Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die große Kunstausstellung in Berlin.

buben, und zeichnete sie in allerlei Stellungen und Bewegungen, welche für das
Gemälde in betracht kommen konnten, indem er zugleich mit der ihm eignen
Sorgfalt die Maße von einzelnen Gliedern und Köpfen nahm. Die zufällige
Pflasterung des Platzes gab ihm ein neues Motiv, indem er die Figuren einiger
Steinsetzer in der eigentümlichen Bewegung des Fortrutschens auf dem Erd¬
boden seiner Komposition einreihte. Endlich ließ er noch einige Touristen hinzu¬
treten, welche von der geldgierigen Straßenjugend umdrängt werden, und so
entstand ein Bild lebhaften, lärmenden Treibens, auf welchem Menzel seiner
Freude an mannichfaltiger und origineller Charakteristik nach Herzenslust freien
Lauf lassen konnte. Bei einem Umfange, der nicht viel größer ist als der des
Bokelmannschen Bildes, und bei einer nicht geringeren Figurenzahl hat Menzel
doch eine ganz andre Kraft und Tiefe des Ausdrucks erreicht, und dazu nach
der Seite der malerischen Erscheinung ein Stimmungsbild von absoluter Wahr¬
heit zustande gebracht. Da sich das Werk im Besitz eines Kunsthändlers be¬
findet, so ist es leider der Ausstellung, die einer Schöpfung ersten Ranges doch
so dringend bedürfte, vorenthalten geblieben.

Es kann um eine Ausstellung nicht sonderlich gut bestellt sein, wenn man
genötigt ist, auf Bilder zurückzugreifen, welche auf dieser Ausstellung nicht zu
sehen sind. Eines könnte für diesen Mangel entschädigen, die Anwesenheit
nämlich von mehreren Arbeiten monumentalen oder dekorativen Charakters, deren
Entstehung Staatsaufträgen verdankt wird. Leider läßt sich diesen Arbeiten nicht
viel Gutes nachsagen.

Wir haben einmal früher in diesen Blättern Gelegenheit gehabt, auf die
außerordentliche Förderung hinzuweisen, deren sich die monumentale Kunst, die
Plastik sowohl wie die Malerei, durch die preußische Staatsregierung zu er¬
freuen hat. Den zu jener Zeit bereits vollendeten Arbeiten dieser Gattung
konnten wir unsre Anerkennung zollen und zum Schluß eine Perspektive auf
eine Reihe von neuen Aufträgen eröffnen, von denen wir nach dem bis dahin
Geleisteten erfreuliches versprechen durften. Wir müssen heute, um der Wahr¬
heit die Ehre zu geben, bekennen, daß unsre damalige optimistische Auffassung
nicht durch die inzwischen vollendeten Thatsachen bestätigt worden ist. Die¬
jenigen, welche über die Erteilung von Staatsaufträgen zu entscheiden haben,
sind dabei gewiß von den besten Absichten ausgegangen. Sie haben der Meinung
des französischen Pädagogen Jacotot gehuldigt, welcher behauptete, daß alle
Menschen von der Natur eine gleiche Intelligenz, eine gleiche Begabung mit¬
bekommen hätten und daß es nur darauf ankäme, dieselbe im Individuum zu
entwickeln. Sie glaubten, daß mit einer großen Aufgabe auch die Kraft für
das Große wachsen oder sich ausbilden würde und, nachdem sie einigemal? dieses
gewagte Spiel gewonnen, wurden sie in der Ansicht bestärkt, daß diese Methode
die richtige sei. Jetzt sind die Unglücksfälle Schlag auf Schlag gekommen. Den
größten nennen wir zuerst: die Wandmalereien im Kaiserhause zu Goslar. An-


Die große Kunstausstellung in Berlin.

buben, und zeichnete sie in allerlei Stellungen und Bewegungen, welche für das
Gemälde in betracht kommen konnten, indem er zugleich mit der ihm eignen
Sorgfalt die Maße von einzelnen Gliedern und Köpfen nahm. Die zufällige
Pflasterung des Platzes gab ihm ein neues Motiv, indem er die Figuren einiger
Steinsetzer in der eigentümlichen Bewegung des Fortrutschens auf dem Erd¬
boden seiner Komposition einreihte. Endlich ließ er noch einige Touristen hinzu¬
treten, welche von der geldgierigen Straßenjugend umdrängt werden, und so
entstand ein Bild lebhaften, lärmenden Treibens, auf welchem Menzel seiner
Freude an mannichfaltiger und origineller Charakteristik nach Herzenslust freien
Lauf lassen konnte. Bei einem Umfange, der nicht viel größer ist als der des
Bokelmannschen Bildes, und bei einer nicht geringeren Figurenzahl hat Menzel
doch eine ganz andre Kraft und Tiefe des Ausdrucks erreicht, und dazu nach
der Seite der malerischen Erscheinung ein Stimmungsbild von absoluter Wahr¬
heit zustande gebracht. Da sich das Werk im Besitz eines Kunsthändlers be¬
findet, so ist es leider der Ausstellung, die einer Schöpfung ersten Ranges doch
so dringend bedürfte, vorenthalten geblieben.

