Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.Gin unbekannter Aufsatz Goethes. anfänglich seyn mochte. Geschmack und Behandlung erinnern, das kann niemand Betrachtet man nun erstlich die Erfindung und Komposition überhaupt: so Die Formen sind so, wie sie diesem großen Meister gewöhnlich waren: weniger Es dürfte fast scheinen, als ob wir hiemit dem berühmten Haupt der lom¬ Correggio brachte im Ausdruck, besonders bei jugendlichen Figuren, Weibern Gin unbekannter Aufsatz Goethes. anfänglich seyn mochte. Geschmack und Behandlung erinnern, das kann niemand Betrachtet man nun erstlich die Erfindung und Komposition überhaupt: so Die Formen sind so, wie sie diesem großen Meister gewöhnlich waren: weniger Es dürfte fast scheinen, als ob wir hiemit dem berühmten Haupt der lom¬ Correggio brachte im Ausdruck, besonders bei jugendlichen Figuren, Weibern <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0566" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/156837"/> <fw type="header" place="top"> Gin unbekannter Aufsatz Goethes.</fw><lb/> <p xml:id="ID_2568" prev="#ID_2567"> anfänglich seyn mochte. Geschmack und Behandlung erinnern, das kann niemand<lb/> leugnen, zunächst an Correggio. Aus dieser Ursache werden wir uns im Verfolg<lb/> oft auf denselben vergleichend berufen müssen: allein es geschieht keineswegs mit<lb/> dem Vorhaben, ihm unser Bild bestimmt zuzueignen, sondern allein darum, weil<lb/> zur Prüfung desselben keines andern Malers Werke einen so schicklichen und zu<lb/> gleicher Zeit hohen Maßstab darbieten.</p><lb/> <p xml:id="ID_2569"> Betrachtet man nun erstlich die Erfindung und Komposition überhaupt: so<lb/> erscheint hier zwar nicht der hohe Grad sentimentaler Innigkeit, wie etwa in<lb/> Correggios bekannter Vermählung der heil. Catharine, oder in der Madonna<lb/> la Zingava, oder der Madonna mit dem Kinde, dem ein Engel Früchte bringt;<lb/> auch ist in den eben genannten Bildern die Anordnung eleganter: indessen fehlt<lb/> es dem unseren ebenfalls uicht an Zartgefühl und dem freundlichen Beysammenseyn,<lb/> welches Correggio in seinen Bildern so gern darzustellen unternahm, und welches<lb/> selten einem anderen so gut als ihm gelungen ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_2570"> Die Formen sind so, wie sie diesem großen Meister gewöhnlich waren: weniger<lb/> ausschweifend und rundlich als im Se, Georg zu Dresden, oder in der Kuppel zu<lb/> Parma u. s, w., gleicht der Geschmack der Zeichnung in unserem Bilde um besten<lb/> der Zeichnung im Gemälde vom heil. Sebastian. Nicht ohne Wahrscheinlichkeit<lb/> würde man sogar muthmaßen können, das junge Mädchen sey mit dem jungen<lb/> Mädchen in jenem Gemälde, welches eine Kirche in der Hand hält, nach einerley<lb/> Modell, nur um ein oder ein Paar Jahre später gemalt. Ähnlichkeit mit den<lb/> Zügen des Pfeilschnitzers läßt sich ebenfalls nicht verkennen, und Köpfe, welche mit<lb/> dem Kopf des Knaben übereinstimmen, sind ohne Mühe häufig in Correggio's<lb/> Werken nachzuweisen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2571"> Es dürfte fast scheinen, als ob wir hiemit dem berühmten Haupt der lom¬<lb/> bardischen Schule einförmige Manier in seinen Bildungen vorwerfen wollten: in¬<lb/> dessen ist der Sinn unserer Bemerkungen durchaus nicht tadelnd. Das Mauierirte<lb/> entspringt nicht daraus, daß ein sehr schönes oder interessantes Gesicht in ver¬<lb/> schiedenen Bildern öfter erscheint, denn auch im Leben sieht man dieselbe schöne<lb/> Gestalt gern oft; sondern, wenn derselbe Ausdruck, Gestalt, Motive u, s. w. schicklich<lb/> und unschicklich bis zum Überdruß wiederholt sind, und der Beschauer gleichsam<lb/> schon zum Voraus Weiß, was er zu sehen bekommt. Die größten Meister, Rafael<lb/> selbst nicht ausgenommen, haben gewisse Favoritgesichter, welche selten in einem ihrer<lb/> Bilder fehlen, und Kunst und Gemüth hat sich gewöhnlich in denselben am besten<lb/> ausgedrückt.</p><lb/> <p xml:id="ID_2572" next="#ID_2573"> Correggio brachte im Ausdruck, besonders bei jugendlichen Figuren, Weibern<lb/> und Kindern, die ihm eigenthümlichen frohen Minen, ein heiteres Lächeln mit ge¬<lb/> öffnetem Munde und stark vertieften Seiten desselben an; seine Nachahmer sind<lb/> darüber fast allemal ins carrieaturmäßig Manierirte verfallen, und zuweilen hat<lb/> er auch selbst, zumal in seinen späteren Arbeiten, ein wenig die Grenzlinie über¬<lb/> treten. Wir können daher sagen, daß in dem Bilde, von welchem hier die Rede<lb/> ist, das Verdienst des Ausdrucks vorzüglicher und naiver sey, als es sonst in den<lb/> meisten Arbeiten des Correggio zu seyn Pflegt. In dem Mädchen besonders bemerkt<lb/> man einen so hohen Grad von jugendlicher, sorgenfreyer Unschuld, von reinem,<lb/> menschlichem Daseyn ohne Anspruch, ohne Ziererey, daß keine Nachahmung ihn<lb/> erreichen, keine Worte beschreiben können. Der Knabe, so vortrefflich er auch an<lb/> sich ist, gleicht schon etwas mehr jener allgemeinen, vorhin angedeuteten, dem<lb/> Correggio gewöhnlichen Weise, doch dergestalt gemäßigt, daß, im Fall das Bild<lb/> wirklich für eine Arbeit dieses Meisters gelten sollte, man eben daher auch zu</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0566]
Gin unbekannter Aufsatz Goethes.
