Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die große Annstansstellung in Berlin.

wciffneten Bürgern in der Tracht des siebzehnten Jahrhunderts, welche in einer
holländischen Wirtsstube um einen Tisch herumsitzen und der Tabakspfeife und
dem Bierkruge zusprechen, nur oberflächlich betrachtet, schießen einem freilich
Namen wie Jan van der Meer von Delft, Pieter de Hvoch, Dirk Hals, Ter-
borch, Pieter Codde u. f. w, durch den Kopf, und unter dem Einfluß dieser
Maler von belebten Interieurs und Gesellschaftsstucken ist das Bild des modernen
Künstlers auch wahrscheinlich entstanden. Manche Finesse des Pinsels, wie z. B.
die subtile Behandlung des Lederzcugs nud der Gerätschaften, die feine Durch¬
bildung der verschwebenden, sich mit dem Tabaksrauche vermischenden Luft hat
Claus Meyer gewiß diesen Kabinetsmalern abgelauscht. Was sie ihm aber nicht
geben konnten, ist die Intensität des Lebens, die ans die ganze Komplexion
einer Figur gegründete und aus ihr heraus entwickelte Individualisirung der
Köpfe. Diese erstaunliche Lebensfülle erhebt den Münchener Künstler weit über
die mechanische Nachahmung des Stofflichen, in welcher z. B. Alma Tadema
bei seinen Resurrektionen der alten Griechen und Römer trotz seiner unbestreit¬
baren technischen Virtuosität stecken geblieben ist. Wenn er nicht moderne Eng¬
länder und Engländerinnen aus den antiken Kostümen herausblicken läßt, kommt
er nicht über das Maskenhafte hinaus, während die Holländer Claus Meyers
den Stempel leibhaftiger Wirklichkeit tragen. Auf dem Gebiete des modernen
holländischen Volkslebens gelangt Paul Höcker, ein andrer Schüler von Löfftz,
zu demselben Ziel, welches ihm freilich leichter erreichbar ist, weil er seine
Modelle unmittelbar vor sich sieht und nicht erst in entschwundene Zeit- und
Lebensbedingungen zurückzuversetzen braucht. Seine kleinen Holländerinnen mit
ihren ernsthaften Augen, welche durch das Kornfeld ziehen, sind von außer¬
ordentlicher Frische der Auffassung, und nicht minder wahr beobachtet und
lebendig geschildert ist die Gruppe von Matrosen, welche in der Batterie eines
deutschen Kriegsschiffes mit dem Putzen ihrer Gewehre beschäftigt find.

Daß Menzel nicht auf der Ausstellung erschienen ist, ist für das Ansehen
der Berliner Malerei ein umso härterer Schlag, als derselbe leicht Hütte ab¬
gewendet werden können. Erst im Juni dieses Jahres hat der Meister ein
umfangreiches Gemälde vollendet, welches insofern eine neue Phase seiner
Thätigkeit einleitet, als er damit ein neues Stoffgebiet betreten hat. Bis in
sein hohes Alter hinein hatte Menzel noch niemals eine Reise nach Italien
unternommen, und erst vor zwei Jahren faßte er den Entschluß dazu. Für
den arbeitsamen Künstler, dessen scharfe Augen stets suchend von Gegenstand zu
Gegenstand eilen, gab es dort keine Erholung. Die Piazza o'Erbe, der Ge-
müsemarkt in Verona, fesselte seine Aufmerksamkeit und seine Nachbildungslnst
dergestalt, daß er das lebhafte Getümmel mit seinen zahlreichen Typen und
vorübergehenden Erscheinungen festzuhalten beschloß. Wie immer verfuhr er
auch hier empirisch und synthetisch. Er wählte zuerst eine Reihe von Figuren
aus dem Volke aus, Gemüsefrauen, Verkäufer, Ausrufer, lungernde Straßen-


Die große Annstansstellung in Berlin.

wciffneten Bürgern in der Tracht des siebzehnten Jahrhunderts, welche in einer
holländischen Wirtsstube um einen Tisch herumsitzen und der Tabakspfeife und
dem Bierkruge zusprechen, nur oberflächlich betrachtet, schießen einem freilich
Namen wie Jan van der Meer von Delft, Pieter de Hvoch, Dirk Hals, Ter-
borch, Pieter Codde u. f. w, durch den Kopf, und unter dem Einfluß dieser
Maler von belebten Interieurs und Gesellschaftsstucken ist das Bild des modernen
Künstlers auch wahrscheinlich entstanden. Manche Finesse des Pinsels, wie z. B.
die subtile Behandlung des Lederzcugs nud der Gerätschaften, die feine Durch¬
bildung der verschwebenden, sich mit dem Tabaksrauche vermischenden Luft hat
Claus Meyer gewiß diesen Kabinetsmalern abgelauscht. Was sie ihm aber nicht
geben konnten, ist die Intensität des Lebens, die ans die ganze Komplexion
einer Figur gegründete und aus ihr heraus entwickelte Individualisirung der
Köpfe. Diese erstaunliche Lebensfülle erhebt den Münchener Künstler weit über
die mechanische Nachahmung des Stofflichen, in welcher z. B. Alma Tadema
bei seinen Resurrektionen der alten Griechen und Römer trotz seiner unbestreit¬
baren technischen Virtuosität stecken geblieben ist. Wenn er nicht moderne Eng¬
länder und Engländerinnen aus den antiken Kostümen herausblicken läßt, kommt
er nicht über das Maskenhafte hinaus, während die Holländer Claus Meyers
den Stempel leibhaftiger Wirklichkeit tragen. Auf dem Gebiete des modernen
holländischen Volkslebens gelangt Paul Höcker, ein andrer Schüler von Löfftz,
zu demselben Ziel, welches ihm freilich leichter erreichbar ist, weil er seine
Modelle unmittelbar vor sich sieht und nicht erst in entschwundene Zeit- und
Lebensbedingungen zurückzuversetzen braucht. Seine kleinen Holländerinnen mit
ihren ernsthaften Augen, welche durch das Kornfeld ziehen, sind von außer¬
ordentlicher Frische der Auffassung, und nicht minder wahr beobachtet und
lebendig geschildert ist die Gruppe von Matrosen, welche in der Batterie eines
deutschen Kriegsschiffes mit dem Putzen ihrer Gewehre beschäftigt find.

Daß Menzel nicht auf der Ausstellung erschienen ist, ist für das Ansehen
der Berliner Malerei ein umso härterer Schlag, als derselbe leicht Hütte ab¬
gewendet werden können. Erst im Juni dieses Jahres hat der Meister ein
umfangreiches Gemälde vollendet, welches insofern eine neue Phase seiner
Thätigkeit einleitet, als er damit ein neues Stoffgebiet betreten hat. Bis in
sein hohes Alter hinein hatte Menzel noch niemals eine Reise nach Italien
unternommen, und erst vor zwei Jahren faßte er den Entschluß dazu. Für
den arbeitsamen Künstler, dessen scharfe Augen stets suchend von Gegenstand zu
Gegenstand eilen, gab es dort keine Erholung. Die Piazza o'Erbe, der Ge-
müsemarkt in Verona, fesselte seine Aufmerksamkeit und seine Nachbildungslnst
dergestalt, daß er das lebhafte Getümmel mit seinen zahlreichen Typen und
vorübergehenden Erscheinungen festzuhalten beschloß. Wie immer verfuhr er
auch hier empirisch und synthetisch. Er wählte zuerst eine Reihe von Figuren
aus dem Volke aus, Gemüsefrauen, Verkäufer, Ausrufer, lungernde Straßen-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0573" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/156844"/>
          <fw type="header" place="top"> Die große Annstansstellung in Berlin.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2587" prev="#ID_2586"> wciffneten Bürgern in der Tracht des siebzehnten Jahrhunderts, welche in einer<lb/>
holländischen Wirtsstube um einen Tisch herumsitzen und der Tabakspfeife und<lb/>
dem Bierkruge zusprechen, nur oberflächlich betrachtet, schießen einem freilich<lb/>
Namen wie Jan van der Meer von Delft, Pieter de Hvoch, Dirk Hals, Ter-<lb/>
borch, Pieter Codde u. f. w, durch den Kopf, und unter dem Einfluß dieser<lb/>
Maler von belebten Interieurs und Gesellschaftsstucken ist das Bild des modernen<lb/>
Künstlers auch wahrscheinlich entstanden. Manche Finesse des Pinsels, wie z. B.<lb/>
die subtile Behandlung des Lederzcugs nud der Gerätschaften, die feine Durch¬<lb/>
bildung der verschwebenden, sich mit dem Tabaksrauche vermischenden Luft hat<lb/>
Claus Meyer gewiß diesen Kabinetsmalern abgelauscht. Was sie ihm aber nicht<lb/>
geben konnten, ist die Intensität des Lebens, die ans die ganze Komplexion<lb/>
einer Figur gegründete und aus ihr heraus entwickelte Individualisirung der<lb/>
Köpfe. Diese erstaunliche Lebensfülle erhebt den Münchener Künstler weit über<lb/>
die mechanische Nachahmung des Stofflichen, in welcher z. B. Alma Tadema<lb/>
bei seinen Resurrektionen der alten Griechen und Römer trotz seiner unbestreit¬<lb/>
baren technischen Virtuosität stecken geblieben ist. Wenn er nicht moderne Eng¬<lb/>
länder und Engländerinnen aus den antiken Kostümen herausblicken läßt, kommt<lb/>
er nicht über das Maskenhafte hinaus, während die Holländer Claus Meyers<lb/>
den Stempel leibhaftiger Wirklichkeit tragen. Auf dem Gebiete des modernen<lb/>
holländischen Volkslebens gelangt Paul Höcker, ein andrer Schüler von Löfftz,<lb/>
zu demselben Ziel, welches ihm freilich leichter erreichbar ist, weil er seine<lb/>
Modelle unmittelbar vor sich sieht und nicht erst in entschwundene Zeit- und<lb/>
Lebensbedingungen zurückzuversetzen braucht. Seine kleinen Holländerinnen mit<lb/>
ihren ernsthaften Augen, welche durch das Kornfeld ziehen, sind von außer¬<lb/>
ordentlicher Frische der Auffassung, und nicht minder wahr beobachtet und<lb/>
lebendig geschildert ist die Gruppe von Matrosen, welche in der Batterie eines<lb/>
deutschen Kriegsschiffes mit dem Putzen ihrer Gewehre beschäftigt find.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2588" next="#ID_2589"> Daß Menzel nicht auf der Ausstellung erschienen ist, ist für das Ansehen<lb/>
der Berliner Malerei ein umso härterer Schlag, als derselbe leicht Hütte ab¬<lb/>
gewendet werden können. Erst im Juni dieses Jahres hat der Meister ein<lb/>
umfangreiches Gemälde vollendet, welches insofern eine neue Phase seiner<lb/>
Thätigkeit einleitet, als er damit ein neues Stoffgebiet betreten hat. Bis in<lb/>
sein hohes Alter hinein hatte Menzel noch niemals eine Reise nach Italien<lb/>
unternommen, und erst vor zwei Jahren faßte er den Entschluß dazu. Für<lb/>
den arbeitsamen Künstler, dessen scharfe Augen stets suchend von Gegenstand zu<lb/>
Gegenstand eilen, gab es dort keine Erholung. Die Piazza o'Erbe, der Ge-<lb/>
müsemarkt in Verona, fesselte seine Aufmerksamkeit und seine Nachbildungslnst<lb/>
dergestalt, daß er das lebhafte Getümmel mit seinen zahlreichen Typen und<lb/>
vorübergehenden Erscheinungen festzuhalten beschloß. Wie immer verfuhr er<lb/>
auch hier empirisch und synthetisch. Er wählte zuerst eine Reihe von Figuren<lb/>