Es kann um eine Ausstellung nicht sonderlich gut bestellt sein, wenn man
genötigt ist, auf Bilder zurückzugreifen, welche auf dieser Ausstellung nicht zu
sehen sind. Eines könnte für diesen Mangel entschädigen, die Anwesenheit
nämlich von mehreren Arbeiten monumentalen oder dekorativen Charakters, deren
Entstehung Staatsaufträgen verdankt wird. Leider läßt sich diesen Arbeiten nicht
viel Gutes nachsagen.

Wir haben einmal früher in diesen Blättern Gelegenheit gehabt, auf die
außerordentliche Förderung hinzuweisen, deren sich die monumentale Kunst, die
Plastik sowohl wie die Malerei, durch die preußische Staatsregierung zu er¬
freuen hat. Den zu jener Zeit bereits vollendeten Arbeiten dieser Gattung
konnten wir unsre Anerkennung zollen und zum Schluß eine Perspektive auf
eine Reihe von neuen Aufträgen eröffnen, von denen wir nach dem bis dahin
Geleisteten erfreuliches versprechen durften. Wir müssen heute, um der Wahr¬
heit die Ehre zu geben, bekennen, daß unsre damalige optimistische Auffassung
nicht durch die inzwischen vollendeten Thatsachen bestätigt worden ist. Die¬
jenigen, welche über die Erteilung von Staatsaufträgen zu entscheiden haben,
sind dabei gewiß von den besten Absichten ausgegangen. Sie haben der Meinung
des französischen Pädagogen Jacotot gehuldigt, welcher behauptete, daß alle
Menschen von der Natur eine gleiche Intelligenz, eine gleiche Begabung mit¬
bekommen hätten und daß es nur darauf ankäme, dieselbe im Individuum zu
entwickeln. Sie glaubten, daß mit einer großen Aufgabe auch die Kraft für
das Große wachsen oder sich ausbilden würde und, nachdem sie einigemal? dieses
gewagte Spiel gewonnen, wurden sie in der Ansicht bestärkt, daß diese Methode
die richtige sei. Jetzt sind die Unglücksfälle Schlag auf Schlag gekommen. Den
größten nennen wir zuerst: die Wandmalereien im Kaiserhause zu Goslar. An-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0574" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/156845"/>
          <fw type="header" place="top"> Die große Kunstausstellung in Berlin.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2589" prev="#ID_2588"> buben, und zeichnete sie in allerlei Stellungen und Bewegungen, welche für das<lb/>
Gemälde in betracht kommen konnten, indem er zugleich mit der ihm eignen<lb/>
Sorgfalt die Maße von einzelnen Gliedern und Köpfen nahm. Die zufällige<lb/>
Pflasterung des Platzes gab ihm ein neues Motiv, indem er die Figuren einiger<lb/>
Steinsetzer in der eigentümlichen Bewegung des Fortrutschens auf dem Erd¬<lb/>
boden seiner Komposition einreihte. Endlich ließ er noch einige Touristen hinzu¬<lb/>
treten, welche von der geldgierigen Straßenjugend umdrängt werden, und so<lb/>
entstand ein Bild lebhaften, lärmenden Treibens, auf welchem Menzel seiner<lb/>
Freude an mannichfaltiger und origineller Charakteristik nach Herzenslust freien<lb/>
Lauf lassen konnte. Bei einem Umfange, der nicht viel größer ist als der des<lb/>
Bokelmannschen Bildes, und bei einer nicht geringeren Figurenzahl hat Menzel<lb/>
doch eine ganz andre Kraft und Tiefe des Ausdrucks erreicht, und dazu nach<lb/>
der Seite der malerischen Erscheinung ein Stimmungsbild von absoluter Wahr¬<lb/>
heit zustande gebracht. Da sich das Werk im Besitz eines Kunsthändlers be¬<lb/>
findet, so ist es leider der Ausstellung, die einer Schöpfung ersten Ranges doch<lb/>
so dringend bedürfte, vorenthalten geblieben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2590"> Es kann um eine Ausstellung nicht sonderlich gut bestellt sein, wenn man<lb/>
genötigt ist, auf Bilder zurückzugreifen, welche auf dieser Ausstellung nicht zu<lb/>
sehen sind. Eines könnte für diesen Mangel entschädigen, die Anwesenheit<lb/>
nämlich von mehreren Arbeiten monumentalen oder dekorativen Charakters, deren<lb/>
Entstehung Staatsaufträgen verdankt wird. Leider läßt sich diesen Arbeiten nicht<lb/>
viel Gutes nachsagen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2591" next="#ID_2592"> Wir haben einmal früher in diesen Blättern Gelegenheit gehabt, auf die<lb/>
außerordentliche Förderung hinzuweisen, deren sich die monumentale Kunst, die<lb/>
Plastik sowohl wie die Malerei, durch die preußische Staatsregierung zu er¬<lb/>
freuen hat. Den zu jener Zeit bereits vollendeten Arbeiten dieser Gattung<lb/>
konnten wir unsre Anerkennung zollen und zum Schluß eine Perspektive auf<lb/>