anfänglich seyn mochte. Geschmack und Behandlung erinnern, das kann niemand
leugnen, zunächst an Correggio. Aus dieser Ursache werden wir uns im Verfolg
oft auf denselben vergleichend berufen müssen: allein es geschieht keineswegs mit
dem Vorhaben, ihm unser Bild bestimmt zuzueignen, sondern allein darum, weil
zur Prüfung desselben keines andern Malers Werke einen so schicklichen und zu
gleicher Zeit hohen Maßstab darbieten.
Betrachtet man nun erstlich die Erfindung und Komposition überhaupt: so
erscheint hier zwar nicht der hohe Grad sentimentaler Innigkeit, wie etwa in
Correggios bekannter Vermählung der heil. Catharine, oder in der Madonna
la Zingava, oder der Madonna mit dem Kinde, dem ein Engel Früchte bringt;
auch ist in den eben genannten Bildern die Anordnung eleganter: indessen fehlt
es dem unseren ebenfalls uicht an Zartgefühl und dem freundlichen Beysammenseyn,
welches Correggio in seinen Bildern so gern darzustellen unternahm, und welches
selten einem anderen so gut als ihm gelungen ist.
Die Formen sind so, wie sie diesem großen Meister gewöhnlich waren: weniger
ausschweifend und rundlich als im Se, Georg zu Dresden, oder in der Kuppel zu
Parma u. s, w., gleicht der Geschmack der Zeichnung in unserem Bilde um besten
der Zeichnung im Gemälde vom heil. Sebastian. Nicht ohne Wahrscheinlichkeit
würde man sogar muthmaßen können, das junge Mädchen sey mit dem jungen
Mädchen in jenem Gemälde, welches eine Kirche in der Hand hält, nach einerley
Modell, nur um ein oder ein Paar Jahre später gemalt. Ähnlichkeit mit den
Zügen des Pfeilschnitzers läßt sich ebenfalls nicht verkennen, und Köpfe, welche mit
dem Kopf des Knaben übereinstimmen, sind ohne Mühe häufig in Correggio's
Werken nachzuweisen.
Es dürfte fast scheinen, als ob wir hiemit dem berühmten Haupt der lom¬
bardischen Schule einförmige Manier in seinen Bildungen vorwerfen wollten: in¬
dessen ist der Sinn unserer Bemerkungen durchaus nicht tadelnd. Das Mauierirte
entspringt nicht daraus, daß ein sehr schönes oder interessantes Gesicht in ver¬
schiedenen Bildern öfter erscheint, denn auch im Leben sieht man dieselbe schöne
Gestalt gern oft; sondern, wenn derselbe Ausdruck, Gestalt, Motive u, s. w. schicklich
und unschicklich bis zum Überdruß wiederholt sind, und der Beschauer gleichsam
schon zum Voraus Weiß, was er zu sehen bekommt. Die größten Meister, Rafael
selbst nicht ausgenommen, haben gewisse Favoritgesichter, welche selten in einem ihrer
Bilder fehlen, und Kunst und Gemüth hat sich gewöhnlich in denselben am besten
ausgedrückt.
Correggio brachte im Ausdruck, besonders bei jugendlichen Figuren, Weibern
und Kindern, die ihm eigenthümlichen frohen Minen, ein heiteres Lächeln mit ge¬
öffnetem Munde und stark vertieften Seiten desselben an; seine Nachahmer sind
darüber fast allemal ins carrieaturmäßig Manierirte verfallen, und zuweilen hat
er auch selbst, zumal in seinen späteren Arbeiten, ein wenig die Grenzlinie über¬
treten. Wir können daher sagen, daß in dem Bilde, von welchem hier die Rede
ist, das Verdienst des Ausdrucks vorzüglicher und naiver sey, als es sonst in den
meisten Arbeiten des Correggio zu seyn Pflegt. In dem Mädchen besonders bemerkt
man einen so hohen Grad von jugendlicher, sorgenfreyer Unschuld, von reinem,
menschlichem Daseyn ohne Anspruch, ohne Ziererey, daß keine Nachahmung ihn
erreichen, keine Worte beschreiben können. Der Knabe, so vortrefflich er auch an
sich ist, gleicht schon etwas mehr jener allgemeinen, vorhin angedeuteten, dem
Correggio gewöhnlichen Weise, doch dergestalt gemäßigt, daß, im Fall das Bild
wirklich für eine Arbeit dieses Meisters gelten sollte, man eben daher auch zu
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |