedergang scholastischer Gelehrsamkeit
und das Aufdämmern des Humanismus symbolisirt. Den beiden mächtigsten
Faktoren der geistigen Bewegung im sechzehnten Jahrhundert, der Reformation
und der humanistischen Wissenschaft, galt der dritte Fries, für welchen Witten-
berg der historische Nahmen war, in dem sich Reformatoren und Humanisten
um die Gestalt Luthers gruppirten. Für das letzte Friesgemälde war die
Glanzepoche Weimars als Thema angegeben, und der Künstler wählte das Jahr
1803, vermutlich um Herder, der Ende dieses Jahres starb, noch in seine Dar¬
stellung einreihen zu können. Wir können dem Künstler sehr wohl nachfühlen,
wie unbehaglich ihm diese Aufgabe war. Goethe als Mittelpunkt eines Kreises
erlesener Geister war von vornherein gegeben. Aber wer sollte der Ehre teil¬
haftig werden, mit ihm vereinigt zu sein? Der Künstler hat folgende Auswahl
getroffen: zur Rechten Goethes, welcher seinen rechten Arm auf das Postament


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[0576] Die große Kunstausstellung in Berlin. zwei Worten die Signatur dieser großen Malereien, deren Auftrag ganz und gar an den Unrechten gekommen ist. Nicht viel besser scheint es mit dem sür die Aula des Gymnasiums in Bromberg bestimmten Friese von Otto Brausewetter zu stehen, soweit sich nach dem einen auf der Ausstellung befindlichen Teile urteilen läßt. In der Mitte sind gymnastische Übungen antiker Jünglinge und Männer dargestellt und an den Ecken stehen Alexander der Große und Julius Cäsar, wie es im Kataloge heißt, „als Repräsentanten der Thatkraft." In Wahrheit aber sehen diese Helden des Altertums wie Kartenkönige aus. Otto Vrausewetter ist ein Genremaler und Illustrator, welcher bisher fast ausschließlich Stoffe aus dem romantischen Mittelalter behandelt hatte. Mit besonderm Eifer hat er Kostümftudien ge¬ macht, und dadurch weiß er seine Bilder mit malerischen Reizen zu erfüllen. Jetzt wird er mit einemmale vor eine Aufgabe gestellt, die ihn nicht nur in eine gänzlich neue Ideen- und Gestaltenwelt führt, sondern die auch von ihm verlangt, nackte Figuren in großem Stile zu schaffen und sich über sein Ver¬ mögen hinaus auszudehnen. Man sieht seiner Arbeit in jeder Linie das red¬ lichste Bemühen an; aber nichtsdestoweniger ist sie verfehlt, weil dem Künstler der Begriff des Stils fehlt. Er hat seine Modelle mit großem Fleiß nach¬ gebildet; von dem Geiste der Antike ist jedoch keine Spur in seiner Komposition vorhanden. Auch Otto Kullich vierter Fries für die Berliner Universitätsbibliothek, auf welchen man nach den drei vorausgegangenen gewisse Hoffnungen bauen durfte, hat diesen Erwartungen nicht entsprochen. Der erste Fries schilderte die Blüte Griechenlands und zwar in zwei Abteilungen, indem einerseits die gymnastischen Übungen der Männer und Jünglinge, andrerseits der Unterricht in der Philosophie als die Grundlagen jener Blüte auf dem Boden Athens hingestellt wurden. Der zweite Fries war der mittelalterlichen Kultur gewidmet: in einer Disputation von Lehrern der Sorbonne vor Ludwig dem Heiligen, zu welchen sich Dante gesellt, war der Niedergang scholastischer Gelehrsamkeit und das Aufdämmern des Humanismus symbolisirt. Den beiden mächtigsten Faktoren der geistigen Bewegung im sechzehnten Jahrhundert, der Reformation und der humanistischen Wissenschaft, galt der dritte Fries, für welchen Witten- berg der historische Nahmen war, in dem sich Reformatoren und Humanisten um die Gestalt Luthers gruppirten. Für das letzte Friesgemälde war die Glanzepoche Weimars als Thema angegeben, und der Künstler wählte das Jahr 1803, vermutlich um Herder, der Ende dieses Jahres starb, noch in seine Dar¬ stellung einreihen zu können. Wir können dem Künstler sehr wohl nachfühlen, wie unbehaglich ihm diese Aufgabe war. Goethe als Mittelpunkt eines Kreises erlesener Geister war von vornherein gegeben. Aber wer sollte der Ehre teil¬ haftig werden, mit ihm vereinigt zu sein? Der Künstler hat folgende Auswahl getroffen: zur Rechten Goethes, welcher seinen rechten Arm auf das Postament

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/576>, abgerufen am 27.09.2024.