eine Reihe von neuen Aufträgen eröffnen, von denen wir nach dem bis dahin<lb/>
Geleisteten erfreuliches versprechen durften. Wir müssen heute, um der Wahr¬<lb/>
heit die Ehre zu geben, bekennen, daß unsre damalige optimistische Auffassung<lb/>
nicht durch die inzwischen vollendeten Thatsachen bestätigt worden ist. Die¬<lb/>
jenigen, welche über die Erteilung von Staatsaufträgen zu entscheiden haben,<lb/>
sind dabei gewiß von den besten Absichten ausgegangen. Sie haben der Meinung<lb/>
des französischen Pädagogen Jacotot gehuldigt, welcher behauptete, daß alle<lb/>
Menschen von der Natur eine gleiche Intelligenz, eine gleiche Begabung mit¬<lb/>
bekommen hätten und daß es nur darauf ankäme, dieselbe im Individuum zu<lb/>
entwickeln. Sie glaubten, daß mit einer großen Aufgabe auch die Kraft für<lb/>
das Große wachsen oder sich ausbilden würde und, nachdem sie einigemal? dieses<lb/>
gewagte Spiel gewonnen, wurden sie in der Ansicht bestärkt, daß diese Methode<lb/>
die richtige sei. Jetzt sind die Unglücksfälle Schlag auf Schlag gekommen. Den<lb/>
größten nennen wir zuerst: die Wandmalereien im Kaiserhause zu Goslar. An-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0574] Die große Kunstausstellung in Berlin. buben, und zeichnete sie in allerlei Stellungen und Bewegungen, welche für das Gemälde in betracht kommen konnten, indem er zugleich mit der ihm eignen Sorgfalt die Maße von einzelnen Gliedern und Köpfen nahm. Die zufällige Pflasterung des Platzes gab ihm ein neues Motiv, indem er die Figuren einiger Steinsetzer in der eigentümlichen Bewegung des Fortrutschens auf dem Erd¬ boden seiner Komposition einreihte. Endlich ließ er noch einige Touristen hinzu¬ treten, welche von der geldgierigen Straßenjugend umdrängt werden, und so entstand ein Bild lebhaften, lärmenden Treibens, auf welchem Menzel seiner Freude an mannichfaltiger und origineller Charakteristik nach Herzenslust freien Lauf lassen konnte. Bei einem Umfange, der nicht viel größer ist als der des Bokelmannschen Bildes, und bei einer nicht geringeren Figurenzahl hat Menzel doch eine ganz andre Kraft und Tiefe des Ausdrucks erreicht, und dazu nach der Seite der malerischen Erscheinung ein Stimmungsbild von absoluter Wahr¬ heit zustande gebracht. Da sich das Werk im Besitz eines Kunsthändlers be¬ findet, so ist es leider der Ausstellung, die einer Schöpfung ersten Ranges doch so dringend bedürfte, vorenthalten geblieben. Es kann um eine Ausstellung nicht sonderlich gut bestellt sein, wenn man genötigt ist, auf Bilder zurückzugreifen, welche auf dieser Ausstellung nicht zu sehen sind. Eines könnte für diesen Mangel entschädigen, die Anwesenheit nämlich von mehreren Arbeiten monumentalen oder dekorativen Charakters, deren Entstehung Staatsaufträgen verdankt wird. Leider läßt sich diesen Arbeiten nicht viel Gutes nachsagen. Wir haben einmal früher in diesen Blättern Gelegenheit gehabt, auf die außerordentliche Förderung hinzuweisen, deren sich die monumentale Kunst, die Plastik sowohl wie die Malerei, durch die preußische Staatsregierung zu er¬ freuen hat. Den zu jener Zeit bereits vollendeten Arbeiten dieser Gattung konnten wir unsre Anerkennung zollen und zum Schluß eine Perspektive auf eine Reihe von neuen Aufträgen eröffnen, von denen wir nach dem bis dahin Geleisteten erfreuliches versprechen durften. Wir müssen heute, um der Wahr¬ heit die Ehre zu geben, bekennen, daß unsre damalige optimistische Auffassung nicht durch die inzwischen vollendeten Thatsachen bestätigt worden ist. Die¬ jenigen, welche über die Erteilung von Staatsaufträgen zu entscheiden haben, sind dabei gewiß von den besten Absichten ausgegangen. Sie haben der Meinung des französischen Pädagogen Jacotot gehuldigt, welcher behauptete, daß alle Menschen von der Natur eine gleiche Intelligenz, eine gleiche Begabung mit¬ bekommen hätten und daß es nur darauf ankäme, dieselbe im Individuum zu entwickeln. Sie glaubten, daß mit einer großen Aufgabe auch die Kraft für das Große wachsen oder sich ausbilden würde und, nachdem sie einigemal? dieses gewagte Spiel gewonnen, wurden sie in der Ansicht bestärkt, daß diese Methode die richtige sei. Jetzt sind die Unglücksfälle Schlag auf Schlag gekommen. Den größten nennen wir zuerst: die Wandmalereien im Kaiserhause zu Goslar. An-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/574
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/574>, abgerufen am 27.09.2024.