aus dem Volke aus, Gemüsefrauen, Verkäufer, Ausrufer, lungernde Straßen-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0573] Die große Annstansstellung in Berlin. wciffneten Bürgern in der Tracht des siebzehnten Jahrhunderts, welche in einer holländischen Wirtsstube um einen Tisch herumsitzen und der Tabakspfeife und dem Bierkruge zusprechen, nur oberflächlich betrachtet, schießen einem freilich Namen wie Jan van der Meer von Delft, Pieter de Hvoch, Dirk Hals, Ter- borch, Pieter Codde u. f. w, durch den Kopf, und unter dem Einfluß dieser Maler von belebten Interieurs und Gesellschaftsstucken ist das Bild des modernen Künstlers auch wahrscheinlich entstanden. Manche Finesse des Pinsels, wie z. B. die subtile Behandlung des Lederzcugs nud der Gerätschaften, die feine Durch¬ bildung der verschwebenden, sich mit dem Tabaksrauche vermischenden Luft hat Claus Meyer gewiß diesen Kabinetsmalern abgelauscht. Was sie ihm aber nicht geben konnten, ist die Intensität des Lebens, die ans die ganze Komplexion einer Figur gegründete und aus ihr heraus entwickelte Individualisirung der Köpfe. Diese erstaunliche Lebensfülle erhebt den Münchener Künstler weit über die mechanische Nachahmung des Stofflichen, in welcher z. B. Alma Tadema bei seinen Resurrektionen der alten Griechen und Römer trotz seiner unbestreit¬ baren technischen Virtuosität stecken geblieben ist. Wenn er nicht moderne Eng¬ länder und Engländerinnen aus den antiken Kostümen herausblicken läßt, kommt er nicht über das Maskenhafte hinaus, während die Holländer Claus Meyers den Stempel leibhaftiger Wirklichkeit tragen. Auf dem Gebiete des modernen holländischen Volkslebens gelangt Paul Höcker, ein andrer Schüler von Löfftz, zu demselben Ziel, welches ihm freilich leichter erreichbar ist, weil er seine Modelle unmittelbar vor sich sieht und nicht erst in entschwundene Zeit- und Lebensbedingungen zurückzuversetzen braucht. Seine kleinen Holländerinnen mit ihren ernsthaften Augen, welche durch das Kornfeld ziehen, sind von außer¬ ordentlicher Frische der Auffassung, und nicht minder wahr beobachtet und lebendig geschildert ist die Gruppe von Matrosen, welche in der Batterie eines deutschen Kriegsschiffes mit dem Putzen ihrer Gewehre beschäftigt find. Daß Menzel nicht auf der Ausstellung erschienen ist, ist für das Ansehen der Berliner Malerei ein umso härterer Schlag, als derselbe leicht Hütte ab¬ gewendet werden können. Erst im Juni dieses Jahres hat der Meister ein umfangreiches Gemälde vollendet, welches insofern eine neue Phase seiner Thätigkeit einleitet, als er damit ein neues Stoffgebiet betreten hat. Bis in sein hohes Alter hinein hatte Menzel noch niemals eine Reise nach Italien unternommen, und erst vor zwei Jahren faßte er den Entschluß dazu. Für den arbeitsamen Künstler, dessen scharfe Augen stets suchend von Gegenstand zu Gegenstand eilen, gab es dort keine Erholung. Die Piazza o'Erbe, der Ge- müsemarkt in Verona, fesselte seine Aufmerksamkeit und seine Nachbildungslnst dergestalt, daß er das lebhafte Getümmel mit seinen zahlreichen Typen und vorübergehenden Erscheinungen festzuhalten beschloß. Wie immer verfuhr er auch hier empirisch und synthetisch. Er wählte zuerst eine Reihe von Figuren aus dem Volke aus, Gemüsefrauen, Verkäufer, Ausrufer, lungernde Straßen-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/573
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/573>, abgerufen am 27.09.2024.